Tatjana Pokorny
· 24.10.2021
Mit der Preisverleihung für die erste Etappe ist das umstrittene Kapitel vorerst geschlossen. Etappensieger Fink ist schon bereit für den Transatlantik-Sprung
Die vergangene Woche zählte zu den schwersten in der 44-jährigen Geschichte des Mini-Transat: Eine nicht ideal umgesetzte Aktion der Wettfahrtleitung und ihren engagierten Crews auf den Begleitbooten, schwer umstrittene Jury-Entscheidungen und heftige Diskussionen bis hin zu offenen Anfeindungen in der sonst so eng miteinander verwobenen Mini-Klasse sorgten für Aufruhr. Die Emotionen schlugen in der urfranzösischen Wiege des Solosegelns hoch wie nie zuvor. Weil die Wettfahrtleitung ihrer Flotte auf der ersten Etappe mit Blick auf einen herannahenden Sturm das Einlaufen in Schutzhäfen nahelegt, das Rennen aber nicht offiziell abgebrochen hatte, war es in der Folge in der Flotte, bei den Ausrichtern und auch in der Internationalen Jury zu einer Bandbreite von Diskussionen, Streit, Vorwürfen und Entscheidungsfehlern gekommen, die in diesem Ausmaß ihresgleichen suchen.
Und das ist passiert: Während das Gros der Flotte der Schutzhafen-Empfehlung der Wettfahrtleitung auf Etappe eins in unterschiedlicher Weise und für unterschiedliche lange Verweildauer mit oder ohne Reparaturbedarf gefolgt war, zog Etappensieger Melwin Fink das Rennen durch. Mit ihm hätte das auch der Österreicher Christian Kargl getan, wenn ihn nicht ein Blackout seiner Bordelektrik doch noch zum Zwischenstopp bewogen hätte. Die Ursache für den Stromausfall – die Polarität des mobilen Solarpaneels war vertauscht, weshalb das 109-Watt-Paneel die Batterie nicht wie vorgesehen geladen hatte – hatte Kargl lange vor dem Einlaufen in den Hafen auf See ausgemacht und behoben, doch wollte er nicht ohne Strom und lieber ausgeruht in den Sturm segeln und hatte sich deswegen doch für einen Stopp in Viana de Castello entschieden. Repariert oder Teile ausgetauscht hat er im Hafen nicht. So war auch für ihn unter dem Strich ein wetterbedingter Halt. Die Mindestdauer für einen Stopp im Mini-Transat beträgt zwölf Stunden. Kargl stoppte 15 Stunden.
Im Ziel der ersten Etappe erfuhren Fink und Kargl von 19 Protesten konkurrierender Mini-Segler, die eine Zeitgutschrift erwirken wollten, weil sie der Empfehlung der Wettfahrtleitung gefolgt waren und sich nun um ein besseres Ergebnis gebracht sahen. Während die Wettfahrtleitung auch im Nachhinein mehrfach klarstellte, dass der angeratene Stopp, den eine Reihe von Skippern zu Reparaturen nutzte, eine Empfehlung und keine Anordnung war, entschied die Jury zunächst, dass alle gestoppten Boote eine pauschale Zeitgutschrift von 24 Stunden bekommen. Davon ausgenommen waren die vier führenden Proto-Segler, die zum Zeitpunkt des Entscheidungswirrwarrs längst auf und davon und von der Sturmwarnung gar nicht direkt betroffen waren. Ebenfalls ausgenommen wurden Etappensieger Melwin Fink ("SignForCom") und der Schotte Piers Copham ("Voiles des Anges"), der den Sturm mit backstehender Fock auf See abwartend abwetterte, weil er das Risiko einer Hafeneinfahrt als zu hoch bewertet hatte. Auch Christian Kargl wurde ausgenommen, weil sein Stopp zunächst irrtümlich als Reparaturstopp bewertet wurde. Persönlich angehört worden war er dazu ebenso wenig wie Fink oder Copham.
Die tatsächlichen Aufenthalte aller Boote nach Yellowbrick-Tracking entsprechend der Ergebnisliste vom 21. Oktober ergaben unter anderem diese Erkenntnisse: Fünf Boote stoppten kürzer als die 24 Stunden, die sie nun zunächst als Gutschrift erhalten sollten. Zehn von 64 Booten stoppten im nahe gelegensten Hafen, andere suchten alternative Schutzhäfen auf. Die Ein- und Auslaufzeiten waren daher sehr unterschiedlich. Manche Segler und Seglerinnen nutzten den Hafenaufenthalt zu Reparaturen, manche nicht. Diese und weitere Faktoren machen deutlich, dass die von der Jury zunächst ausgesprochenen Pauschalgutschriften keine geeignete und auch keine faire Maßnahme für eine Wiedergutmachung der sich auch unter dem Dach des Mini-Korpsgeistes benachteiligt sehenden Gestoppten sein konnten. Im Tauziehen um Regelwerk und Moral, in dem sich Fink, Kargl und auch Copham keiner Regelverletzung schuldig gemacht hatten, waren sie nun trotz sauber abgelieferter seemännischer Leistung zunächst die großen Verlierer.
