Ein Drehbuch fürs Saisonfinale der 52 Super Series hätte man so nicht schreiben dürfen. Das hätte niemand geglaubt. Was sich in dieser Woche in Puerto Portals und in der Bucht von Mallorca abspielte, war unglaublich. Angetreten waren die besten Teams der 52 Super Series zur Entscheidung im Kampf um die Saisonmeisterschaft. Segler und Beobachter erwarteten ein packendes Duell zwischen Ergin Imres türkischer Spitzenreiterin “Provezza” und Harm Müller Spreers vor einem Monat zur TP52-Weltmeisterin gekürten “Platoon”.
Im ersten Rennen segelte “Platoon” auf Rang drei, während sich Team Provezza mit Rang neun einen Aussetzer erlaubte. Neun Rennen sollten aber noch folgen. Im zweiten Rennen geschah dann dies: Das britische “Gladiator”-Team suchte im Start auf aggressive Weise Raum in der ersten Reihe und schoss von hinten in die bereits formierten Konkurrentinnen hinein.
“Die sind beim Start mit Vollgas von hinten in eine Lücke reingefahren, wo nur zwei Meter waren”, ärgerte sich Harm Müller-Spreer. Sein Team verpasste durch das Doppel-Foul, bei dem sowohl “Platoon” als auch die US-Yacht “Sled” beschädigt wurden, zwei Rennen. Dafür wurden “Platoon” später Durchschnittspunktzahlen von zweimal 5,5 zugewiesen. Die Crew auf “Provezza” punktete gleichzeitig mit den Rängen 6 und 2.
Am Folgetag waren zunächst alle Teams nach abendlichen Reparaturen und Checks bereit, die Serie fortzusetzen. Dann aber sorgte ein beschädigtes Want auf “Platoon” erneut für zwei verpasste Wettfahrten der für den Norddeutschen Regatta Verein startenden TP52, wofür die Jury später wieder zweimal 5,5 Punkte an Wiedergutmachung aufgrund des Folgeschadens der Kollision vom Vortag aufs “Platoon”-Konto überwies.
Gleichzeitig hatte aber plötzlich auch die Crew auf “Provezza mit einem Riggschaden zu kämpfen, konnte die vierte Wettfahrt nicht beenden und die fünfte wie die sechste nicht bestreiten. Die Crew eilte nach Palma, um das dort bereitliegende Ersatzrigg zu holen.
Erst in den letzten drei Rennen waren die Teams auf “Platoon” und “Provezza” wieder beide im Einsatz – und machten es kriminell spannend. Mit den Rängen 4 und 2 waren Harm Müller-Spreer und seine Mannschaft dem Provezza-Team (1, 3) in den Rennen sieben und acht fast ebenbürtig.
Danach wussten alle Beteiligten: Die Entscheidung im Duell um die Saisonmeisterschaft würde im neunten und letzten Rennen fallen. Es misslang der “Platoon”-Crew mit Rang neun gründlich. Doch das Provezza-Team kam auch nur mit Rang sechs ins Ziel. Diese beiden Resultate führten nach insgesamt fünf Regatten in 2023 und der Achterbahnfahrt durch die finale Saisonwoche zu einem beinahe unglaublichen Saisonergebnis: “Platoon” gewann nach insgesamt 45 Wettfahrten in diesem Jahr erstmals die Saisonmeisterschaft – punktgleich vor “Provezza”.
Nachdem Harm Müller-Spreer mit der “Platoon”-Crew bereits fünfmal das Podium einer Saisonmeisterschaft der 52 Super Series erreicht, dabei aber noch nie auf dem höchsten Podestplatz gestanden hatte, ist der Gipfelsturm mit Taktiker Vasco Vascotto und dem deutschen Profi Michael Müller nun gelungen. Knapper hätte der zweite große “Platoon”-Sieg dieser Saison nach dem WM-Triumph mit nur einem Punkt Vorsprung vor “Provezza” nicht ausfallen können.
