Tatjana Pokorny
· 22.11.2023
“Your German boys are coming in hot – Eure deutschen Jungs drehen im Finale noch einmal auf”, entfuhr es einem schottischen Transat-Reporter zur Wochenmitte beim Blick auf Transat-Tracker und die Windprognosen fürs Class-40-Finale. Tatsächlich scheint sich in der Flotte der kleinsten Transat-Boote ein packendes Finale zu entspinnen. Es ähnelt ein wenig dem Imoca-Krimi, in dem viele Duelle erst mit der Zielankunft entschieden wurden und die stürmischen “Nordreiter” Justine Mettraux/Julien Villion im Kampf um Platz sechs noch Boris Herrmann und Will Harris auf “Malizia – Seaexplorer” mit 65 Sekunden Vorsprung im Ziel hatten abfangen können.
In der Class 40 ist nun ebenfalls alles angerichtet für einen packenden Showdown. An der Spitze des Feldes ringen die Favoriten Xavier Macaire/Pierre Leboucher (”Groupe Snef”), Ian Lipinski/Antoine Carpentier (”Crédit Mutuel”) und Ambrogio Beccaria/Nicolas Andrieu (”Alla Grande Pirelli”) um den Sieg auf der zweiten, großen Atlantik-Etappe des Transats. Interessant: Die führende “Snef”-Crew hat sich bei der Ansteuerung von Martinique zwischen dem schnellsten und auf Platz zwei liegenden Nordboot “Crédit Mutuel” und dem schnellsten, auf Platz drei liegenden Südboot “Alla Grande Pirelli” einsam und allein mittig positioniert. Nur 35 Seemeilen trennten die Top Drei bei einer Nord-Süd-Separation von mehr als 500 Seemeilen.
Um Martinique herum ließen die Winde am Mittwochvormittag zunehmend nach. Die große Frage: Nord, Mitte oder Süd – wer macht das Rennen in der Class 40? Die “Sign for Com”-Co-Skipper Lennart Burke und Melwin Fink hatten sich mit nur sechs Booten für die Nordroute entschieden. Auch, weil sie angesichts ihres großen Rückstands nichts mehr zu verlieren hatten und noch einmal angreifen wollten. Was zunächst nicht vielversprechend lief, entpuppt sich nun zumindest als Chance, im Klassement doch etwas weiter vorzustoßen.
Das junge Next Generation Sailing Team war zuletzt auf Platz 19 vorgefahren. Ob bei verbleibenden 525 Seemeilen bis ins Ziel die rund 60 Seemeilen Rückstand auf die vor ihnen liegende “Project Rescue Ocean” (Südgruppe) oder noch mehr aufzuholen sind, muss sich zeigen. Zuletzt waren Burke und Fink bei zwölf Knoten Speed fast doppelt so schnell unterwegs wie die Boote im Süden. Nach letzten Informationen wird “Sign for Com” am 24. November im Zielhafen Fort-de-France erwartet. Am Donnerstag dürfte bereits die Entscheidung im Kampf um den Etappensieg fallen.
Allerdings werden die offiziellen Bestätigungen der Class-40-Platzierungen auf sich warten lassen. Das haben die Veranstalter bereits angekündigt. Zur Ermittlung der Endplatzierungen müssen die Zeiten der Auftaktetappe und des großen Atlantik-Ritts in der Class 40 addiert werden. Dabei gibt es Strafen aus Etappe eins sowie durch die Jury ausgesprochene Wiedergutmachungen zu berücksichtigen.
Für Lennart Burke und Melwin Fink bringt das aktuelle Szenario auf See mindestens noch einmal neue Angriffslaune. In einem Team-Statement hieß es am Vormittag des 22. November: “Die Aufholjagd hat begonnen – doch wird es noch reichen?” Nach schlaflosen Nächten kämpfen sie weiter. Die “Sign for Com” sei nach wie vor in einem Top-Zustand, hieß es von Bord. Dass die Hauptetappe des nur für die Class 40 zweigeteilten Rennens bereits über zwei Wochen andauert, ist auch der wachsenden Sehnsucht der Teams zu entnehmen, den Hafen zu erreichen.
