Ultim Challenge“Segelwechsel sind ein Albtraum, danach bist du völlig fertig!”

Andreas Fritsch

 · 07.01.2024

Charles Caudrelier im Cockpit seiner "Edmond de Rothschild"
Foto: Eloi Stichelbaut - polaRYSE / GITANA S.A.
Charles Caudrelier, Skipper des Ultims “Edmond de Rothschild”, im exklusiven YACHT-Interview kurz vor dem Start des Einhand-Nonstop-Rennens Arkea Ultim Challenge Brest

Am 7. Januar startet ein historisches Rennen um die Welt, vergleichbar mit der ersten Vendée Globe: Dann segeln erstmals sechs Skipper die riesigen 105-Fuß-Ultim-Trimarane um die Welt. Einhand. Nonstop. Eine Herkulesaufgabe mit Booten, die locker 35 bis 40 Knoten schnell segeln und Top-Speed knapp unter 50 Knoten erreichen und an denen einfach alles riesig ist. Wer die Boote einmal in natura am Steg erlebt hat, wo sie schon so unfassbar gewaltig erscheinen, dass man sich klein und verloren fühlt, der wundert sich, wie ein einzelner Mensch eine solche Bestie in Seegang bei 35 Knoten Speed zähmen soll.

Einhand haben das nur vier Skipper und Skipperinnen auf der Welt bisher geschafft: Francis Joyon, Ellen MacArthur, Thomas Coville und Fracois Gabart – aber bei Rekordfahrten. Ein Rennen ist etwas völlig anderes: Mehr Druck, die Gegner im Nacken oder voraus enteilend – alles Stressfaktoren, die das Rennen wohl um ein Vielfaches härter machen, die Skipper zu mehr Risiko verführen werden. Die YACHT hatte vor dem Start exklusiv Gelegenheit, mit Charles Caudrelier, dem Skipper des Gitana-Teams zu sprechen, der mit seiner “Edmond de Rothschild” als Top-Favorit auf den Sieg gilt.

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Sie haben das Volvo Race, Transat Jacques Vabre, Route du Rhum gewonnen – ist das Rennen einhand um die Welt der Höhepunkt Ihrer Karriere?

Als ich mit dem Segeln anfing, war es mein ultimativer Traum, ein Einhand-Nonstop-Rennen rund um die Welt zu segeln. Damals habe ich natürlich an die Vendée Globe gedacht. Es konnte sich ja niemand vorstellen, dass die wohl faszinierendsten Offshore-Boote der Welt fliegend um die Welt segeln könnten. In meinen wildesten Träumen hätte ich das nicht gedacht. Also: ja!

Nun ist es das erste Rennen der fliegenden Ultims, was ist als Skipper da die größte Herausforderung?

Das Rennen zu beenden. Wir haben drei Jules-Verne-Rekordversuche mit dem Boot gestartet und mussten alle wegen Schäden abbrechen. Die Boote sind so extrem schnell, so technisch komplex, dass Zuverlässigkeit eine große Herausforderung ist. Ich habe noch nie so lange Strecken mit dem Boot absolviert, weder mit Crew noch einhand. Einige meiner Gegner sind schon die Vendée Globe gesegelt oder sogar um die Welt mit einem großen Tri, wie Thomas Coville. Die wissen, was sie erwartet. Auf einem Multihull hat man immer im Hinterkopf, dass man kentern kann. Wir segeln die ganze Zeit sehr, sehr schnell, 90 Prozent der Zeit sind wir mit 20 bis 30 Knoten unterwegs, das ist enorm anstrengend. Man ist nervös und angespannt, und das für vielleicht 45 Tage. Das erschöpft. Aber die Vendée Globe dauert viel länger, also ist es machbar!

Die Boote haben Sicherheitssysteme, um eine Kenterung zu verhindern, wie sehen die an Bord von „Edmond de Rothschild“ aus?

Das Wichtigste sind die smarten Autopiloten. Früher konnte man nur Windwinkel und Speed als Parameter einstellen, jetzt können wir Overlays programmieren, die etwa die Lage oder Beschleunigung begrenzen. Aber natürlich kann der Mensch das noch immer besser, ein Steuermann kann die Bö, die Wolke von weiter weg kommen sehen, das kann der Autopilot nicht. Aber jetzt gibt es auch ein Safety-Overlay, das ist ein großer Fortschritt. Da kann man zum Beispiel einen bestimmten Grad Lage als Grenzwert einstellen. Diese Boote werden sehr aufrecht gesegelt. Überschreitet man diesen Winkel, reagiert der Autopilot und luvt an oder fällt ab, je nachdem, auf welchem Kurs man gerade ist. Von hoch am Wind bis 100 Grad Windeinfallswinkel luvt das Boot dann an, ist man tiefer als 100 Grad, fällt das Boot ab. Das ist die eine Sicherheitsstufe. Reicht das nicht, greift die zweite: Dann wird die Großschot bei zu viel Druck automatisch gefiert. Das ist relativ einfach, da sie bei uns hydraulisch ist. Übersteigt der Druck eine Schwelle, öffnet das Ventil. Zusätzlich gibt es eine Sicherung auch für die Vorsegelschot. Das ist oft zuverlässiger als ein Mitsegler. Computer werden nicht müde.

