EuropacupHommage - 100 Jahre Klasse für 45er Nationalen Kreuzer

YACHT-Redaktion

 · 26.08.2023

Am Start ist das Feld noch vereint. Nur kurz darauf teilt es sich in Alt und Jung. Eine Besonderheit der 45er
Foto: YACH/S. Hucho
In Berlin, wo ihre Klasse vor über 100 Jahren entstand, kämpften die Besatzungen der klassischen und modernen 45er Nationalen Kreuzer um den Europacup. Und reisten für diese Hommage eigens aus Süddeutschland an

von Luisa Conroy

Wenn ein Schelm und ein Schuft aufeinandertreffen, dann verheißt das meistens nichts Gutes. Man erwartet Hinterlist und böse Absichten, halb wähnt man sich in einem Vorabendkrimi.

An diesem Wochenende im Juli treffen sich „Schelm“ und „Schuft“ in Berlin zum Segeln, und das auch noch gemeinsam mit zehn Artgenossen. Doch keine Angst, die Protagonisten sind 45er Nationale Kreuzer. Und sie segeln um ihren Europapokal.

Es ist der Jahreshöhepunkt der Klasse und ein historisches Treffen zugleich. Denn mit dem Wannsee besuchen die zumeist aus Süddeutschland angereisten Boote die Geburtsstätte ihrer Klasse. Und nicht zuletzt feiern gleich zwei von ihnen in diesem Rahmen ihren 100. Geburtstag.

Spektrum bei der Wettfahrt

Wer am Freitagfrüh, dem ersten Wettfahrttag, auf dem Gelände des Vereins Seglerhaus am Wannsee (VSaW) jedoch geschäftiges Treiben erwartet, der wird enttäuscht. Die 45er haben sich auf die verschiedenen Stege im VSaW verteilt, als wollten sie nicht auffallen. Dabei müssen sich hier weder Schiffe noch Segler verstecken. Im Gegenteil. Das Spektrum reicht von der nagelneuen Rennyacht bis zum Klassiker aus dem letzten Jahrhundert, die Liste der Teilnehmer umfasst Olympiateilnehmer, Bundesligasegler, J70-Seglerinnen. Vertreten sind Ehepaare, Familien, Segelfreunde, Studentinnen und Rentner. Und irgendwie legt diese Klasse es auch auf diese Gegensätze an, fordert Tradition und fördert Entwicklung, erlaubt Modernisierungen und feiert die Originale und die eigene Historie.

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Die begann schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Durch die Einführung und den Erfolg der Meterklassen hatte sich der Segelsport zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr zu einem Spielplatz der Elite entwickelt. Die Meteryachten waren teuer im Bau und in der Instandhaltung. Noch dazu waren sie für Leichtwindreviere wie die deutschen Binnenseen aufgrund ihres Gewichts und ihres großen Wendekreises ungeeignet und für Ausfahrten nicht wohnlich genug.

Kein Wunder also, dass in der deutschen Segelszene der Ruf nach einer erschwinglichen, rennfähigen Kreuzerklasse laut wurde. In der Schifferstube des Potsdamer Yacht-Clubs brachten der damalige Vorsitzende August Mütze und sein Vize Heinrich Rauch­holz die Ideen zu einer solchen Klasse zu Papier.

Die Einführung der „Nationalen Kreuzerklasse“

Beim 20. Seglertag im Jahr 1911 stellte der Potsdamer Yacht-Club einen Antrag auf Einführung einer „Nationalen Kreuzerklasse“. Schon im Voraus hatten sich Mütze und seine Mitstreiter die Zustimmung vieler Mitgliedsvereine eingeholt und konnten sich ihrer Sache ziemlich sicher sein.

Zwei neue Klassen sollten entstehen: eine mit 45 Quadratmeter Segelfläche für Binnenreviere und eine größere mit 75 Qua­dratmetern für Seereviere. Doch sowohl aus dem Verband als auch aus dem Kaiserlichen Yachtclub kam Gegenwind.

„Es fand dann eine Kampf-Abstimmung statt“, erklärt der Miteigentümer des 45er Nationalen Kreuzers „Schelm“, Daniel Heine. „Aber der Kaiserliche Yachtclub wurde überstimmt. Das Bürgertum hatte gegen den Adel gewonnen.“ Heines Begeisterung für die Klassengeschichte ist spürbar.

„Der Daniel ist ja Yacht-Historiker“, scherzt Miteigner Florian Schmid am Freitagabend bei seiner Rede und erntet damit die Lacher des Publikums. Zur Feier des 100. Geburtstags der 45er „Schelm“ und „May“ haben die Eignergemeinschaften zu einem Cocktail-Empfang an Bord des Salonschiffs „Marlin“ eingeladen.