“Die beiden freuen sich sehr darauf, endlich in Martinique anzukommen”, hieß es in der Teammeldung am Mittwochmorgen. Und weiter: “Beide sehnen sich nach einer richtigen Dusche, einem weichen Bett und vor allem gutem Essen. Selbst die Naschereien an Bord werden langsam knapp und sind daher streng rationiert, damit es bis zum Ziel reicht. Generell ist die Stimmung an Bord aber weiterhin sehr gut. Die Feuerprobe von Lennart und Melwin, die vorher noch nie so eine lange Zeit nur zu zweit auf dem Boot waren, scheinen sie erfolgreich zu bestehen. Aktuell planen die beiden, in der Nacht vom 23. auf 24. November (karibischer Zeit) anzukommen.”
Zur Ortszeit sind aus deutscher Sicht fünf Stunden zu addieren, sodass man für Freitag mit “Sign for Com” in Fort-de-France rechnen darf. Gleichzeitig hatte der Kieler Andreas Baden mit seinem französischen Imoca-Skipper Fabrice Amedeo auf “Nexans – Art & Fenêtres” am Mittwochvormittag noch rund 450 Seemeilen bis ins Ziel zu meistern. Das deutsch-französische Duo lag dabei weiter auf Platz 28.
Am Vortag hatte Andreas Baden das Rennen und den eigenen Einsatz in einem ausführlichen Bordbericht beleuchtet:
“Das Ziel ist in Sichtweite. Der Endspurt ist eingeläutet. Doch ist es mehr als das Erreichen der Ziellinie eines Rennens. Rückblick: Vor einem Jahr dachte ich noch, es wird langsam Zeit, die Atlantik-Rennen anzugehen, den Schritt nach vorne zu machen von den Inshore-Races und 600-Seemeilen-Klassikern. Dann kam Ende November die WhatsApp eines befreundeten Navigators: Er bekäme keinen Urlaub für das Rorc-Transatlantik-Rennen im Januar, ob ich einspringen könne. Spontan eingesprungen, ging es am 3. Januar nach Lanzarote, um von dort zur Hatz über den Atlantik anzusetzen. Traumbedingungen. Nach nur zehneinhalb Tagen kreuzten wir mit dem 52-Fußer als Podiums-Dritter die Ziellinie in Grenada. Was ein Jahresauftakt.
Ein Segler aus dem Guyot Team Europe fragte, ob ich Interesse habe, das Transat Jacques Vabre zu segeln” (Andreas Baden)
Ab Februar folgte dann intensive Arbeit für meine andere Passion: Nachhaltigkeit und Energiewende. Mein Thema ist seit 2018 insbesondere die Wärmewende. Die Bereitstellung von Wärme ist einer der größten CO2-Verursacher im privaten Sektor. Und da ich der festen Überzeugung bin, dass Worte nicht reichen, Verbote und Gesetze nicht helfen, wenn man das Nachhaltigkeitsrennen gegen den Klimawandel gewinnen will, brauchen wir Taten. Also handeln. Es sind lange Prozesse. Projekte, die ich schon 2018 in dem Zusammenhang von anderer Seite beraten habe, gilt es nun, bei Antragstellung und Umsetzung zu unterstützen. Aktiv zur Emissionsvermeidung beitragen und Kommunen bei dem Bau von Wärmenetzen und alternativen Lösungen zu unterstützen. Sinnstiftende Arbeit, die einen gut schlafen lässt, denn man selber ist die Veränderung, die wir brauchen, die so oft marketingwirksam gefordert wird.
Und dann wieder eine WhatsApp. Es ist gerade Ocean-Race-Zwischenstopp in Århus. Ich hatte noch überlegt hinzufahren, mich dann aber dagegen entschieden. Ein Segler aus dem Guyot Team Europe fragt, ob ich Interesse habe, das Transat Jacques Vabres zu segeln. Auf einem Imoca. Es ist wie immer im Segelsport: hart arbeiten, um alle Skills vorzuhalten, und dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ja, ich würde mir das schon anhören. Eine Stunde später dann die erste WhatsApp von Fabrice.
Fabrice und ich sind von Anfang an auf einer Wellenlänge mit einem gemeinsamen Ziel” (Andreas Baden)
Mitte August wurde dann das neue Kapitel final aufgeklappt. Ich habe alles, was ich bis Ende des Jahres brauche, im Bulli verstaut und machte mich auf den Weg Richtung Bretagne. Einer dieser ‘Happy Places’, landschaftlich ein Traum und seglerisch eine Hochburg mit Potenzial. Was dann kam: anders als erwartet, aber dazu ein anderes Mal mehr. Immerhin: Fabrice und ich sind von Anfang an auf einer Wellenlänge mit einem gemeinsamen Ziel. Start und Zieldurchgang im TJV.