Vergrößert die hohe Geschwindigkeit, die mit den Foils erreicht wird, das Risiko?

Im Gegenteil, die Boote sind mit den Foils viel sicherer. Vorher musste man sich ständig Sorgen machen, dass man sich mit dem Bug in eine Welle bohrt und sich das Boot überschlug. Mit „Edmond de Rothschild“ habe ich noch nie einen einzigen Stecker gefahren! Man ist einfach höher über dem Seegang, wegen der Foils und weil die Boote so groß sind. Früher hatte man bei viel Wind einfach immer Angst, nach einem Stecker zu kentern. Heute ist das größte Risiko, dass man mit dem Ruder Probleme hat oder etwas im Wasser rammt. Beim Start des Transat Jacques Vabre haben wir Ersteres gehabt. Das Ruder hat aus irgendeinem Grund versagt, das Boot ist praktisch im rechten Winkel in Sekunden angeluvt und hat eine Wende gefahren. Der Autopilot konnte nichts mehr machen, wir nicht mehr reagieren. Dann steckst du wirklich in Schwierigkeiten mit so einem Boot. Das ist eins der großen Risiken der Ultims. Aber der enorme Speed der Boote ist auch ein Sicherheitsfaktor: Du kannst schlechtes Wetter eigentlich immer umfahren.

Wann beginnt das Boot eigentlich zu foilen, hebt sich der 15-Tonnen-Rumpf?

Ab etwa 12 bis 14 Knoten Wind beginnt unser Boot zu foilen, das schaffen die anderen Teams teils nicht.

Wie wird das Boot eigentlich auf den Foils gehalten, wird da ständig über die T-Foils der Ruder und die Anstellwinkel der Hauptfoils eingestellt?

Wir können über ein Handrad im Cockpit den Anstellwinkel an den T-Foils relativ einfach regulieren, aber das ist nur etwas, was wir machen, wenn eine vollständige Crew an Bord ist. Einhand wäre das viel zu zeitraubend. Wenn das Boot anfängt zu foilen, stellst du etwa 2 bis 4 Grad Anstellwinkel am Foil ein, und wenn es dann höher kommt und schneller wird, wird das wieder reduziert. Man stellt dann einen durchschnittlichen Winkel für Foils und Ruder ein, der zum Seegang passt. Und natürlich müssen die Segel an den zunehmenden Speed angepasst werden. Es ist aber schon ein Spiel: Du kannst das Foil so einstellen, dass das Boot superstabil liegt, aber das ist dann langsam. Also versuchst du das Foil mit möglichst wenig Anstellwinkel oder Rake zu fahren. Sonst gibt es auch schnell Kavitations-Probleme an den Enden der Foils. Unsere ersten Foils hatten ab 37 Knoten Bootsspeed Kavitation. Mittlerweile haben wir neue, dort beginnt die erst bei 45 Knoten Speed. Ein enormer Sprung! Und da wird noch mehr kommen. In flachem Wasser kann ich leicht stundenlang über 40 Knoten fahren.

Wie groß sind eigentlich die Entwicklungssprünge der Boote? Bei SailGP gab es unlängst bei Versuchen mit einem neuen T- statt L-Foil an den Rümpfen eine Performance-Verbesserung von 15 Prozent. Werden die Ultims bald auch bald T- statt L-Foils haben als nächste Evolution?

Das ist mit den jetzigen Booten nicht möglich. Alle Teams haben die Boote so breit gebaut, wie es die Klasse zulässt, also 23 Meter. Ein T-Foil würde über die Bordwand hinausragen und damit die Klassenregel verletzen. Natürlich könnte man ein schmaleres Boot neu bauen, aber bislang haben alle Teams aus Sorge vor einer Kenterung so breit wie möglich gebaut. Doch viel wichtiger ist, dass T-Foils sich nicht selbst regulieren. Das können unsere Foils: Drückt sich unser Boot bei hohem Speed weiter aus dem Wasser, ist weniger Foil-Fläche im Wasser, und das Schiff kommt wieder etwas weiter herunter, wird etwas langsamer, bis wieder mehr Fläche im Wasser ist. Dann hebt es sich wieder. Das geht von selbst. Auf den America’s-Cup-Booten oder bei SailGP muss das T-Foil ständig über Motoren reguliert werden, sonst können die Boote schlagartig von den Foils fallen.

