Tatjana Pokorny
· 02.10.2021
Mutig oder zu gefährlich? Während ein Sturm fast die gesamte Flotte in Nothäfen gezwungen hat, stürmten Melwin Fink und Christian Kargl an die Spitze des Feldes
Cool oder crazy, wagemutig oder zu gefährlich? Während sich nahezu die gesamte Mini-Transat-Flotte vor dem Kap-Finisterre-Sturm in Schutzhäfen in Sicherheit gebracht hat, trotzen die Serienbootsegler Melwin Fink und Christian Kargl den Prognosen und suchen ihr Glück in der Segelflucht nach Süden. Damit könnten der junge Deutsche und der erfahrene Österreicher sogar durchkommen, wie der Blick auf die folgenden beiden Wind-Szenarien verrät. Die erste Ansicht zeigt die Situation am Samstagmorgen, das zweite die angenommenen Bedingungen zwölf Stunden später, also für Samstagabend. Gelangen die Ausreißer schnell genug nach Süden, könnten sie dem Sturm und seinen schlimmsten Auswirkungen in Küstennähe tatsächlich entkommen.
In den sozialen Netzwerken überschlagen sich die Kommentare zur Entscheidung von Fink und Kargl, alle Warnungen der Wettfahrtleitung zu ignorieren und auf das eigene Können und die Optionen zu vertrauen, die ihnen die Windentwicklung bietet. Fink-Beobachter Frank Eckardt drückt Melwin Fink so die Daumen: "Ich weiß nicht, ob das ein cooler Move wird, aber wenn Du dem Tief von der Schippe springst, hast Du das Transat fast gewonnen. Wenn nicht, wirst Du wohl die wildesten sechs Stunden Deines Lebens erleben. Ich wünsche Dir viel Glück, auch wenn ich Dich lieber im Hafen sehen würde." Auf der Facebook-Seite von Christian Kargl schreibt Sebastian Senftleben: "Alle Mini-Segler sind jetzt auf den Weg in einen sicheren Hafen. Alle? Nein. Da gibt es zwei einsame deutschsprachige Segler, die entweder überhaupt kein Französisch verstehen oder aber die Unwetterwarnung und die Empfehlung, den nächsten Hafen anzulaufen, einfach gekonnt ignorieren und weiterfahren. Balls of Steel oder Wahnsinn? Ich werde mir jetzt den Screenshot jedenfalls mal ausdrucken. Ein Deutscher und ein Österreicher führen in der Serienwertung der Minis das Feld an!" Experten gehen davon aus, dass sich die beiden Miniisten, die sich gut kennen und bestens verstehen, nach Möglichkeit auch über UKW-Funk miteinander austauschen. Am Samstagmorgen schienen Fink und Kargl zunächst belohnt für ihre Beharrlichkeit und die Entscheidung, sich mit klugen Wenden dicht unter Land zügigst nach Süden vorzuarbeiten.
Während noch weiter im Süden nach wie vor das vor Tagen in der Flaute enteilte Proto-Führungs-Quartett mit Spitzenreiter Pierre Le Roy auf "Teamwork", Tanguy Bouroullec auf "Tollec MP / Pogo", Fabio Muzzolini auf "Tartine sans Beurre" und die unwiderstehliche Irina Gracheva auf "Path" ihren Kurs fortsetzen und Fink und Kargl nun das Serienboot-Feld anführen, bleibt abzuwarten, wann der Kap-Finisterre-Sturm die Verfolger wieder aus seinen Klauen entlässt. Damit sind nach einer Woche auf See die Karten bei dieser Mini-Transat-Auflage völlig neu verteilt: Es gibt den Führungs-Vierer, der den Proto-Sieg auf Etappe eins unter sich ausmachen wird. Dahinter die beiden Serienboot-Ausreißer Melwin Fink auf "Signforcom" und Christian Kargl auf "All Hands on Deck", die sich mit ihrer Entscheidung zur Fortsetzung der stürmischen Etappe echte Siegchancen auf diesem ersten Abschnitt erarbeitet haben. Und schließlich das große Feld jener, die den Sturm im Hafen abwettern und ihr Rennen erst danach wieder fortsetzen. Abgerechnet wird wie stets: im Ziel.