Barcelona World RaceDer brutalste Open 60 der Welt

Andreas Fritsch

 · 29.09.2010

Barcelona World Race: Der brutalste Open 60 der WeltFoto: A. Fritsch/YACHT
Bö kommt, Wasser marsch: "Hugo Boss" im Semi-U-Boot-Modus

Ein Tagestörn auf Alex Thomsons neuer Waffe "Hugo Boss". Faszinierend, aber irgendwie auch schon ein bisschen menschenverachtend

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Foto: A. Fritsch/YACHT

Am Luv-Want steht der Bowman und zeigt stumm die Böen an. Drei erhobene Finger – heißt drei Sekunden bis zur nächsten Bö. Zwei, eins – der Steuermann fällt ab, das Boot krängt weg – und rast los. Die Logge springt auf 23,6 Knoten, dann durchschneidet der Bug eine hohe Welle, und alle Dämme brechen.

Auf die im Cockpit ganz am Heckende kauernde Crew rauscht eine weiße Wand aus Spray und massivem Wasser zu. Bug und Bowman im knallroten Outfit verschwinden im schaumigen Nichts. Kaskaden brechen sich erst am Mast, dann an Winschen, Beschlägen, Leinen — und Menschen. Gustav, Kameramann einer schwedischen Segelzeitung, reißt es an Deck fast von den Füßen, seine Kamera geht über Bord.
Und trotzdem: Als das Wasser abläuft, bricht Alex Thomson in schallendes Gelächter aus, und fast alle stimmen ein. Wie begossene Pudel tropfen die Mitsegler; wer sich nicht schnell genug weggedreht hat, hat in seine Kapuze und die Ärmel der Segel-Jacke einen C-Rohr ähnlichen Wasserstrahl bekommen. Manche sind bis auf die Unterwäsche nass. Furchterregend, aber irgendwie auch saucool.

Selbst Gustav lacht, trotz verlorener Kamera, er kennt das schon, beim letzten Volvo-Race war er Media-Mann an Bord der "Ericsson 2". Er steht auf so was. Je schlimmer, je besser. So nehmen wir noch ein paar dieser Böen samt Vollwaschgang mit. Hier vor Ibiza ist das Wasser noch schön warm, kein Grund zum Jammern. Und wann darf man als normaler Sterblicher schon einmal einen Open 60 durch 25 Knoten Wind und entsprechende Welle prügeln ?
Aber einhand, nachts, im Southern Ocean, bei 50 statt 25 Knoten Wind? Irgendwie sind diese Maschinen schon fast menschenverachtend brutal zu segeln.

Um so ein Boot kennenzulernen, hat Thomsons Sponsor Hugo Boss zum Pressesegeln auf dem neuen Open 60 geladen, mit dem er im Dezember beim Barcelona World Race (doublehanded, nonstop um die Welt) an den Start geht. Zusammen mit seinem Co-Skipper Andy Meiklejohn will der Brite nach Platz zwei bei der ersten Auflage 2007/08 diesmal gewinnen.
Die Waffe der Wahl dafür war überraschenderweise diesmal kein Neubau. Thomson entschied sich für den Refit eines älteren Bootes, der alten Ex-Pindar und Ex-"Kingdom of Bahrain", mit der Brian Thompson die letzte Vendée segelte. Der Grund dafür ist einfach: "Die Klasse hat die Regeln geändert, die neuen Boote sind in Segelfläche und Righting Moment begrenzt" erklärt Thomson. Alle schon gebauten Boote sind davon befreit. Der junge Brite ist bekanntermaßen Segel-PS-Junkie, und so entschied er sich für das radikalste Boot, das auf dem Markt zu haben war. Ein Juan-Kouyoumdjian-Design. Nur zur Orientierung: "Hugo Boss" hat praktisch einen identischen Mast, Segelfläche und rigthing moment eines Volvo 70

Und das merkt man. Raumschots fliegt das Boot beim Daysail vor Ibiza so mühelos mit mehr als Windgeschwindigkeit durch die Wellen, dass man seinen Blick nicht von der Logge nehmen mag. Abgesehen davon ist dort auch das zentrale Display für den Steuermann bei solchen Ritten: Die Gäste sollen ausschließlich nach dem True-Wind-Angle fahren, also dem Einfall des wahren Windes. Zwischen 110 und 120 Grad gehalten, geht es ab. Dabei liegt das Boot erstaunlich leicht auf dem Ruder.

Zwei der insgesamt acht Ballasttanks balancieren den Open 60 hecklastig aus, damit das Geschoss sich nicht mit der Nase in die Wellen bohrt und aushebelt.

Später, als wir wieder in der Abdeckung von Ibiza sind, die Wellen niedriger werden, ist das Segeln dann ganz lammfrom — und vor allem trocken. Dann kann man auf der hohen Kante sitzen und dem signalorange gestrichenen, fast 45 Grad nach Luv geschwenkten Kiel bestaunen, der unten wie ein Torpedo durchs Wasser jagt. Die Bombe an der filigranen Finne wirkt geradezu grotesk groß. Dass so etwas hält, mag man kaum glauben.

Das Besondere an Thomsons Boot ist das Cockpit: Ganz achtern sind zwei winzige, eiförmige Steuerhäuser auf Deck gesetzt, der Brite nennt sie "Pods", in dem alles Leben stattfindet. Skipper und Co-Skipper wohnen in den vielleicht zwei Quadratmeter großen Kokons. Sie schlafen auf großen mit Kunststoffkugeln gefüllten Kissen (Beanbags), ein winziger Campinggas-Kocher ist die Küche — der Rest sind Displays für Autopilot, Plotter und Kielbedienung. Ein gewöhnungsbedürftiger Lebensraum, der in etwa Sarg-Charme hat.

Das Leben findet auf Deck-Level statt, ist der Skipper gefragt, reicht es, sich aus der Koje zu schwingen, schon steht man mitten im Cockpit. Dass es so weit achtern liegt, soll die Balance des Bootes nicht stören: "Bei den Open 60s kannst du im rauen Wetter eigentlich nicht genug Gewicht achtern haben, da das Schlimmste ist, wenn der Bug unterschneidet", so Thomson.

Unter Deck müssen die beiden Segler praktisch nicht mehr. Angenehm ist das sowieso nicht, Thomson hat den früher eher konventionellen, großzügigen Kajütaufbau schlicht abgeschnitten und zulaminiert. Der Rumpf ist eigentlich ein riesiges Surfbrett mit zwei winzigen Einstiegsluken in den Pods. Unter Deck ist nirgends mehr als vielleicht 1,3 Meter Steh- bzw. Kriech-Höhe. Eine schwarze Kohlefaser-Höhle. Nur die Ventile der Ballasttanks werden von hier bedient.

Thomson ist sich jedenfalls sicher: "Wir haben das radikalste Boot und sind mittlerweile 10.000 Seemeilen damit gesegelt. Alles ist ausgereift und funktioniert. Wir sind bereit für das Barcelona World Race. Ob das die Neubauten von Jean-Pierre (Dick) und Michel (Desjoyeaux) auch sind, werden wir dann sehen …" Er ist sich sicher, dass die Ex-"Kingdom of Bahrain", die eher mit Mastbrüchen und Strukturproblemen auf sich aufmerksam machte, eine gute Wahl ist. Den aufgrund mangelnden Sponsorings wurde das Boot zuvor nie auch nur in die Nähe seines Potenzials gebracht. "Wir werden einige Leute ganz schön überraschen", ist er sich sicher. Ab dem 31.12. muss er es beweisen, dann startet das Barcelona World Race, an dem auch der Deutsche Boris Herrmann teilnimmt.