Und nun kommt die Ziellinie unaufhaltsam näher. Der Imoca pflügt wie die letzten Tage auch schon unaufhaltsam durch den Atlantik. Wir leben hier in unserer eigenen kleinen Welt. Seit Tag drei des Rennens bin ich auch final angekommen. Fühle mich pudelwohl und genieße die Arbeit. Und jetzt ankommen. Muss das schon sein? Die Zeit hier draußen ist was ganz Besonderes. Sie gibt mir viel Energie und Kraft, während der Rhythmus natürlich gleichzeitig auch Kraft kostet.
Ich fühle mich ein wenig wie Frederick die Feldmaus aus dem Kinderbuch” (Andreas Baden)
Ich fühle mich ein wenig wie Frederick, die Feldmaus aus dem Kinderbuch. Während alle anderen Feldmäuse Vorräte für den Winter sammeln, macht Frederick das auch. Aber besondere. Er sammelt nicht Nüsse und Getreide, sondern Farben, Sonnenstrahlen und Wärme. Im kalten Winter wird er mit seinen Geschichten über Sonne und Wärme die anderen Mäuse wärmen, sie mit Geschichten über die Farben aufmuntern. Für mich ist Zeit auf dem Wasser schon seit Jahren wichtiger Energie- und Ideenlieferant. Meine Familie und Freunde haben das dankenswerterweise verstanden und unterstützen mich, wenn ich mal wieder raus muss, um Geschichten und Eindrücke zu sammeln.
Hier draußen retten wir nicht die Welt. Okay, wir versuchen mit dem Oceanpac und der rein erneuerbaren Energieversorgung zumindest einen Anteil zu leisten. Aber wir sammeln Geschichten und Erfahrungen, die sich in den Alltag an Land übertragen lassen und gerade mit Hinblick auf die Arbeitswelt mit ihren Analogien wertvolle Impulse geben können.
Die Würfel sind gefallen, die Halse gen Martinique vollzogen” (Andreas Baden)
Mit der Zielankunft in wenigen Tagen wird ein Kapitel beendet. Ein neues wird aufgeklappt mit noch leeren Seiten, die es zu füllen gibt. Ideen gibt es viele. Die Energie, diese umzusetzen, durfte ich die letzten Tage hier draußen sammeln. Ein neues Kapitel wird mich sicher wieder hier herausführen. Aber auch das Thema Nachhaltigkeit und Energie wird ein wichtiger Bestandteil bleiben (…).
Nach all dem stellt sich in dieser Nacht alleine auf dem Achterdeck die Frage: Wie wird es sich anfühlen anzukommen, das Kapitel Transat Jacques Vabre zuzuklappen? Es war und ist ein intensives. Ein schönes. Ich habe viel erlebt und neue Freunde gefunden. Menschen haben erste Eindrücke bestätigt und andere sich als wahre Helden herausgestellt. Das Ankommen ist alternativlos. Aber das ist auch gut so. Denn die gesammelten Geschichten und Emotionen wollen ja auch weitergegeben werden.”
In seiner jüngsten Botschaft von Bord kommentierte Andreas Baden am Mittwochvormittag die Ansteuerung von Martinique:
“Die Würfel sind gefallen, die (finale?) Halse gen Martinique vollzogen. Bei Sonnenaufgang des 15. Tages auf See, just als die ersten Sonnenstrahlen sich am Horizont aus den Tiefen des Meeres herauswagten, haben wir gehalst. Kurs Martinique!? Noch nicht ganz. Aktuell ist es noch ein ‘near miss’ (dt.: knapp verpasst). Aber wenn, so der Plan, der Wind in drei Stunden leicht dreht, trägt uns eine hoffentlich bald wieder zunehmende Brise direkt dem Ziel entgegen. Noch eine Nacht auf See, so das aktuelle Routing. Nach derzeitigem Routing werden wir morgen Abend (Redaktion: in der Nacht zum Freitag deutscher Zeit) ankommen. Hoffen wir, dass der Wind wie vorhergesagt wieder zunimmt und dreht, sodass wir uns zügig der Ziellinie entgegenschieben können.”
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