Tatjana Pokorny
· 25.01.2024
Mit knapp 1.500 Seemeilen Vorsprung vor Thomas Coville dominiert Spitzenreiter Charles Caudrelier die Arkea Ultim Challenge auch nach der 18. Nacht auf See. In den frühen Morgenstunden des 25. Januar donnerte der “Maxi Edmond de Rothschild”-Skipper mit einem Vier-Stunden-Schnitt von mehr als 34 Knoten etwa beim 46. Breitengrad Süd an der Eisgrenze entlang.
Der unaufhaltsame Spitzenreiter der Solo-Weltumsegelung wird voraussichtlich bereits am Donnerstagabend den Längengrad von Kap Leeuwin kreuzen. Es ist nach dem Kap der Guten Hoffnung der zweite der drei wichtigen Meilensteine bei dieser historischen Premiere der Nonstop-Regatta um die Welt auf den Ultim-Riesenfoilern. Die “Kap-Krönung” erfolgt traditionell mit der Kap-Hoorn-Passage.
Rund 13.700 Seemeilen hatte Charles Caudrelier am Donnerstagmorgen noch bis zum Ende seines Rennens zu meistern. Bald schon wird er Australien, Neuseeland und Tasmanien passieren und in den Südpazifik eintauchen. Hinter dem Dominator scheinen die Positionen für Thomas Coville auf “Sodebo Ultim 3” und Armel Le Cléac’h auf “Banque Populaire XI” auf den Plätzen zwei und drei vorerst zementiert.
Anthony Marchand (4.), der sich gestern in Absprache mit seinem Team nach der Kollision am Dienstag mit schwerem Foil-Schaden doch zu einem Pitstop entschlossen hatte, wird voraussichtlich in der Nacht in Kapstadt ankommen. Dort arbeitet das Team von Tom Laperche bereits an dessen “SVR Lazartigue”. Etwa 4.400 Seemeilen hinter Charles Caudrelier kämpft sich Schlusslicht Éric Péron im Südatlantik erst noch dem Kap der Guten Hoffnung entgegen.
Wie man erfolgreich im Southern Ocean vorankommt, fasste zuletzt Thomas Coville in einem Interview mit den Veranstaltern der Arkea Ultim Challenge gut zusammen: “Man braucht Gelegenheit, Talent und Glück. Der “Sodebo Ultim 3”-Skipper ist der Meinung, dass Charles Caudrelier über alle drei Zutaten verfügt. Dass der Sieger der letzten Route du Rhum trotz Riesenvorsprungs hart für seine Top-Position arbeiten muss, weiß Coville aus eigener Erfahrung so gut wie Guillaume Rottée von der Rennleitung.
Charles muss gerade ziemlich müde sein” (Guillaume Rottée)
Guillaume Rottée sagte: “Charles muss gerade ziemlich müde sein.” Die Wetterlage führe den zweimaligen Ocean-Race-Sieger dicht entlang an der Eisgrenze. Caudrelier und “Maxi Edmond de Rothschild” absolvieren kraftraubende Halsen in Serie. Rottée erklärte: “Mit jeder Halse nach Süden ist er sehr nahe an die EAZ (Red.: Eisgrenze) herangekommen, bis auf 1,6 Seemeilen an diese Grenze!”
Thomas Coville hatte zuletzt mit etwas heftigeren Bedingungen als seine Mitstreiter zu kämpfen, kam im Indischen Ozean zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Kap Leeuwin etwas weniger schnell voran. Sein jüngster Vier-Stunden-Schnitt lag am Morgen des 25. Januar bei knapp unter 30 Knoten. “Man hat gesehen, dass sein Kurs zuletzt nicht immer mit der normalen Geschwindigkeit seines Bootes übereinstimmte”, erklärte Guillaume Rottée. Inzwischen jedoch hätten sich die Kursunregelmäßigkeiten wieder gegeben.
Mehr als 1.000 Seemeilen hinter dem drittplatzierten Armel Le Cléac’h steuert indessen Anthony Marchand seine “Actuel Ultim 3” auf Kapstadt zu. Der Franzose hatte sich zuletzt durch ein Hochdruckgebiet quälen müssen, inzwischen aber wieder Fahrt aufgenommen. Den südafrikanischen Hafen von Kapstadt wird Marchand voraussichtlicht in der Nacht zum Freitag erreichen. Dann werden erstmals zwei der sechs Ultim-Gigantinnen gleichzeitig im Boxenstopp sein, während die Konkurrenz draußen auf See Gas gibt.
