„Später werde ich stolz sein, sagen zu können, ich war Teil dieser Entwicklung, als fliegende Boote begannen, in fünf bis sechs Tagen über den Atlantik zu segeln und in unter 40 um die ganze Welt!“ So brachte es Thomas Coville, „Sodebo“-Skipper und einer der Renn-Teilnehmer auf den Punkt, als er beschrieb, was die Ultim Challenge für ihn bedeutet. Und tatsächlich wird es ein Rennen der Superlative, eine Zäsur:
Noch nie in der Geschichte des Segelsports sind so große Boote in einem Einhand-Nonstop-Rennen um die Welt angetreten.
Bislang haben es überhaupt nur vier Segler und auch lediglich bei Rekordversuchen geschafft, mit so einem großen Mehrrumpfer-Monster die Erde zu umrunden: Francis Joyon, Ellen MacArthur, Thomas Coville und François Gabart. Dagegen ist die Vendée Globe geradezu eine Breitensport-Veranstaltung.
Und ab 2017, dem Jahr, in dem Gabart seinen bestehenden Rekord mit 42 Tagen, 14 Stunden und 40 Minuten aufstellte, begann eine neue Ära: die der komplett foilenden Monster-Tris. Dann wurde „Edmond de Rothschild“ fertiggestellt, ein Design von Guillaume Verdier und dem Gitana-Team. Ihm gelang es als erstes, stabil waagerecht in einigen Meter Höhe über das Meer zu fliegen. Dann folgten in den nächsten vier Jahren weitere Neubauten der Teams Banque Populaire, Sodebo und SVR Lazartigue.
Da es nicht nur eine Herkulesaufgabe ist, so ein Boot zu bauen, sondern auch eine, es zu finanzieren, blieb die Zahl der Teams überschaubar. Auf über 40 Millionen Euro bezifferte François Gabarts Team SVR Lazartigue zuletzt das Budget für Bau und vier Jahre Betrieb so eines Ultims.
In der zuvor neu gegründeten Ultim-Klasse, die Boote bis 32 Meter Länge und 23 Meter Breite zusammenfasst, war das der Startschuss für die neue Generation von Schiffen, die bislang eigentlich immer nur einsame Rekordjäger waren. Nun folgt also nach den Atlantik-Rennen eines um die ganze Welt. Start und Ziel ist vor Brest, genauer der Insel Ouessant, denn falls es einem der Skipper gelingt, während des Rennens die Bestmarke von Gabart von 2017 zu unterbieten, wird das Ergebnis als Rekord ratifiziert. Im Gegensatz zur Vendée gibt es aber einige Regeln, die anders sind.
Die Skipper dürfen vom Team an Land geroutet werden, zu gefährlich erschien ihnen das Risiko, mit den gewaltigen Booten in Stürme zu geraten, und technische Reparatur-Stopps sind erlaubt, müssen aber mindestens 24 Stunden dauern.
Jedoch glaubt niemand ernsthaft, dass danach noch eine Chance auf den Sieg besteht. In dieser Zeit würde die Konkurrenz bei guten Bedingungen leicht 600 bis 700 Meilen enteilen. Charles Caudrelier segelte bei der Rücküberführung seines Tris „Edmond de Rothschild“ nach dem Transat 2021 aus der Karibik in 24 Stunden 880 Seemeilen. Es gilt als wahrscheinlich, dass im Rennen der bestehende Rekord von 908,2 Seemeilen von „Banque Populaire“ (2009) fallen wird. Denn der Rekordhalter war kein Foiler. Wie gewaltig die technische Entwicklung der Boote ist, belegen Zahlen, die das Design-Büro VPLP für das Rennen gegenübergestellt hat. Die Ingenieure verglichen die Polardaten von Francis Joyons „Idec Sport“, dem Rekordhalter für die schnellste Weltumsegelung mit Crew (40 Tage, 23 Stunden), mit denen von „Edmond de Rothschild“. Das Ergebnis: Im Foil-Modus ist das neue Schiff 35 Prozent schneller.