Für den sympathischen “Provezza”-Eigner Ergin Imre war diese zweite und noch knappere Niederlage binnen eines Monats hart. Sein Team hatte mit Steuermann John Cutler, Taktiker Hamish Pepper und Steuermann Nacho Postigo eine hervorragende Saison bestritten, konnte aber im Endspurt die Last der drei aus technischen Gründen verpassten Rennen mit 34 Punkten nicht mehr abschütteln. In der 52 Super Series wird traditionell ohne Streicher gesegelt. Entsprechend differenziert, aber auch glücklich kommentierte Harm Müller-Spreer das “Platoon”-Double und die erste gewonnene Saisonmeisterschaft:
Ich habe es so oft versucht. Und endlich hatten wir hier ein kleines bisschen Glück” (Harm Müller-Spreer)
“Es war ein langer Weg bis hierher. Ich habe es so oft versucht. Und endlich hatten wir hier ein kleines bisschen Glück. In diesem Sinne tut es mir sehr leid für Ergin und das Pech der ’Provezza’. Sie sind die wahren Champions in diesem Jahr. Aber so ist das Leben manchmal – es ist hart. Wir waren auf dem Glückskurs und sie nicht, und das tut mir leid.”
Zur Leistung seines Teams in dieser Saison sagte Harm Müller-Spreer: “In der zweiten Hälfte der Saison hatten wir mehr Selbstvertrauen. Wir haben gelernt, wie das Boot im Vergleich zum letzten Jahr funktioniert, nachdem wir den Kiel gewechselt hatten. Und am Ende war es eine gute Leistung. Das Boot lief gut, und der Teamgeist war wirklich gut. Ich fühle mich großartig. Den Saisontitel und den Weltmeistertitel als Eigner und Steuermann zu gewinnen, das ist das Maximum, was man auf einer internationalen Einrumpf-Rennyacht erreichen kann.”
Wenn wir zufällige Ereignisse und den Einfluss Dritter – der Jury – beiseitelassen, haben wir das Gefühl, dass wir das beste Boot der Saison waren” (Nacho Postigo)
Die Gefühlswelt im Team Provezza fasste Navigator Nacho Postigo in Worte: “Ich bin in gewisser Weise sehr enttäuscht über das Ergebnis. Aber ich bin auch sehr stolz auf die Art und Weise, wie wir die ganze Saison gesegelt sind, und auf die Stärke dieses Teams. Wenn wir zufällige Ereignisse und den Einfluss Dritter - der Jury - beiseitelassen, haben wir das Gefühl, dass wir das beste Boot der Saison waren, und das ist ein gutes Gefühl.”
Weiter sagte Nacho Postigo, der auch auf der J-Class “Topaz” und weiteren prominenten Rennyachten im Einsatz ist: “Für mich ist der Höhepunkt der Saison, dass Provezza so viel mehr ist als nur ein Segelteam. Es ist wie eine Familie. Und Ergin sorgt dafür, dass wir zusammenkommen und dass wir alle in die gleiche Richtung rudern. Das ist das Geheimnis für unseren Erfolg.”
Die Regatta vor Puerto Portals hat Hasso and Tina Plattners “Phoenix” mit satten elf Punkten vor “Sled” und der britischen “Allegre” gewonnen. Einen so großen Vorsprung wie “Phoenix” mit Steuermann Tony Norris und Taktiker Ed Baird hatte in dieser Saison kein anderes Team bei einer der anderen vier TP52-Regatten in Saint-Tropez, Scarlino, vor Menorca oder bei der WM in Barcelona heraussegeln können. Tony Norris sagte: “Der Sieg bei dieser Regatta ist ein großer für unser Team. Wir sind einst 2018 mit Ed Baird durchgestartet, und es ist großartig, dass er wieder da ist. Er ist ein herausragendes Talent.”
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