Stimmung wie auf Klassenfahrt

Es ist ein lauer Sommerabend, der Wind war am ersten Wettfahrttag ausgeblieben, trotzdem ist die Stimmung fantastisch. Mit Ausnahme eines Schiffes sind die Besatzungen mit ihren Booten eigens vom Bodensee oder vom Starnberger See angereist. Doch selbst der Eigner der „Windspiel“, die jetzt im VSaW zu Hause ist, lebt in der Pfalz. Und so herrscht an diesem Abend bei Rosé und Häppchen Stimmung wie auf einer Klassenfahrt, jeder kennt hier jeden.

Dafür, dass die Klasse auf den süddeutschen Seen so stark ist, zeichnet unter anderem Markus Glas verantwortlich. Der Bootsbaumeister baut in seiner Werft in Possenhofen seit mehr als 20 Jahren 45er Nationale Kreuzer.

„Wir suchten Anfang des Jahrtausends eine Klasse zum Regattasegeln und Spazierenfahren, und da kamen wir auf die 45er. Die können kompetitiv gesegelt werden, bieten aber trotzdem ziemlich viel Komfort. Außerdem kann man sie gerade noch so selber trailern, perfekt für Binnenseen also.“

Bis heute wurden in der Glas-Werft 15 neue 45er Nationale Kreuzer gefertigt. In Berlin ist Glas, der von allen nur „Buale“ genannt wird, mit seinem ganz eigenen Neubau „Southern Comfort“ am Start. Alle 45er aus seiner Werft haben den gleichen Rumpf – entworfen von Klaus Röder, hergestellt von Bopp & Dietrich in Steinhude. „Wobei wir die ersten zwei 45er bei uns noch geplankt haben, alle danach sind formverleimt“, erzählt Glas.

Das Rigg auf den neuen 45ern steht relativ weit hinten im Boot, was einen modernen Segelplan mit größerem Vorsegeldreieck zulässt. Die Cockpits baut Glas ganz individuell. So ist bei manchen das Cockpit klassisch geschlossen, bei anderen ist der hin­tere Teil leicht abgesenkt. „Das ist schön, wenn man die Füße ins Wasser baumeln lassen will“, erklärt Glas stolz. Bei seinem eigenen Schiff ist das Cockpit nach hinten sogar komplett geöffnet.

Komfort an Bord der 45er Nationalen Kreuzer

Der Komfort auf den neuen Booten ist unübersehbar: Die Luke auf dem Vordeck gleitet unter Deck, wodurch verhindert wird, dass sich Fallen oder Schoten in ihr verhaken. „Unter Deck haben eigentlich alle einen Kühlschrank, manche auch eine Kaffeemaschine. Gute Lautsprecher haben wir auch eingebaut“, fährt Glas fort.

Doch den Innovationsbestrebungen werden auch Grenzen durch die Klassenregeln gesetzt, etwa die, dass 45er Nationale Kreuzer mit modernem Unterwasserschiff einen Motor haben müssen, um den hydrodynamischen Vorteil auszugleichen. Bei Markus Glas kam daher ein Elektromotor an Bord.

Bei aller Begeisterung für seinen neuen 45er, bis vor einem Jahr war der Bootsbauer noch mit dem Klassiker „Aika“ am Start. Das Schiff von 1927 gehörte zwischenzeitlich dem Prinzen Franz von Bayern.

Glas beschloss, der „Aika“, die zuletzt in morschem Zustand auf einem Golfplatz untergekommen war, neues Leben einzuhauchen und sie in diesem Zuge zu modernisieren. „Ich wollte beweisen, dass man mit einem alten Boot vorn segeln kann“, sagt der 67-Jährige. Er verpasste dem 45er ein modernes Rigg und vergrößerte das Cockpit. Das Unterwasserschiff hingegen blieb im Original mit langem Kiel und daran befestigtem Ruder. Die 2020 neugeborene „Aika“ war sofort erfolgreich – insgesamt dreimal gewann Glas mit ihr den Europapokal.

Geschichte der 45er Nationalen Kreuzer erhalten

Solch tiefgreifende Eingriffe können sich Schmid und Heine bei ihrem „Schelm“ nicht vorstellen. Die äußere Optik des Schiffs sei ihnen besonders wichtig, erklärt Schmid. Sie beide seien der Meinung, Boote mit einer gewissen Geschichte sollten in erster Linie erhalten werden. „Zu große Modernisierungen werden der Geschichte nicht gerecht“, findet Heine.

“Schelm“ ist dieses Jahr 100 Jahre alt, aber in bestem Zustand. Man merkt ihr, trotz aller Nostalgie, den sportlichen Ehrgeiz ihrer Eigner an. Im Cockpit etwa haben Schmid und Heine dafür gesorgt, dass sie sich besser bewegen können. Massive Bänke wichen kleineren Sitzblöcken. Der Alu-Mast steht schon länger auf dem Schiff, Holzmasten gibt es in der Klasse kaum noch. Und auch die Winschen und Fallenstopper dürften im letzten Jahrhundert noch nicht an Bord gewesen sein.