Und das technische Wettrüsten der Teams ging bis zum Start des Rennens munter weiter. Drei Boote haben bereits den zweiten Satz Foils, die vom Gitana-Team wurden dazwischen sogar noch viermal überarbeitet. Wie groß die technische Herausforderung ist, hat François Gabart, Skipper von „SVR Lazartigue“, anschaulich erklärt: „Es gibt sechs Foils auf den Booten, deren Anstellwinkel verstellt werden können. Die besten Kombinationen für alle Verhältnisse zu finden dauert Jahre!“
Zugleich begann ein für den Offshore-Segelsport ungewohnter Aspekt viel Aufmerksamkeit zu bekommen: die Aerodynamik. Ein Boot, das mit Top-Speeds um die 45 und Durchschnittsgeschwindigkeiten an die 35 Knoten segelt, hat durch die Summe aus wahrem und scheinbarem Wind oft Sturmstärke an Deck. Und so werden die Rückseiten der Beams mit Folien aerodynamisch verkleidet, Furler und Ruder unter Abdeckungen verborgen, Großbäume durch flexible Verkleidungen mit dem Deck verbunden.
Die Tris segeln mittlerweile nicht selten dreifache Windgeschwindigkeit. Ab 15 bis 16 Knoten wahrem Wind heben sich die 15 Tonnen schweren und 105 Fuß langen Kolosse aus dem Wasser.
Doch wie lebt es sich an Bord? Bei der letzten Route du Rhum hatte die YACHT Gelegenheit, zwei der fliegenden Geschosse zu besichtigen, Thomas Covilles „Sodebo Ultim“ und „SVR Lazartigue“, damals von François Gabart geskippert. Der Rundgang lässt den Besucher erst mal in Ehrfurcht erstarren. Brachiale Größe trifft elegante Schönheit, besonders die „SVR Lazartigue“ wirkt geradezu fragil. Auf das Monster aufgeentert, fühlt man sich wie ein Zwerg im Land der Riesen. Foils, die vier Meter über Decksniveau aufragen. Oberschenkeldicke Hydraulikzylinder. Masten, die man zu zweit nicht umfassen kann. Winschen, die eher an Ölfässer erinnern. Tennisplatzgroße Trampoline.
“SVR Lazartigue“ kommt dann auch noch gleich wie ein Kampfjet daher: Statt eines klassischen Cockpits gibt es zwei Glaskuppeln. Und tatsächlich sind dort Autolenkräder verbaut, es erinnert an einen Formel-1-Racer. Das Boot ist ein Flushdecker, so kann der Baum dicht über dem Rumpf enden. Trimm und Navi-Zentrale liegen darunter, tief im Bauch des Mittelrumpfes verborgen. Aerodynamisch ist das besser.
So richtig futuristisch wird es, wenn man im geschlossenen Cockpit steht. Batterien von Bildschirmen mit Zahlenkolonnen für Dutzende von Daten: Anstellwinkel von Foils, Lasten auf Stagen, Neigung der nach Luv kippbaren Masten. Autopilot, Windanzeigen, Plotter, Speed kommt alles on top. Dazwischen Unmengen von Hydraulik-Drehschaltern: Foil Rake, Unterlieksspanner, Vorstagsdruck – auf den Booten sind bis zu 20 Hydraulikzylinder im Einsatz. Alle werden nur via Grinder mit Muskelkraft bedient. Da wird eindrücklich klar, was für eine Mammutaufgabe der Skipper bewältigen muss. Mittendrin einsam sein futuristischer Schalensitz.
Welchen von ihnen es am besten gelingt, ihr Monster zu bändigen, wird das Rennen nun zeigen. Etwas Glück brauchen sie dafür auch. Bei den hohen Speeds der Boote entwickelten sich Kollisionen selbst mit kleineren Treibgutstücken zum Hauptproblem. Vier Rekordversuche mussten deshalb zuletzt abgebrochen werden. Keiner kam weiter als bis zu den Kerguelen. Das ahnte Thomas Coville, als er seine Einschätzung zum historischen Ereignis des Rennens um die Welt ergänzte: „Natürlich kann der Anfang dieser Ära etwas chaotisch werden.“ Man darf gespannt sein, wie sehr.