Tatjana Pokorny
· 10.07.2022
Henri de Bokays "Rafale"-Crew ist in die noch junge Langstrecke Aegean 600 durchgestartet. Der griechische Insel-Marathon findet erst zum zweiten Mal statt
Das war ein schneller Start: Mit dem 18 bis 22 Knoten kräftig wehenden Meltemi aus nördlicher Richtung sind die Teilnehmer der zweiten Edition der Langstrecke Aegean 600 am Sonntag auf ihren Kurs gegangen. Unter strahlend blauem Himmel herrschten typische Ägäis-Bedingungen. Das Rennen begann mit einer eineinhalb Seemeilen langen Kreuz zu einer Wendemarke, die unter dem historischen Poseidon-Tempel positioniert war. Das Spektakel vor malerischer Kulisse genossen die Segler ebenso wie die Zuschauer auf den Begleitbooten. Als Erste wurden die Mehrrumpfboote auf die Bahn geschickt. In Führung lag am späten Abend der Schweizer Katamaran-Einzelbau "Allegra", der in sechs Stunden bereits 90 Seemeilen absolviert hatte und mit 17 Knoten Geschwindigkeit Kurs auf Santorini nahm.
Zehn Minuten nach den Multihulls war die komplette Einrumpfflotte an der Startlinie gefordert. Die Mannschaften segelten bei angenehm abnehmendem Meltemi in eine traumhaft schöne ägäische Nacht auf See. Erstmals sind in diesem Rennen der Unternehmer Henri de Bokay und seine Crew mit der Eliott 52 "Rafale" (Ex-"Outsider) dabei. "Es ist ein unheimlich spannender Kurs. Ein wenig ist er vergleichbar mit dem RORC Caribbean 600", sagt Skipper Philipp Kadelbach. Ein paar "offene Rechnungen" mit Offshore-Regatten und Träume von attraktiven Langstrecken einten Henri de Bokay und Philipp Kadelbach bei der Entwicklung der Idee zum Projekt "Rafale". Wobei Eigner de Bokay weniger die eigene Bucket List als vielmehr das gemeinsame Erlebnis im Visier hat. De Bokay sagt: "Am Ende zählt im Leben nicht, wie viele Orte und Rennen du gesehen und bestritten hast. Wichtig sind die Beziehungen zu den Menschen."
Der in Südfrankreich mit viel Segel- und Wassersport aufgewachsene Henri de Bokay ist seit einem Jahrzehnt in Deutschland und hat mit "Rafale" seine Sehnsucht zum Seesegeln wiederbelebt. Von den in seinem Leben erhaltenen Chancen und Möglichkeiten will er etwas zurückgeben und teilen. Und das am liebsten auf See. De Bokay sagt: "Das richtige Segeln findet nicht um Bojen statt. Es ist sehr schön, dass man das in einer Großstadt machen kann, doch das andere Segeln, das findet da draußen statt." Für die Regattapläne hat er mit Philipp Kadelbach eine ebenso engagierte wie ambitionierte Crew zusammengestellt, die aktuell im Aegean 600 angreift. "Ich freue mich, dass olympische Segler und Top-Bundesliga-Segler dabei sind. Wir haben eine gesunde Mischung aus Erfahrung und jungen ehrgeizigen Leuten an Bord."
Die "Rafale" hat Henri de Bokay von Tilmar Hansen erworben, mit dem er sogar verwandt ist. Und das geschah so: "Ich kannte das Boot von 2008, sollte damals die Flensburger Woche mitsegeln, musste dann aber geschäftlich zurück nach London. Auf einem Familienfest habe ich mich dann mit Tilmar unterhalten, war vorher schon von der simplen Philosophie des Bootes begeistert. Tilmar hatte selbst einst das kleinste Boot im Visier, mit dem man Line Honors holen kann. Das Boot ist unglaublich schnell und segelt trocken. Es ist durch und durch Rennboot ohne viel Komfort an Bord. Es ist ein Boot, das immer mehr machen will …" Im März 2021 hat Henri de Bokay die ehemalige "Outsider" gekauft und mit seinem Team in "Rafale" verwandelt. Der französische Begriff steht für eine "Bö".
Mit Segelfreund Philipp Kadelbach hat Henri de Bokay einen ehrgeizigen Projektpartner mit Jollen-Hintergrund: Der Jurist und Unternehmer aus der Berliner Segelfamilie Kadelbach vom Verein Seglerhaus am Wannsee hat olympische 470er gesegelt. "Daran hing mein Herz", sagt er heute noch. Auch Drachen, Beneteaus und Bundesliga-Boote segelt Kadelbach am liebsten schnell über den Kurs. Gleichzeitig teilt er mit Henri de Bokay die Leidenschaft fürs Seesegeln und das Ziel, an einigen der Königsrennen teilzunehmen. Dem laufenden Aegean 600 sollen das Middle Sea Race, das RORC Transat 2023, das Caribbean 600 und das Fastnet Race folgen. Um schneller zu lernen und ihren Knowhow-Pool in einigen Seesegelbereichen mit sinvollen Abkürzungen zu erweitern, nehmen sie hin und wieder einen Vollprofi mit an Bord. Etwa Annie Lush vom Offshore Team Germany. "Annie war beim Giraglia dabei, und das war krass. Da haben wir ein paar Dinge im Umgang mit dem Hobel in leichten Winden erstmals verstanden." Ein Profi-Projekt wollen sie als Mannschaft nicht werden. "Das hier mit Henri und den Jungs, mit denen man auch abends weggeht, so erfolgreich wie möglich machen zu können, das ist der Traum. Dazu kommen die Rennen, die man noch nie gesegelt ist. So wie das Fastnet." Oder auch das aktuelle Aegean 600
Das De-Bokay-Team behandelt sein Projekt wie ein Start-up-Unternehmen, sagt Kadelbach: "Am Anfang ging es weniger um Performance. Wir gehen es mit dem 'Leiter-Prinzip' an. So was muss wachsen. Stufe für Stufe. Erst mal fahren, ins Offshore-Segeln reinwachsen und dann inkrementelle Verbesserungen vornehmen." So sieht es auch der Eigner, der gut um die Unwägbarkeiten des Handicap-Segelns weiß: "Man kann nicht gewinnen, ohne gut zu segeln. Aber man kann gut segeln, ohne zu gewinnen." Der Neigekiel der "Rafale", weiß Henri de Bokay, sei im Rating nicht gerade gewinnbringend: "Wir zahlen dafür, dass wir bei 100 Grad true schnell sind, also im Idealzustand, den man ja aber nicht immer hat." Wie das Rating-Spiel im aktuellen Aegean 600 ausgeht, wird die Endabrechnung zeigen. Die ersten zwölf Stunden liefen gut für "Rafale", deren Crew nach knapp 80 gesegelten Meilen sowohl in der ORC- als auch in der IRC-Wertung in den Top Drei segelte.