Dass bei den Extrembelastungen eines Nonstop-Rennens über 40 bis 50 Tage auch Schlaf eine wichtige Rolle spielt, ist bekannt. Doch wie geht das eigentlich auf einem rasenden 32-Meter-Tri, der in schwerem Wellengang im Südmeer durch die Weltmeere fliegt? Darüber sprachen die Skipper in dieser dritten Woche auf See. Charles Caudrelier hielt fest: “Um langfristig durchzuhalten, muss man gut essen und gut schlafen.”
Es sei selbstverständlich unmöglich, so Caudrelier, jede Nacht acht Stunden durchzuschlafen. Gut zu schlafen ist ein Kampf für sich, erfordert technische und auch psychologische Vorbereitung. Zutaten können eine spezielle Ausrüstung sein, Alarme, die Zusammenarbeit mit Freitauchern. Schlafmanagement ist längst zu einer Leistungsfrage geworden.
Solosegler haben keine Wahl: Mit dem Start in einen ultimativen Belastungstest wie die Arkea Ultim Challenge gehen sie dazu über, sich ihren Schlaf in “Häppchen” zu holen. Die Schlafphasen können von einer Handvoll Minuten bis zu etwa eineinhalb Stunden andauern. Armel Le Cléac’h erklärte: “Wir versuchen, so regelmäßig wie möglich zu schlafen, fünf, sechs, vielleicht sieben Male innerhalb von 24 Stunden in Schritten von 30 Minuten bis zu eineinhalb Stunden".
Sobald die Bedingungen gut sind, muss man schlafen” (Armel Le Cléac’h)
Die goldene Regel lautet: Nicht warten, sondern jede sich bietende Gelegenheit nutzen. “Sobald die Bedingungen gut sind, muss man schlafen”, weiß Armel Le Cléac’h. “Am Anfang ist man vielleicht 48 Stunden lang in Topform, aber wenn man sich verausgabt, gerät man unweigerlich in ein Schlafdefizit”, erklärt Sébastien Josse, Mitglied der Routing-Gruppe im Team Banque Populaire und Co-Skipper von Armel Le Cléac’h beim Transat Jacques Vabre.
“Dann macht man ein kleines Nickerchen, wacht auf, um alles zu überprüfen, und wenn es möglich ist, kann man wieder schlafen gehen”, sagt Seb Josse. Auf diese Weise sei es möglich, in 24 Stunden zwischen sechs und acht Stunden Schlaf zu sammeln. Für diese notwenigen Schlafpausen haben sich die sechs Skipper bei der Arkea Ultim Challenge unterschiedlich vorbereitet.
Armel Le Cléac’h hat eine maßgeschneiderte Matratze in seinem Cockpit installiert. Auf “Sodebo Ultim 3” hat Thomas Coville laut eigener Aussage “viele Tests durchgeführt, um die am besten geeigneten Kissen zu finden”. Der achtmalige Weltumsegler hat “ein riesiges Körperkissen, ein Nackenkissen und ein weiteres für die Knie”. Coville benutzt auch eine Schlafmaske während seiner Nickerchen.
Aufmerksamen Beobachtern von Boris Herrmanns Imoca-Einsätzen dürfte nicht entgangen sein, dass auch der fünfmalige Hamburger Weltumsegler mit einer Schlafmaske operiert. Die Skipper der Arkea Ultim Challenge haben bislang mehrheitlich bestätigt, dass sie genügend Schlaf bekommen haben, auch wenn es in der Anfangsphase einige Tage gedauert habe, in den richtigen Rhythmus zu kommen.
Um aber auch in einen tiefen, erholsamen Schlaf zu gelangen, sei es sehr wichtig, einen Zustand des Loslassens, der Entspannung, zu erreichen. Mit diesem Ziel arbeitet beispielsweise Thomas Coville mit der Freitaucherin Alice Modolo zusammen. Auch Charles Caudrelier hört in diesem Bereich auf den Rat von Arnaud Jerald, dem Rekordhalter im Freitauchen (122 Meter).
