Cole Brauer: Natürlich! Der Ozean war schon lange ein Teil meines Lebens, bevor ich dieses Rennen begonnen habe. Die Teilnahme war für mich also nichts Ungewöhnliches, sondern hatte Alltagscharakter: morgens aufwachen und zur Arbeit gehen. Jeden Tag im Monat, immer mit Meerblick und den Geräuschen von Boot und Ozean. Mein jetziges Hotelzimmer ist dagegen befremdlich. Zudem muss ich wieder eine neue Tagesroutine entwickeln. Der erste Blick am Morgen geht nicht mehr in die Segel, sondern in den Spiegel.
Jeder neue Tag war der schönste. Aber das absolut Größte war die Begegnung mit einem großen Wal im Südpolarmeer bei sechs Meter hohen Wellen und 40 Knoten Wind. Das Tier tauchte im Gegenlicht auf, und die Gischt flog über das Deck. Das war majestätisch, intensiv und unheimlich zugleich. Nichts, was man sieht, wenn man an der Straße entlangläuft.
Für insgesamt 160 Tage, ich hätte also problemlos noch einen Monat auskommen können. Meine Schokoladenvorräte sind jedoch eindeutig zu früh geschmolzen, weshalb ich sie rationieren musste. Witzigerweise esse ich an Land fast gar keine Süßigkeiten. Auf See habe ich mich aber danach gesehnt und jeden einzelnen Krümel genossen. Ich muss gestehen, dass ich sogar die Verpackungen abgeleckt habe. Beim nächsten Mal nehme ich definitiv sehr viel mehr Schokolade mit!
Von Zeit zu Zeit habe ich es einfach geliebt! Wenn die Batterien schwach wurden, habe ich ein paar Filme heruntergeladen und Starlink abgeschaltet, um Energie zu sparen. Und wenn es richtig stressig war, wie im Südpolarmeer, wo es mit 60 Knoten bläst, habe ich meine großen Kopfhörer aufgesetzt. Die filtern nebenbei den tosenden Hintergrundlärm heraus, was sich sehr positiv auf mein Stresslevel ausgewirkt hat. Bei den anderen Jungs ohne Kopfhörer gingen die Angstzustände teilweise durch die Decke. Ich habe einfach andere Wege gefunden, um meine Ängste zu lindern. Und Netflix war einer davon.
Oh, das ist eine beinah unglaubliche Geschichte. Ich hatte mich auf das Mini-Transat vorbereitet und wohnte auf einem Mini in Charleston, South Carolina. Eines Nachts legte die „Dragon“ direkt neben mir an. Ich erinnere mich, dass ich morgens aufwachte und mir beim Anblick der mir riesig vorkommenden Class 40 schwor, eines Tages auf diesem coolen Boot zu arbeiten. Ein halbes Jahr später fand ich mich zwecks einer Überführung von Kanada nach Maine auf genau diesem Boot wieder. Der Skipper kündigte während der Überfahrt und fragte mich scherzhaft, ob ich seinen Job haben wolle. Und wie ich das wollte! So habe ich den Job tatsächlich bekommen.
Das ist leider ohne mich gestartet. Meine damaligen Sponsoren ließen mich plötzlich fallen. Sie sahen nur noch das kleine, keine 50 Kilogramm schwere Mädchen und bekamen Angst, dass ich mich auf dem Atlantik umbringen würde. Das Risiko wollten sie nicht eingehen.
„First Light“ und „Dragon“ sind ein und dasselbe Boot. Es hat nur den Besitzer gewechselt und eine neue Folie bekommen. Die neuen Eigner boten mir an, damit Regatten in Florida zu segeln. Später segelte ich mit einer anderen Frau das Bermuda 1-2 Race, das wir als erstes Frauenteam überhaupt gewinnen konnten. Die Eigner waren so begeistert, dass sie mir anboten, eine Offshore-Regatta meiner Wahl zu sponsern. Da das Boot nicht mehr das jüngste war, rechnete ich mir bei der Global Solo Challenge die besten Chancen auf einen Podiumsplatz aus.