François Gabart sagte einmal, dass ein foilender Ultim sich im Vergleich zu einem foilenden Imoca viel angenehmer segelt. Die Foils würden wie Stoßdämpfer von einem Auto funktionieren.

Ja das ist so. Wenn wir foilen, berühren die Rümpfe bei Wellen bis etwa zwei Meter gar nicht das Wasser. Es gibt kaum Stöße. Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass ein Open 60 einen fast flachen Rumpf hat, damit er schnell gleitet, aber im Seegang enorm schlagen kann. Unsere Rümpfe sind enorm schmal und tief, wie Messer. Ein Imoca segelt im Vergleich zu unseren Ultims einfach furchtbar, das ist als Skipper schwer zu ertragen.

Was ist, wenn der Seegang höher als zwei Meter ist?

Ab etwa drei Meter Höhe wird es schwieriger. Und natürlich kommt es auf den Kurs an. Am Wind und auf Reach-Kursen ist auch mehr Welle kein Problem, da kannst du auch in drei bis vier Meter Welle 28 Knoten fahren. Downwind ist das schwieriger. Wenn du da beginnst, die Wellen zu überholen, tauchen die Foils oft aus dem Wasser und du fällst von ihnen. Unsere Boote brauchen aber generell nicht viel Wind. Mit knapp 20 Knoten Wind erreichen wir leicht den Top-Speed, ab etwa 23 Knoten wahrem Wind wird die Welle dann schnell zu hoch. Es ist auch wichtig, wie steil sie ist. Ist die Welle lang und fünf Meter hoch, macht uns das nichts aus. Ist der Seegang flach, fahren wir leicht 30 Knoten am Wind und über 40 Downwind. Ist die Welle sehr steil, können auch schon zwei, drei Meter zum Albtraum werden. Da ergibt es dann auch taktisch durchaus Sinn, größere Umwege zu fahren, nur um zu hohen Seegang zu vermeiden. Aber ganz klar, das ist der Bereich, wo wir in Zukunft am meisten entwickeln können und müssen: noch früher und in höherem Seegang länger foilen.

Wozu sind die neuen Boote eigentlich fähig, werden wir vielleicht eine Zeit unter dem Rekord von 42 Tagen, vielleicht unter 40 erleben?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Da wir einen festen Start-Termin haben, wird das Wetter nicht ideal sein, um möglichst schnell über den Äquator und zum Southern Ocean zu kommen. Bei unserem letzten Jules-Verne-Versuch haben wir den ganzen Winter auf ein gutes Wetterfenster für einen Rekord gewartet! Du brauchst erst einen nicht zu stürmischen Nordatlantik, dann eine Phase, in der das Band der Doldrums möglichst schmal ist, und zu guter Letzt noch ein Tiefdruckgebiet vor Brasilien, wenn du dort ankommst. Die Chancen dafür halte ich ehrlich gesagt für fast null. Unser Router Marcel von Triest sagte letzten Winter, dass das Wasser vor Brasilien so warm war, fast fünf Grad mehr als sonst, dass sich die Tiefdruckgebiete dort einfach nicht so richtig entwickelten, weil die kalte Luft aus dem Süden nicht weit genug nach Norden vorankam. In drei Monaten passte das dort nicht ein einziges Mal! Wir brauchen diese Tiefs aber, um schnell von Brasilien in Richtung Kap der Guten Hoffnung zu segeln.

Beim Rennen ist Outside-Wetter-Routing von Land erlaubt, fast jedes Team hat zwei, drei Spezialisten im Einsatz. Im Gegensatz zur Vendée Globe, bei der das komplett verboten ist. Wie sehr verlässt man sich als Skipper auf die?

Dass an Land zwei, drei Leute dafür verantwortlich sind, hat einen einfachen Grund. 45 Tage rund um die Uhr verfügbar sein und ständig nur Daten analysieren ist ein harter Job. Niemand will das allein so lange machen (lacht). Ich verlasse mich schon auf die Router, aber nicht blind, wir diskutieren viel. Ich muss ja verstehen, was der Plan ist, und muss die Taktik zu den Gegnern um mich herum im Auge behalten. Aber richtig ist: Bei der Vendée muss der Skipper das Routing völlig allein machen. Es gibt auch immer wieder Phasen im Rennen, wo das so viel Zeit kostet, dass man sieht, das Boot wird nicht optimal an seinem Leistungspotenzial gesegelt. Das ist bei uns anders: Wir versuchen auch einhand 95 Prozent aus dem Boot zu holen, das kostet eben auch Zeit. Es ist also mit Router nicht einfacher, die Gewichtung der Aufgaben verändert sich nur, ich verwende viel mehr Zeit auf die Performance des Bootes als ein Vendée-Skipper.