Doch „Schelm“ ist nach wie vor ein Langkieler ohne freistehendes Ruder. Generell liegt den Eignern eine Menge daran, das Boot möglichst nah am Original zu erhalten. Nur eine strukturelle Veränderung haben sie sich erlaubt: Vergangenen Winter bauten sie ein Rahmenspant ein und versetzten die Püttinge nach innen.

Mit Überzeugung dabei

Ob die unterschiedlichen Ansichten bezüglich des Erhalts und der Restaurierung der klassischen Yachten die Klasse spalten? Das verneinen sowohl Glas als auch Heine und Schmid. „Wir sind eine Klasse“, erklärt Glas überzeugt. „Wir alle wollen, dass so viele wie möglich dabei bleiben.“

Und das ist ein Glück, denn 45er zu segeln ist ein Riesenspaß. Samstagfrüh geht es endlich aufs Wasser. Von der Schifferstube aus, in der einst alles begann, könnten August Mütze und Heinrich Rauchholz heute die Ergebnisse ihrer Bemühungen betrachten, noch mehr als 100 Jahre später.

Zwölf 45er Nationale Kreuzer ziehen an diesem Wochenende auf dem Wannsee ihre Bahnen und verleihen dem turbulenten Sommerferienbetrieb auf dem See dabei etwas Glamouröses. Die Boote strömen Eleganz aus, und das Feld wirkt homogen. Erst wer sie näher betrachtet, bemerkt die verschiedensten Designs, Ausstattungen und Trimmeinrichtungen der 45er.

Grund dafür ist eine sehr liberale Politik in der Klassenvereinigung. „Die 45er sind eine Konstruktionsklasse, und das soll auch so bleiben“, erklärt Florian Schmid, der der Vorsitzende der Klassenvereinigung ist. „Wenn man Entwicklung und Modernisierung den Riegel vorschiebt, stirbt eine Klasse irgendwann. Und das wollen wir natürlich vermeiden!“

Bei allzu extremen Modernisierungsmaßnahmen muss die Klassenvereinigung dann allerdings trotzdem eingreifen. Nachdem Peter König auf seiner „6.Q“ zum Beispiel eine hydraulische Mastpumpe eingebaut hatte, beschloss die Klassenvereinigung, diese Entwicklung zu stoppen. „Es ist immer schwierig zu entscheiden, was noch okay ist und was zu weit geht“, sagt Florian Schmid. König allerdings bekam Bestandsschutz und geht auch an diesem Wochenende mit einem entsprechenden Vorteil an den Start. Markus Glas sieht das locker: „Die sind bei Wind so mit ihrem Boot beschäftigt, dass sie nicht mehr zum Segeln kommen“, sagt er scherzend.

Konzentrierte Crew an Bord der 45er Nationalen Kreuzer

Kurz vor dem ersten Rennen denkt allerdings keiner mehr an Modernisierungen oder Klassenvorschriften. An Bord von „Schelm“ werden ganze drei Vorsegelwechsel durchgeführt, der böige Wind in Berlin macht Florian Schmid sichtlich zu schaffen. „Wo kommt das jetzt wieder her?“, ruft er verblüfft, als nach einer längeren Phase mit leichtem Wind wieder eine Bö über den See zieht. Doch die Hektik hat sich gelohnt. Nach dem Start hält „Schelm“ im Feld prima mit, fährt gute Höhe und Geschwindigkeit. Die Crew ist konzentriert, jetzt zählt jeder Meter.

Dabei fühlt sich „Schelm“ auf dem Regattakurs gar nicht an wie ein Klassiker. Er nimmt in Böen den Druck gut auf, beschleunigt schnell. Erst später im Rennen zeigt sich, dass die älteren Schiffe einfach nicht mithalten können. Meter um Meter nehmen die neuen Rennyachten ihren Vorfahren ab und fechten vorn im Feld ihre eigenen Kämpfe aus. Doch auch die klassischen Boote schenken sich nichts, denn der beste Langkieler wird am Ende der Regatta mit einem besonderen Preis belohnt.

Berlin zeigt sich an diesem Juli-Wochenende von seiner tropischen Seite. Bei Temperaturen von 35 Grad und böigem Wind bis 23 Knoten werden insgesamt sechs Rennen gesegelt. Auf der Siegerehrung am Sonntag sind die Segler sichtlich erschöpft, aber zufrieden. Mit „Ahoi Baby!“, „Papillon“ und „Sou­thern Comfort“ stehen am Ende drei Neubauten auf dem Treppchen. Den Preis für den besten Langkieler gewinnt die hundertjährige „May“. Ein rundum gelungenes Geburtstagswochenende.


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