Diese bittere Enttäuschung sitzt so tief, dass es bis heute an mir nagt. Wahrscheinlich werde ich nie darüber hinwegkommen, aber dafür macht es mich härter und widerstandsfähiger. Einmal habe ich, während der Southern Ocean unnachgiebig auf das Boot und mich eingedroschen hat, an die beteiligten Personen gedacht und mir ihre Gesichter vorgestellt. Dann fühlte ich mich plötzlich wie Wonder Woman, die es mit der ganzen Welt aufnehmen kann.
Das Hoorn zu passieren war einzigartig. Ich hatte schon ewig davon geträumt, konnte es dann aber nicht sehen, weil die Bedingungen zu schlecht waren, um innerhalb des Kontinentalschelfs zu segeln. Aber es ist wirklich so, dass von dort an alles aufwärts geht. Sobald ich um die Ecke kam, entspannte sich mein ganzer Körper. Ich hatte das Südpolarmeer überlebt, und der Seegang ging schlagartig so weit zurück, dass ich auch wieder den Horizont sehen konnte. Ein irre schönes Gefühl!
Ursprünglich sollte es noch viel verrückter werden! Ich wollte auch die Pumps anziehen und am Bug tanzen. Der Seegang war aber so heftig, dass ich mir die Haxen gebrochen hätte. Dazu war es so bitterkalt, dass ich mir fast den Hintern abgefroren habe. Aber noch schlimmer war, dass ich meine Achseln nicht rasiert hatte und deshalb meine Arme möglichst unten lassen musste. Aber es hat Spaß gemacht!
Ich war gerade in das Südpolarmeer eingebogen und dabei, Wetterdaten herunterzuladen, als mich eine unerwartete Welle an der Backbordseite traf. Zwischen Brasilien und dem Kap der Guten Hoffnung gibt es einen schrecklichen Strom, der gegen den Wind läuft, sodass es zu großen Wellen und schweren Kreuzseen kommt. Bei dem Sturz habe ich mir eine schwere Rippenprellung zugezogen.
Fast genau einen Monat. Die Schmerzen waren anfangs so schlimm, dass ich kaum aus der Koje kam oder mich beugen konnte. Man konnte das auch in meinen Videos sehen. Ich bin eigentlich eine Frohnatur, aber da war ich für meine Verhältnisse schon etwas wehleidig.
Ja, genau zwei Tage darauf! Ich musste also per Hand steuern und in die enge Achterpiek kriechen, wo ich mit Hammer und Schraubenschlüssel die völlig korrodierten Schrauben der Autopilotenhydraulik bearbeiten musste, um diese austauschen zu können. Zum Glück bin ich so klein, sonst hätte ich das nicht durchführen können. Das Ganze ist auch zweimal in der gleichen Woche passiert. Das war die Hölle!
Nein, und ich wurde auch jedes Mal wütend, wenn jemand diese Option auch nur andeutete. Witzigerweise war meine Mutter die Einzige, die mich explizit aufforderte, nicht aufzugeben.
Anfangs waren sie sehr skeptisch und hatten nur die Bilder im Kopf, wie ich aus Pokalen Alkohol trinke. Dabei sollte ich doch studieren, um Ärztin zu werden! Sie hatten wirklich Angst, dass ich mein Leben achtlos wegwerfe.
Nein, ich bin ja Teil des digitalen und medialen Zeitalters. Daher war die Kommunikation über die sozialen Netzwerke auch nie eine Belastung für mich. Sonst hätte ich mich der Öffentlichkeit gegenüber auch nicht so frei und offen präsentieren können. Ich poste gern meine Gedanken und Gefühle und antworte auch bereitwillig auf die Kommentare. Das gehört zu meinem Alltag.
Ich habe auf Hawaii studiert und dort auch mit dem Segeln angefangen. Um einen Abschluss an der Universität zu erhalten, sind Hawaiikurse Pflicht. Damit wird versucht, die lokale Kultur am Leben zu erhalten. Von dem traditionellen Shaka-Gruß gibt es verschiedene Variationen. Wenn ich dabei meinen Handballen zeige, bedeutet das, dass ich etwas von mir an meine Zuschauer gebe.