Wie schwer muss man sich auf einem so riesigen Ultim eigentlich die Manöver vorstellen? Was sind die schwersten und wie lange dauern sie?

Ausreffen ist hart. Das bedeutet eine halbe Stunde härteste Arbeit am Grinder. Und ein Wechsel der großen Vorsegel, etwa den Code Zero. Das gerollte riesige Segel herausholen, anschlagen, dann in den Masttopp hochziehen. Dann wenden. Danach das neue Segel setzen und das alte einrollen, bergen und verstauen. Alles dauert mindestens eine Stunde. Das ist ein Albtraum, danach bist du völlig fertig. Auf diesen Booten ist eben alles riesig, braucht enorm viel Kraft. Seine eigenen Kräfte richtig einteilen, im richtigen Moment Pausen machen und essen, das ist enorm wichtig. Das ist genau der Punkt bei Ultims: Es nützt nichts, wenn du das schnellste Boot hast, aber nur 85 Prozent der Leistung abrufst, weil du erschöpft bist oder deine Manöver schlecht sind. Die Kräfte auf den Booten sind so enorm, dass ich zum Beispiel die Vorsegel während voller Fahrt nicht trimmen kann. Wenn voll Druck im Segel ist und die Schot des J2 (Genua 2) zwei Zentimeter dichtgeholt werden muss, geht das nur, indem das Boot kurz in den Wind gestellt wird, sonst ist das nicht zu schaffen. Das Großsegel geht über den Traveller leichter.

Wie wichtig sind dann gute Manöverabläufe für die Performance?

Enorm wichtig! Als ich 2022 die Route du Rhum gewonnen habe, habe ich in Führung liegend mit einigen guten Halsen fast 20 Meilen auf meine Verfolger gutgemacht, weil die richtig miese Manöver gefahren sind. Die Wenden sind auch teils kritisch. Die sind mit einem foilenden Ultim-Multihull manchmal genauso schlimm wie mit einem Strandkat. Wenn du sie nicht richtig fährst, bleibst du in der Wende stehen oder fährst sogar rückwärts! Dann musst du den Traveller lösen, die Schoten öffnen und danach natürlich auch wieder dichtholen. Da kann man leicht eine halbe Stunde oder zehn Meilen verlieren! Das ist „Sodebo“ beim Start des Transat Jacques Vabre gerade passiert. Auf dem Weg zur ersten Marke haben die so zehn Meilen verloren.

Nachdem Sie und Ihr Boot die Klasse einige Jahre dominiert haben, schien zum Schluss der Abstand geringer geworden zu sein. Wie schätzen sie die Gegner ein?

Jedes Boot hat seine Stärken und Schwächen. Wir haben im Sommer auch zusammen trainiert, daher wissen wir ungefähr, wo wir stehen. In viel Wind scheint „Sodebo“ etwas langsamer zu sein. „Banque Populaire“ war dagegen beim Transat gerade Downwind in hohem Seegang sehr schnell. Was Sinn ergibt, weil das Boot Foils hat, die nicht auf High-Speed, aber für viel Stabilität ausgelegt sind. Das heißt, sie sind in wenig Wind und Seegang etwas schwächer, dafür stark bei viel Wind. Bei „SVR Lazartigue“ ist es genau umgekehrt. Ihre Foils sind extrem auf Speed ausgelegt, deswegen ist das Boot in leichtem Wind und am Wind sehr schnell. Wird der Seegang höher, ist es dann schwieriger, im Foil-Modus zu bleiben. Das Boot hat beim Transat aber einen Bruch am vorderen Beam davongetragen, da stellt sich natürlich die Frage nach der Stabilität. Unser Boot ist auch sehr schnell, vor allem im leichten Wind. Ich würde sagen „Banque Populaire“, „SVR Lazartigue“ und wir sind drei Boote, die von der reinen Performance her um den Sieg fahren. „Sodebo“ hat einen kleinen Performance-Nachteil. Aber Thomas (Coville) ist der einzige Skipper, der schon mehrfach erfolgreich mit so einem großen Tri einhand um die Welt gesegelt ist. Vielleicht macht das den Unterschied. Wir werden sehen.


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