Zum ersten Mal in der Geschichte des Rolex Sydney Hobart Race hat eine Seglerin den Tattsersall Cup für den IRC-Gesamtsieg gewonnen. Gemeinsam mit dem französischen Figaro- und Fastnet-Sieger Alexis Loison hat Jiang Lin im australischen Weihnachtsklassiker über 628 Seemeilen den großen Pokal abgeräumt. Zusammen sind sie auch die erste Zweihand-Crew und das erste Mixed-Duo, das das Rennen von Sydney nach Hobart in seiner 80-jährigen Geschichte gewinnen konnte.
Vorausgegangen war der Entscheidung erst ein packendes Rennen in teilweise harschen Bedingungen, in denen 35 der 128 gestarteten Yachten im 80. Rolex Sydney Hobart Race aufgeben mussten. Dann folgte eine Protestentscheidung an Land. Erst hatte am 30. Dezember die “Min River”-Crew einen Protest gegen die befreundete Crew auf der etwas größeren JPK 10.80 “BCN - my::Net / Leon” eingereicht. Dann folgte eine Erklärung der “BCN”-Zweihandcrew Michel Quintin und Yann Rigal, die in einem Bericht einräumten, dass sie auf den letzten zwei Seemeilen auf Kurs Ziellinie vor dem Wind Artikel 55.3 der Australischen Regattaregeln nicht eingehalten hatten.
In dieser Phase hatte die Crew ihren asymetrischen Spinnaker A 1.5 gesetzt. Dabei war der Segelhals ganz klassisch am Bugspriet angeschlagen und das Schothorn durch den Spinnakerbaum nach Luv ausgebaumt. Die Jury stellte fest, dass der Spinnakerbaum an einer Stelle, an der bei aufrechtem Boot eine vertikale Linie außerhalb des Rumpfes oder Decks liegen würde, einen nach außen gerichteten Druck auf das Segel ausübte – nicht regelkonform. Dieses Segel-Setup nutzte die Crew auf “BCN - my::Net / Leon” nur auf den letzten zwei Seemeilen, wodurch die Crew etwa drei bis fünf Minuten gegenüber einem regelkonformen Setup gewonnen hat.
Die Jury konnte aber keinen absichtlichen Regelbruch erkennen. Insbesondere nicht vor dem Hintergrund, dass die nicht erlaubte Segelkonfiguration ausgerechnet in der Finalphase genutzt wurde, in der das Boot im Rampenlicht von Kameras und vor den Augen vieler Beobachter segelte. Die Internationale Jury verhängte daher eine Ermessensstrafe und stellte dabei laut eigener Erklärung sicher, dass “mögliche Leistungsvorteile berücksichtigt werden und eine angemessene Strafe für den Regelverstoß verhängt wird”. Die ausgesprochene Zeitstrafe von 1 Stunde und 5 Minuten kostete “BCN - my::Net / Leon” den Sieg, nicht aber den Podiumsplatz. Hier geht es zur Jury-Entscheidung.
Die Zeitstrafe sorgte dafür, dass die ersten beiden Boote der IRC-Gesamtwertung im Kampf um den Tattersall Cup ihre Plätze tauschten und “Min River” zur Gesamtsiegerin aufstieg. Die 60 Jahre alte Eignerin und Skipperin Jiang Lin, die ihre JPK 10.30 “Min River” 2023 erworben hatte, sagte nach der Entscheidung, sie sei nicht mit Sieghoffnungen in das Rennen gestartet. Für das bestmögliche Ergebnis habe sie den Sieg in ihrer Division gehalten. Jiang Lin sagte: “Ich hatte keine Hoffnungen auf den Sieg. Man denke an all die mehr als 100 Boote da draußen, all die Big Boats und die hervorragenden Segler.”
Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich gedacht, dass dies für mich wahr werden würde.” Jiang Lin
Erst in den letzten eineinhalb Tagen des Rennens war klargeworden, dass es “Min River” und “BCN - my::Net / Leon” sein würden, die sich bis ins Ziel ein packendes Duell um den IRC-Gesamtsieg liefern würden. Dabei hatten Jiang Lin und Alexis Loison das Rennen auf dem Wasser ursprünglich als Zweite in der IRC-Wertung beendet, bevor das Protestergebnis und die Zeitstrafe gegen “BCN - my::Net / Leon” die beiden besten IRC-Boote im 80. Rolex Sydney Hobart Race für den Platzierungstausch sorgte.
„Ich habe es noch nicht ganz realisiert. Vielleicht wache ich auf und sage: ‚Oh, das war nur ein Traum‘”, sagte Jiang Lin bei der Siegerehrung. Ihr Co-Skipper Alexis Loison vergoldete sein ohnehin schon herausragend erfolgreiches Jahr mit seinem ersten Sieg im Rolex Sydney Hobart Race. Auch er hatte vor Rennbeginn nicht mit diesem Triumph geliebäugelt, sagte: “Nein, ich habe nicht mit dem Sieg gerechnet.”
Wir hatten eine gute Strategie, nämlich sehr hart zu kämpfen. Wir haben viele Segelwechsel vorgenommen. Wir haben vergessen zu schlafen. Es ist verrückt, zu gewinnen. Wir sind stolz auf uns.” Alexis Loison
Auf die Frage zu möglicherweise gemischten Gefühlen nach dem Sieg am grünen Tisch sagte Jiang Lin: „Nein. Es ist, wie es ist – wir sind immer noch die Gewinner.” Auch würden sich der Protest und die Entscheidung nicht auf die Freundschaft zu den nun geschlagenen Rivalen auswirken. Jiang Lin sagte: “Wir essen morgen gemeinsam als Gruppe zu Abend. Ich habe bereits zugesagt, dass ich komme. Wir werden also gut trinken und feiern.“
Wie alle anderen Teilnehmer des Rennens empfanden auch die beiden Zweihandsegler und Gesamtsieger Teile dieser 80. Edition des Rolex Sydney Hobart Race als “ziemlich schwierig”. Der als hartgesottener Offshore-Stürmer bekannte Alexis Loison sagte: „Die ersten beiden Tage und die letzte Nacht waren sehr hart. Aber am Ende bleiben viele schöne Erinnerungen. Im Ziel wussten wir, dass wir sehr nah an einem sehr guten Ergebnis waren.“
Jiang Lin hatte schon an den Twilight- und Sunday-Sommerserien des Balmain Sailing Club teilgenommen. Der Verein hatte die in China geborene Späteinsteigerin in den Seesegelsport bereits 2015 – nur drei Jahre nachdem sie mit dem Segeln begonnen hatte – im Alter von 47 Jahren zum „Most Improved Keelboat Sailor“ (Seglerin mit der größten Leistungssteigerung) gekürt.
Jiang Lin hat sich immer für erstklassige Co-Skipper aus Frankreich und Australien entschieden, mit denen sie in Australien und im Ausland segelt. Auf die Frage, ob sie Loison bereits für die Rolex Sydney Hobart 2026 verpflichtet habe, lachte Jiang Lin und sagte: „Ähm, vielleicht.“