Route du RhumBärenstarkes Podium in der Imoca-Klasse

Jochen Rieker

 · 21.11.2022

Fabelhafter Dritter auf dem schnellsten der neuen 2022er Imocas: Jérémie Beyou mit "Charal 2"
Foto: RDR 2022/V. Olivaud
Die Top 3 der Open 60: Thomas Ruyant, Charlie Dalin, Jérémie Beyou

Heute Vormittag komplettierten nach dem Sieg von Thomas Ruyant in der Imoca-Klasse der Route du Rhum zwei weitere Top-Favoriten das Podium. Charlie Dalin auf “Apivia” wurde mit nur rund zwei Stunden Rückstand Zweiter. Auf Platz drei reihte sich Jérémie Beyou mit “Charal 2” ein, dem besten Boot der 2022er Generation. Kevin Escoffier wurde auf “PRB-Holcim” starker Vierter. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es bei den Open 60 künftig noch enger wird, noch ambitionierter

Die Erschöpfung stand ihm ins Gesicht geschrieben, so wie allen Soloskippern, die heute über die Linie vor Pointe-à-Pitre segelten. Und eigentlich hätte ihm zum Weinen zumute sein müssen.

Doch Charlie Dalin, der in dieser Saison bisher jedes Rennen gewonnen hatte, der uneinholbare Imoca-Champion 2022, der Mann, der das Klassement der Route du Rhum zehn Tage lang überlegen angeführt hatte, um am Ende, wie schon bei der Vendée, wie schon voriges Jahr bei der Transat Jacques Vabre, nur Zweiter zu werden – er lachte.

Charlie Dalin, die meiste Zeit in Führung liegend, verpasste den erhofften Sieg, zeigte sich aber dennoch zufriedenFoto: RDR 2022/A. Courcoux
Charlie Dalin, die meiste Zeit in Führung liegend, verpasste den erhofften Sieg, zeigte sich aber dennoch zufrieden
Das ist nicht die Position, die ich mir erhofft hatte”, sagte er in die Kameras und Mikrofone, die ihm am Dock entgegen gereckt wurden, “aber bei so einer Begrüßung kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.”

Fast wirkte er erleichtert. Und das war er sicherlich auch, zumindest physisch und mental. Denn die letzten zwei Tage waren ein wilder Ritt am Rande von Bruch und Kontrollverlust, so böig, so stark war der Passat in der Schlussphase dieser insgesamt extrem fordernden Route du Rhum.

“Das Rennen hat gut für mich begonnen”, rekapitulierte Dalin. “Die Manöver liefen prima, aber ich erwischte nie einen Übergang (von einem Wettersystem zum nächsten, die Red.), der es mir ermöglicht hätte, mich abzusetzen.” Wie er einräumte, hatte er auch mit einem technischen Handicap zu kämpfen. Sein Grinder fiel schon kurz nach dem Start aus, sodass er die Winschen im überdachten Cockpit direkt bedienen musste. Das hatte er aber geflissentlich für sich behalten, um seine Konkurrenten nicht unnötig stark zu machen.

Auch nach dem Verlust der Führung, der vor allem auf das bessere Raumschots-Potenzial von Thomas Ruyants “LinkedOut” zurückzuführen ist, gab Charlie Dalin nie klein bei. In der Annäherung an Guadeloupe kämpfte er sich wieder bis auf 15 Seemeilen heran. Aber es sollte nicht reichen.

“Heute Morgen hat (Thomas) zwei Sturmböen genutzt und ist davongekommen. Ich hatte mich auf ein Duell rund um die Insel gefreut. Ich dachte, er könnte (im Lee der Insel) stehen bleiben, aber für ihn lief alles wie bestellt.”

Dieses Rennen ist ein Sprint. Ich hatte keine Zeit, etwas anderes zu tun, als mich auf das Segeln zu konzentrieren.”

