Tatjana Pokorny
· 25.11.2021
Gemeinsam mit Morgan Lagravière hat Thomas Ruyant die Imoca-Klasse gewonnen und bewiesen, dass er im Powerplay der Vendée-Globe-Stars die Nummer eins sein kann
Das Wort „Sieg“ durfte an Bord von Thomas Ruyants Verdier-Imoca „LinkedOut“ vor der Ziellinie nicht ausgesprochen werden. Man kann nie wissen, wird sich der in den vergangenen Jahren von einigen Rückschlägen gebeutelte, aber nimmermüde Ruyant trotz großen Vorsprungs vor den Verfolgern gedacht haben. Doch als der berühmte Diamantfelsen zwei Kilometer vor der Südwestküste von Martinique passiert war, gab es kein Halten mehr für Skipper Ruyant und seinen Co-Piloten Morgan Lagravière. Ihr Jubel war mitreißend schön und kam aus tiefstem Herzen. Diesen beiden gönnt die Segelwelt den Sieg bei der 15. Edition des Transat Jacques Vabre ganz besonders.
Thomas Ruyant, der 2009 binnen eines Jahres die Tour de France à la Voile und das Mini-Transat in der Klasse der Prototypen gewonnen hatte, ein Jahr später Siege im Normandy Channel Race und in der Class40 der Route du Rhum folgen ließ und als neuer Shooting Star am Soloseglerhimmel galt, konnte danach auch infolge des Umstiegs in die Imoca-Klasse nie wieder einen ganz großen Sieg verbuchen.
Ruyant war oft vorn mit dabei, musste aber 2016/17 in der Vendée Globe aufgeben und bei der im Januar zu Ende gegangenen Vendée Globe nach Flügelbruch mit Platz sechs zufrieden sein, obwohl er mehr wollte und Experten ihm das auch zugetraut hatten. Nun endlich ist es der eher stille Star, der rastlose Arbeiter und sportverrückte Dauerläufer, der in seiner Jugend Eishockey spielte, der bei der Jagd über den Atlantik die gesamte prominente Imoca-Konkurrenz hinter sich lassen konnte.
Während er das Segeln schon in jungen Jahren mit der Familie kennengelernt hatte, entbrannte Ruyants Leidenschaft für den Regattasport erst Anfang der 2000er Jahre. Er tobte sich anfangs in Einhandjollen wie dem Laser aus und arbeitete sich über die First Class 8 in Richtung Mumm 30 voran. Als er 2005 sein Studium der Sportwissenschaften und des Sportmanagements beendet hatte, entdeckte der junge Ruyant auf einem Parkplatz in Dunkerque einen Mini 6.50, den er kaufen konnte. Ruyant griff zu, verpasste dem Boot ein Refit und nahm 2007 am Mini-Transat teil. Es war genau sein Ding. Der Erfolg beflügelte ihn, weiter auf diesem Kurs zu segeln. 2009 schon gewann Ruyant das große Rennen mit den kleinen Booten in der Division der Prototypen.
Sein erstes 60-Fuß-Rennen beendete der heute 40-Jährige 2015 mit Platz vier im Transat Jacques Vabre mehr als achtbar, doch der K.-o.-Schlag in der Vendée Globe 2016/17 war hart zu verdauen. Bewunderung und viel Respekt erfuhr er damals dennoch, weil er nach Kollision mit einem „Ufo“ (Kürzel für „Unknown Floating Object“) sein Boot in einer Notsituation mit gebrochenem Rumpf trotzdem beherzt und stets mit einem Finger am Notfallknopf bis an die neuseeländische Küste brachte.
Auch bei seinem nächsten Vendée-Globe-Gipfelsturm musste der Nimmermüde mit den offenen Augen in der grau-blauen Farbe des Südpolarmeeres einen Rückschlag hinnehmen, als der Backbord-Flügel seines Persico-Baus „LinkedOut“ brach; Ruyant musste das Foil seiner vielversprechenden Konstruktion der neuesten Generation um zwei Meter stutzen. „Es ist, was es ist. Das ist die Vendée“, vermeldete er nach vollendeter Reparatur entschlossen von Bord. Zum Zeitpunkt des Bruchs lag er im Rennen knapp hinter Spitzenreiter Charlie Dalin an zweiter Position. Da schien alles möglich. Am Ende blieben Ruyant Rang sechs bei seiner ersten vollendeten Solo-Runde um die Welt und der ungestillte Hunger nach einem großen Sieg. Den hat er nun im Doppel mit dem erfahrenen 34-jährigen Morgan Lagravière errungen, der auf La Réunion geboren wurde und zu den begehrten Co-Piloten der Imoca-Welt zählt.
Thomas Ruyant, Vater von zwei Kindern im Alter von vier und neun Jahren, wird der Transat-Erfolg im dritten Vendée-Globe-Anlauf beflügeln. Dann dürfte er wieder zu den gefährlichsten Konkurrenten für Deutschlands Segelstar Boris Herrmann und den zweiten designierten deutschen Skipper Jörg Riechers zählen. Herrmann und Ruyant kennen sich bereits gut. 2017 segelten sie das Transat Jacques Vabre gemeinsam und wurden Vierte. Boris Herrmann gratulierte Thomas Ruyant herzlich zum Sieg, sagte: "Ich freue mich sehr für ihn und bin auf die Analyse und das Debriefing zum Rennen gespannt."
Die Eckdaten des dominanten Erfolges von Thomas Ruyant und Morgan Lagravière in der Imoca-Klasse: Das Duo absolvierte das Transat Jacques Vabre von Le Havre nach Martinique in 18 Tagen, 1 Stunde, 21 Minuten und 10 Sekunden. Als sie die Ziellinie nach 6691,30 über Grund gesegelten Seemeilen bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,44 Knoten erreicht hatten, waren für die Vorstart-Favoriten Charlie Dalin und Paul Meilhat auf „Apivia“ noch rund 170 Seemeilen ins Ziel zu meistern. Dahinter folgten Jérémie Beyou und Christopher Pratt auf „Charal“ mit verbliebenen rund 230 Seemeilen. Hier geht es zu den Zwischenständen in allen vier Transat-Divisionen (bitte anklicken!).