In einem Interview mit dem Team der Arkea Ultim Challenge sagte Arnaud Jerald: “Charles wollte so stark wie möglich vom Boot, von den Zahlen und dem Stress, von all den Informationen, die er im Kopf haben muss, abschalten. Er wollte eine Wahl haben. Aber beim Freitauchen geht es nur um das Gefühl. Wir beginnen mit der Arbeit an der Atmung, um die Herzfrequenz zu senken und loszulassen.”
Es ist so wichtig, dass man sich selbst gut kennt” (Anthony Marchand)
Vor allem die Apnoe-Erfahrung (Red.: das Aussetzen der Atmung) hilft laut Arnaud Jerald, mental weiterzukommen. Am Ende der gemeinsamen Arbeit mit dem Freitaucher wollte Caudrelier 30 Meter Tiefe erreichen. Er musste sich anstrengen und sogar auf 25 Meter abbremsen, bevor er das Limit erreichte. “Es ist eine Art, an seine Grenzen zu gehen, einen Meilenstein zu erreichen”, versichert der Freitaucher. Und weiter: “Indem er das geschafft hat, gewann er an Erfahrung und hat sich einen neuen Weg eröffnet.”
Bekannt ist auch, dass Segler in Stressmomenten auf Erfahrung zurückgreifen. Es hilft alles, was die Ultim-Akteure bei früheren Einsätzen auch in anderen Klassen über ihr Schlafvermögen gelernt haben. Die Tage und Nächte, in denen sie bei Rennen wie der Solitaire du Figaro oder bei Transats ihre Müdigkeit bekämpft haben. “Jeder Segler hat seine eigene Art einzuschlafen”, sagt beispielsweise der achtmalige La-Solitaire-Teilnehmer Anthony Marchand auf “Actual Ultim 3”. Seine Überzeugung: “Es ist so wichtig, dass man sich selbst gut kennt!”
Diese Wecker sind sehr stark, sehr schrill” (Sébastien Josse)
Wenn der Körper stark gestresst und übermüdet ist, wenn der Cursor tief in den roten Bereich geht, dann ist genau das die Zeit, in der Extremsegler besonders wachsam sein müssen. Denn nach mehreren Tagen anstrengender Manöver oder harter Bedingungen wie beispielsweise während der Frontpassage in der ersten Woche der Arkea Ultim Challenge ist es nicht ungewöhnlich, dass man stürzt oder sich verletzt, weil die Energietanks leer sind. Oder man verschläft. Deshalb trifft jeder Vorsichtsmaßnahmen, wie zum Beispiel den Einsatz von Weckern.
“Diese Wecker sind sehr stark, sehr schrill”, erklärt Sébastien Josse. “Das Problem ist, dass man manchmal so müde ist, dass man den Wecker in seinen Traum integriert und schließlich fünf bis zehn Minuten wartet, bevor man darauf reagiert.” Skipper wissen, dass man ein Rennen verlieren kann, wenn man zu spät aufwacht. Viele Fans erinnern sich noch an das Missgeschick von Alex Thomson auf der Route du Rhum 2018: Einige Meilen vor dem Ziel versagte seine elektrische Pulsuhr, weil deren Batterie kaputt war. Thomson wurde nicht geweckt und fuhr gegen eine Klippe.
Es ist der Zauber der Erfahrung, sich selbst und seine Grenzen zu kennen” (Sébastien Josse”
Dass der Körper über eine hohe Anpassungsfähigkeit verfügt, beweist aber in der Regel das Schlafmanagement an Bord. “Natürlich wacht man manchmal auf und braucht ein paar Sekunden, um sich daran zu erinnern, wo man ist, an Bord, im Rennen, mit dieser und jener Segelkonfiguration und dieser und jener Geschwindigkeit”, erklärt Sébastien Josse. “Aber meistens wacht man kurz vor dem Weckeralarm auf. Das bedeutet, dass man nicht zu ausgebrannt ist, wenn man aufwacht. Und das ist der Zauber der Erfahrung, sich selbst und seine Grenzen zu kennen.”