Globe40Nach Kielbolzenbruch im Nordatlantik: 500 Seemeilen im Krisenmodus

Jochen Rieker

 · 09.06.2025

Endlich in Sicherheit. Als ihre Class40 am Dock in A Coruña liegt, fällt die Anspannung von dreieinhalb Tagen Sorgen und Bangen von der „Wilson“-Crew ab. Das Boot kommt frisch aus einem Komplett-Refit, bei dem auch alle Kielbolzen erneuert wurden – bis auf die zwei, die brachen.
Foto: Lisa Berger Sailing
Glück im Unglück für die österreichische Hochseeseglerin Lisa Berger. Nachdem auf ihrer Class40 „Wilson“ auf einer Qualifikationsstrecke für das Globe40 im Nordatlantik die Kielbolzen brachen, musste sie dreieinhalb Tage bangen. Sonntagfrüh erreichte sie A Coruña. Wie sie den Schock wegsteckte und warum sie sich nicht unterkriegen lassen will.

Nach Nordspanien, wo sie ihr Boot vor knapp einem Jahr gekauft hatte, wollte sie eigentlich nicht. Ihr ursprüngliches Ziel war Horta auf den Azoren. Doch mit der geschwächten Kielaufhängung blieb Lisa Berger keine andere Wahl, als dreieinhalb Tage lang vor dem Wind abzulaufen. Die junge Frau vom Attersee, die nach dem Mini-Transat jetzt ihr nächstes großes Karriereziel bei der Zweihand-Regatta Globe40 anpeilt, lief am frühen Sonntagmorgen in der Marina Coruna ein. YACHT online sprach mit ihr am Nachmittag.

Lisa, wie geht’s Dir und Deinem Partner, Jade Edwads-Leaney, nach fast 500 Seemeilen mit gebrochenen Kielbolzen?

Ich dachte eigentlich, dass wir gut erholt in A Coruña einlaufen würden, weil wir ja mit extrem reduziertem Segelplan hierher geschlichen sind, meist nur mit fünf, sechs Knoten. Da hat man ja viel Zeit zum Ausruhen. Aber wir haben dann doch erst mal tief und fest geschlafen.

Das erste Mal seit Mittwoch in der Gewissheit, dass ihr sicher seid…

Ja, das tat gut.

Was überwiegt jetzt: Erleichterung – oder noch das Trauma eines wackelnden Kiels auf dem Nordatlantik?

Ehrlich gesagt haben wir für sowas wie Erleichterung weder Zeit noch die emotionale Kapazität. In meinem Kopf dreht sich alles um die Frage, wie wir die jetzt anstehenden Arbeiten finanzieren können und wie lange die Reparatur dauert. Denn eigentlich waren wir schon vor unserer Qualifikationsfahrt für das Globe40 knapp im Zeitplan.

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Den Horror des Bolzenbruchs habt ihr schon verarbeitet – oder verdrängt?

Wahrscheinlich beides. Wir haben nach der Entdeckung des Schadens sofort in den Krisenmodus geschaltet, haben die Grab-Bags gepackt, die Rettungsinsel und unsere Überlebensanzüge bereitgelegt, die Seenotleitstelle des MRCC Falmouth angerufen. Du hast da ja erstmal genug zu tun, und als Team haben wir supercool funktioniert.

Auf Kurs Globe40: Hilfe von allen Seiten

Ihr hattet keine Angst?

Nicht wirklich. Ich glaube, wir hatten auch ein bisschen Glück im Unglück, vor allem mit dem Wetter: vier Tage Westwind ohne Fronten, ein Geschenk für unsere angeschlagene Class40! Das hat uns geholfen, ruhig und konzentriert zu bleiben.

Die Videoaufnahmen von den lose hin und her pendelnden Bolzen sahen jetzt nicht wirklich beruhigend aus…

Das stimmt. Aber wir hatten keinen Wassereinbruch, keine Risse in der Kielbox (ein Volllaminat-Schaft, in dem der oberste Teil der Kielfinne arretiert wird, d. Red). Und wir konnten sicher sein, dass wir selbst im Fall einer Kenterung nicht sinken würden, weil wir für die Globe40 ja viel zusätzlichen Auftrieb im Rumpf verbauen mussten. Außerdem bekamen wir sofort Hilfe von allen Seiten, auch von Experten, an die wir gar nicht gedacht hätten.