Wie fordernd die Schlussphase war, verdeutlicht dieses Zitat: “Heute Morgen war ich extrem müde und habe nicht wirklich viel von der Küste Guadeloupes gesehen. Man muss immer dranbleiben. Du erschöpfst dich, machst ein paar Nickerchen. Im Solitaire du Figaro geht das über drei, vier Tage in Ordnung, aber elf Tage – das ist hart. Der zweite Teil besonders. Normalerweise hat man Zeit, Fotos zu schicken, sich zu rasieren, aber nicht bei diesem Rennen. Lücken können sich mit diesen Booten schnell erweitern oder schließen.”

Und dann ging er doch noch auf den verpassten Sieg ein, der die Krönung seines Wegs mit diesem Boot gewesen wäre, das perfekte Ende eines perfekten Jahres: “Es fällt mir schwer, nicht den ersten Platz erreicht zu haben. Früher wäre ich gestresster gewesen, aber ich bin hier gefahren, als wäre es ein Figaro. Ich liebe diesen Sport immer noch. In den Passatwinden zu segeln, während das Boot dahingleitet, ist fantastisch.”

Ich habe das Glück, einen solchen Job und ein solches Boot zu haben.”

Dalin segelte die 3.542 Meilen der theoretischen Rennstrecke zwischen Saint-Malo und Pointe-à-Pitre mit einer Geschwindigkeit von 12,49 Knoten. Tatsächlich loggte er 4.353,88 Meilen und erreichte dabei trotz des hohen Amwind-Anteils in der Anfangsphase einen beachtlichen Durchschnitt von 15,35 Knoten.

Aus dem Stand Platz 3: Warum Jérémie Beyou Grund hat, glücklich zu sein

Fahle Gesichtsfarbe, tiefliegende Augen: Jérémie Beyou waren wie seinen Konkurrenten die Strapazen des Rennens anzusehenFoto: RDR 2022/A. Courcoux
Fahle Gesichtsfarbe, tiefliegende Augen: Jérémie Beyou waren wie seinen Konkurrenten die Strapazen des Rennens anzusehen

Nicht nur Dalin musste den erhofften Sieg verschmerzen. Auch Jérémie Beyou hielt bis zum Schluss die Spannung hoch. Er kam nur rund anderthalb Stunden nach Dalin als Dritter ins Ziel. Am Sonntag hatte er trotz des irre hohen Tempos der beiden Spitzenreiter den Rückstand noch verkürzen können, mit Etmalen von mehr als 450 Meilen – ein mögliches Indiz dafür, dass das V-Ruder, das am Heck wie ein Höhenleitwerk fungiert und seine “Charal 2” mit dem Rumpf komplett abheben lässt, ein echter Wettbewerbsvorteil sein könnte.

Das war was”, sagte der durchtrainierte Bretone. “Ich weiß nicht, wann ich zuletzt geschlafen habe.”

Gestern wollte er noch einmal Kraft tanken, Ruhe finden. Vergeblich. ”Ich konnte einfach nicht einschlafen. Die Passatwinde waren so instabil. Man kann auf dem Boot bei solchen Bedingungen nicht essen, nicht schlafen oder irgendetwas tun.”

Vor Ruyants furiosem Finish verneigte sich Beyou: “Thomas war so entschlossen, so getrieben. Ich konnte seine Geschwindigkeit nicht finden. Ich glaube nicht, dass wir viel mehr Gas geben können als vor allem gestern. Es war ein echter Wettkampf. Ich war ein, zwei Tage nicht gut, und Thomas war unerbittlich. Er war genau diese eine Stufe über uns.”

Über seine “Charal 2 sagte er: “Ich habe mich noch nicht ganz daran gewöhnt. Auf dem alten Boot ging alles wie von selbst. Wir suchten mit dem neuen Design nach mehr Geschwindigkeit, und das bedeutet ein heftigeres Boot. Elf Tage davon sind hart. Du versuchst, vernünftig zu sein, aber manchmal konnte ich nicht widerstehen. Du denkst zweimal darüber nach, in einem neuen Boot mit 35 Knoten zu fahren. Wenn du es geschafft hast, ist es ein Riesenschritt nach vorn. Wir müssen sehen, was sie leisten kann, wenn sie unter allen möglichen Bedingungen um die Welt segelt.

Du musst am Ball bleiben, wenn die anderen hart pushen. Wenn du es nicht tust, ist es vorbei für dich.”