Entsprechend stellten Fink, Kargl und Copham sowie weitere Segler Anträge auf Ergebnisüberprüfung und Anträge auf Wiedereröffnung des Verfahrens. Persönlich angehört wurden sie auch dazu nicht. Melwin Fink erhielt im weiteren Verlauf sogar schnellen und unbürokratischen Rat vom erfahrenen DSV-Regelberater Craig Mitchell. Finks Anträge auf Wiedereröffnung und Wiedergutmachung aber wurden mit dem schlichten Hinweis auf zu spätes Einreichen abgeschmettert. Was den 19-jährigen jüngsten Teilnehmer der Flotte kopfschüttelnd staunen ließ: "Das ist nicht richtig, denn ich habe meine Anträge zwölf Stunden nach Veröffentlichung eingereicht."
In einer am 23. Oktober veröffentlichten neuen Entscheidung hat nun die Internationale Jury die ursprüngliche Entscheidung überholt. In der entsprechenden Veröffentlichung zur "Wiederaufnahme der Fälle 2-20" heißt es kurz: "Signifikanter Fehler: Boote müssen entsprechend ihrer Rennzeiten abzüglich der Stopover-Zeiten bei einem Maximum von 24 Stunden gelistet werden." Im Ergebnis zeigt sich, dass nun auch Christian Kargls Hafenstopp mit immerhin 14 Stunden abgezogen wurde. Persönlich angehört worden ist er auch dazu nicht. Durch die jüngste Entscheidung rückte der im Etappenziel zweitplatzierte Österreicher nach zwischenzeitlichem Abrutschen auf Platz 13 in Folge der Entscheidungen am grünen Tisch immerhin wieder auf Platz drei vor. Etappen-Zweiter ist nun auf dem Papier der Franzose Hugo Dhallenne auf "YC Saint Lunaire". Der Renn-Co-Favorit hatte nicht protestiert und während seines Stopps auch rapariert. Dennoch wurde ihm eine Gutschrift zuteil. "Ihm persönlich ist daraus keinerlei Vorwurf zu machen", sagt Melwin Fink, dessen ursprünglich in fordernden Bedingungen ersegelter Vorsprung von mehr als einem Tag nun auf unter zwei Stunden vor Dhallenne zusammengeschmolzen ist.
Fink hätte nach der jüngsten Entscheidung und dem veränderten Ergebnis für Kargl theoretisch erneut die Möglichkeit von Anträgen auf Wiedereröffnung des Verfahrens und Wiedergutmachung gehabt. Schon, weil er sich keines Vergehens schuldig gemacht hat, nun aber zu den Hauptleidtragenden der Entscheidungskette zählt, weil seine Leistung ohne Eigenverschulden erheblich geschmälert wurde. Doch der junge Segler hat genug. "Die Entscheidungen sind aus meiner Sicht zwar nicht verhältnismäßig und nicht ganz fair. Ich habe ein bisschen gelitten. Das ist jetzt halt so. Ich werde das aber nun abhaken und möglichst nicht mehr groß darüber nachdenken. Das kriege ich hin. Für Christian ist es gut, dass die Zeiten angepasst wurden. In seine Richtung ging wirklich gar nicht, was da entschieden wurde." Die intensive Berichterstattung der französischen Medien hat Melwin Fink als ausgewogen und fair erlebt hat. Die Frage danach, was für ihn unter dem Strich bleibt, beantwortete der für sein Alter erstaunlich besonnen agierende Youngster bei seiner bewegten Mini-Transat-Premiere nicht ohne Ironie: "Jetzt kennen mich alle." Die von vielen Mini-Seglern mit gemischten Gefühlen erwartete Siegerehrung verlief am Samstagabend in Santa Cruz de La Palma freundlich, berichten Fink und Kargl. "Es waren zwar einige nicht da, aber die Siegerehrung war schön, die Leute alle fair", sagt Fink.
An Land konzentriert sich Fink parallel zum Proteststurm längst auf die zweite Etappe, auf seine erste Atlantik-Überquerung als Solist mit der vier Jahre alten "SignForCom". "Das Boot ist bereit. Viel war ja nicht zu machen, weil es die erste Etappe sehr gut überstanden hat. Wir haben vor allem das Tauwerk geprüft und ergänzt wo nötig sowie grundsätzlich alles gründlich gecheckt. Ich plane voraussichtlich mit Verpflegung für 20 Tage, auch wenn wir die Etappe hoffentlich in 15, 16 Tagen absolvieren können. Aktuell deutet einiges auf leichte Winde und Flautenfelder und damit alles auf eine Südroute hin. Aber bis zum Start dauert es ja noch etwas." Darauf bereiten sich auch die weiteren deutschen Starter intensiv vor: "Vorpommern"-Skipper Lennart Burke geht als Neunter hoffnungsfroh in Teil zwei. Proto-Skipperin Lina Rixgens will nach den technischen Rückschlägen auf Etappe eins mit ihrer "Avanade" das bestmögliche Ergebnis rausholen. "Ich kann mich nach meinem doppelten Ruderschaden nur noch auf eine schöne zweite Etappe freuen und versuchen, das Beste daraus zu machen", sagte Rixgens. Marc Eric Siewert geht den Sprung über den großen Teich als 24. und Letzter im Proto-Feld an. Die zweite Etappe führt die Proto- und die Serienboot-Flotte von den Kanaren über rund 2700 Seemeilen nach Guadeloupe. Hier finden sich die am 23. Oktober veröffentlichten offiziellen Ergebnisse nach den umgesetzten Jury-Entscheidungen für Etappe eins (bitte anklicken!).