Wie das?

Wir haben ziemlich rasch nach der Entdeckung des Bolzenbruchs ein Video auf Instagram und Facebook hochgeladen. Das und die Informationen dazu machten sofort die Runde. Als Erste meldete sich Miranda Merron bei uns, die Wettfahrtleiterin des Rennens, für das wir gemeldet haben. Sie ist selbst viele Jahre Class40 gesegelt und gab uns wertvolle Tipps. Aber auch Eric Levet, ein Konstrukteur von Marc Lombart Yacht Design, der unsere Akilaria mitentwickelt hat, kontaktierte uns und riet uns, wie wir das Boot trimmen sollten, um im Falle eines Kielverlusts mittels Wasserballast noch genug Stabilität zum Segeln zu haben.

Da klar war, dass wir nach A Coruña gehen würden, weil wir das vorwind erreichen konnten, mit der geringstmöglichen Last im Rigg und an der Kielaufhängung, kamen auch rasch Infos, welche Werft dort am besten geeignet wäre. Es ist echt unglaublich, diese Seglersolidarität zu erfahren. Social Media hilft da unheimlich bei der Aktivierung. Und dank Starlink hatten wir immer schnelles Internet für die Kommunikation.

Die angehenden Globe40-Segler und Murphy’s Law

Wie habt Ihr den Bruch der Kielbolzen überhaupt bemerkt? Sind die Bolzen mit lautem Knall geborsten, nach einer Kollision mit Treibgut?

Nein, wir haben den Schaden mehr zufällig entdeckt. Wir wollten uns gerade was zu essen machen, saßen unten mittschiffs bei der Navigation zusammen, als Jade aus den Augenwinkeln bemerkte, dass sich die Muttern der beiden zentralen Bolzen bewegen, die das obere Ende des Kiels im Schaft fixieren – ausgerechnet die beiden, die wir als einzige nicht getauscht hatten, weil sie noch so gut aussahen. Das war wohl Murphy’s Law.

Also die zwei Bolzen, die am wichtigsten sind für die Integrität des Kiel-Rumpf-Verbunds?

Leider, ja. Wir haben an der Endplatte des Kiels zwar noch zehn weitere Bolzen, die mit dem Rumpfboden verschraubt sind, aber die sind weniger zentral für die Festigkeit. Entscheidend ist der Formschluss der Finne in der Kielbox. Und der wird über die zwei bei uns gebrochenen Bolzen gewährleistet.

Woher wusstet Ihr, dass sie gebrochen waren?

Wir konnten sie an den Muttern einfach rausdrehen, jedenfalls den Teil oberhalb der Bruchstelle.

Habt Ihr eine Erklärung, wie es zu dem Schaden gekommen ist?

Nein, das werden wir vermutlich erst wissen, wenn wir den Kiel aus dem Schiff gezogen haben. Das passiert hoffentlich schon morgen.

Lässt sich das einigermaßen zügig reparieren?

Ich hoffe sehr. Die Gewinde können wir nicht nachschneiden, weil die Bolzengröße laut Klassenregel limitiert ist und wir da schon das Maximum haben. Deshalb bleibt wahrscheinlich nur, den oberen Teil der Finne abzutrennen und ein Ersatzstück mit frischen Gewinden anzuschweißen, was nicht ganz trivial ist. Aber wir haben Glück, dass wir das hier in A Coruna machen lassen können, nicht an unserem eigentlichen Ziel in Horta auf den Azoren, wo die Infrastruktur bei weitem nicht so gut ist.

Die Werft Marina Coruna Varadero wird von Roberto „Chuny“ Bermudez de Castro geleitet, einem siebenfachen Ocean-Race-Teilnehmer, der einen legendären Ruf hat und der uns von vielen Experten empfohlen wurde. Das lässt uns hoffen, auch wenn der Rückschlag drei Monate vor dem Rennstart schon brutal hart ist, zumal mit unserem Budget. Deshalb haben wir den Refit bisher ja weitestgehend als Do-it-yourself-Projekt gemacht. Von daher wissen wir auch, wie aufwändig die Arbeiten am Kiel sind, wie lange wir dafür gebraucht haben.

Drei Monate vor dem Globe40: Botschaft vom Boot?

Schafft Ihr es schon, dem ganzen etwas Positives abzugewinnen, oder seid Ihr erstmal einfach nur fertig und frustriert?

Hmm… Sagen wir so: Es war unmittelbar natürlich ne Riesen-Enttäuschung. Die Qualifikationsfahrt hat uns bis zum Kielschaden aber schon bestärkt in allem, was wir am Boot verbessert haben. „Wilson“ ist einfach ein genial cooles Boot, das zu segeln einen Riesenspaß macht. Wir hatten ja bis zum Ablaufen viel Amwind-Strecke, bei harten Bedingungen: gut 30 Knoten Wind und teils drei Meter hohe See. Das hat sie gut weggesteckt. Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass sie zu uns spricht – so als wollte sie uns mit dem Bolzenbruch sagen: „Hey da ist noch was, das müsst Ihr unbedingt richten vor dem Start der Globe 40.“

Das Vertrauen ins Boot hat nicht gelitten?

Nein. Ich würde sagen, dass wir uns jetzt noch verbundener fühlen, auch weil das alles glimpflich ausgegangen ist. Und man darf nicht vergessen: „Wilson“ ist schon 15 Jahre alt. Wir haben zwar wahnsinnig viel erneuert und verbessert, aber nicht alles. Das gibt unser finanzieller Rahmen gar nicht her. Und wir hatten auch wenig Zeit: Vom Kauf bis zum Start des Prologs Mitte August wird gerade mal ein Jahr vergangen sein. Andere besser aufgestellte Teams haben zwei, drei Jahre Vorlauf, die segeln seit einem Jahr nur noch und trainieren.

Wenn Du jetzt einen Wunsch frei hättest, was wäre das?

Dass wir den Kiel schnell neu setzen können und ein paar andere Kleinigkeiten, die beim Qualifier noch nicht passten, gefixt kriegen – und ab da ganz viel segeln können. Damit das hinhaut, müssen wir noch ein Extra-Budget finden. Von daher wäre das mein einer Wunsch, weil sich damit viele andere Dinge ergeben. Wir hatten jetzt noch nicht alle neuen Segel dabei. Da muss auch noch was passieren. Aber ich glaube fest daran, dass wir’s schaffen! So, wie wir’s auch nach A Coruña geschafft haben!

Was würdest du anderen Seglern als Rat mitgeben, wenn sie in eine ähnlich kritische Situation geraten?

Dass man sein Schiff nie vorzeitig aufgeben sollte, solange es eine Chance gibt, damit einen Hafen anzulaufen. Und dass wir alle auf die Seenotretter zählen können. Die Leute vom MRCC Falmouth waren eine echte Stütze, ganz ruhig, ganz professionell. Die haben uns zwei Tage lang alle zwei Stunden mitgeplottet, bis die Spanier übernommen haben. Das zu erleben, war klasse!

Bist du in den vergangenen dreieinhalb Tagen um ein Jahr gealtert?

Bisher hoffentlich nicht. Aber vermutlich in den kommenden zwei Wochen, wenn wir wissen, was die Kielreparatur kostet und ob wir die noch fehlenden Segel rechtzeitig kriegen. Es wird ganz sicher nicht langweilig werden. So ist Hochseesegeln halt: Man weiß nie so recht, was als Nächstes passiert. Irgendwie taugt mir das sogar!

Erst im vergangenen Monat haben sich auch die deutschen Shooting Stars Melwin Fink und Lennart Burke vom Team Next Generation Boating Around the World zur Teilnahme am Globe40 entschieden. Die finale Motivation dazu kam vom sechsmaligen Weltumsegler Boris Herrmann. Hier geht es zu ihrer Geschichte und ihrem Weg zum Globe40, das mit seinem Prolog ab Lorient am 31. August startet.

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