50. Kieler 24-Stunden-RegattaWer macht die meisten Seemeilen innerhalb eines Tages?

Nils Leiterholt

 · 11.07.2024

Auf dem Weg zur ersten und einzigen echten Bahnmarke rollte „Tormund“ das Regattafeld komplett von hinten auf
Foto: YACHT/Lars Jacobsen
Zum 50. Mal fand die Kieler 24-Stunden-Regatta statt. Bis heute geht es bei dieser ersten Wettfahrt ihrer Art nicht um die schnellste Zeit, sondern ums Meilenmachen

“Das Fallenschloss ist aufgegangen!“ Der Vorsegel-Trimmer hat es als Erster gesehen, brüllt die Hiobsbotschaft gegen 23 Knoten Wind, und die Crew setzt sich umgehend in Bewegung. Dabei prasselt der Regen förmlich vom Himmel. Auf Schiff und Ölzeug, vor allem aber auf unsere Gesichter und Köpfe, auf denen die Kapuzen wegen des Windes nicht halten.

Wir befinden uns an Bord der „Tormund“ beim 24-Stunden-Segeln der Möltenorter Seglerkameradschaft (MSK) und der Wassersport-Vereinigung Mönkeberg (WVM) in der Kieler Förde. Die Regatta bietet gleich mehrere Besonderheiten: Zum einen wird kein festgelegter Kurs abgesegelt, zum anderen kann es sinnvoll sein, verschiedene Häfen anzulaufen.

Ziel des Rennens ist es nämlich, in 24 Stunden möglichst viele Seemeilen zu sammeln. Es sind lediglich die Start- und die Ziellinie sowie eine Tonne vorgeschrieben, die es zu passieren gilt. Die eigentliche Route kann frei gewählt werden. Dabei geht es darum, Kurse abzusegeln, auf denen das jeweilige Boot am besten segelt. Und so hängt der Erfolg wesentlich davon ab, dessen Stärken und Schwächen genau zu berücksichtigen.

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Zusätzlich zu den tatsächlich geloggten Seemeilen gibt es verschiedene Boni. So werden für jeden Hafen, der angelaufen wird, vier Seemeilen gutgeschrieben, die nicht wie die gesegelten Seemeilen nach Yardstick beschickt werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass zwischen den Häfen mindestens vier Seemeilen gesegelte Strecke liegen muss, außerdem gibt es den Bonus für jeden Hafen nur einmal.

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Einzige Tonne des Parcours wird ausgelost

Bei der Steuermannsbesprechung im Vereinsheim der MSK wird die eine Tonne des Parcours ausgelost. Gezogen wird aus der Mütze von Wettfahrtleiter und Chef des Organisationskomitees Frank Krupinska von der MSK. „Es wird Tonne eins“, verkündet der, nachdem er einen Zettel aus seiner Kappe gezogen hat. Die Bahnmarke liegt zwischen Maasholm und Ærø. Nach letzten Fragen zu Formalitäten wie dem Verschicken der Beweise für die Hafenpunkte setzen sich alle in Bewegung, zum letzten Toilettengang und dann an Bord und auf den Weg zur Startlinie.

Auf der „Tormund“ ist an diesem Wochenende nicht die regattaerfahrene Stammcrew. Es fehlt die gemeinsame Routine, und so dauert es etwas, bis die Segel stehen. Die Startlinie überqueren wir erst leicht verspätet. Danach nehmen wir Kurs auf die vorgeschriebene Bahnmarke. Nach und nach überholen wir viele unserer Konkurrenten, da unser Schiff das schnellste im gesamten Feld ist. Daher werden wir aber auch entsprechend mehr Seemeilen sammeln müssen.

Die Bahnmarke erreichen wir kurz vor 22 Uhr. Mittlerweile hat es sich abgekühlt. Die meisten haben sich spätestens jetzt ihre lange Öljacke über ihren sowieso schon dicken Zwiebel-Look gezogen. Wir erwarten eine kalte Nacht mit Temperaturen im tiefen einstelligen Bereich. Dass unser Schiff unter Deck nicht ausgebaut ist und nass sein wird, verstärkt den Respekt vor der Zeit ohne Sonne.

Mitsegeln auf einer X-Treme 32: Wasser unter Deck gehört zum Konzept

Die „Tormund“ ist eine X-Treme 32 von G-Force Yachts aus San Diego. Sie ist 9,95 Meter lang, 3,42 Meter breit und verdrängt leer knapp zwei Tonnen. 900 Kilogramm des Reichel-Pugh-Entwurfs macht der Kiel aus. Die Eigner Jan und Arne Meincke haben sie Anfang 2022 gekauft, als sie auf der Suche nach einem sportlichen Regattaschiff waren, das sie mit ihren erwachsenen Kindern segeln können.

Über die Idee hinter dem Boot hatte mich Arne noch aufgeklärt, bevor wir es am Freitagnachmittag in Strande betraten: „Das Konzept der X-Treme 32 ist nicht, dass kein Wasser unter Deck läuft, sondern, dass es schneller wieder herauskommt, als es reinläuft.“ Unter anderem aufgrund des nicht abgedichteten Gennakerbaums ist Wasser unter Deck normal. Mehrere Pumpen sind daher unterwegs im Einsatz. Vor der Feuchtigkeit halbwegs sicher ist außer der in wasserdichten Taschen und Koffern verpackten Ausrüstung nur jene, die an Steuerbord Richtung achtern im Netz unter der Decke verstaut ist.

Beim Kauf mit dabei war ein ausgebauter Kastenanhänger, der als Werkstatt, als Lager für Segel und als Transportmöglichkeit dient. „In dem Anhänger haben wir eigentlich alles. Von Tauwerk in jeder möglichen Ausführung über alle Variationen Epoxid-Harz bis hin zur Verpflegung. Im Grunde kann man mit dem Material aus dem Anhänger das ganze Boot noch mal bauen“, sagt Jan ironisch. Er sitzt in der Regel an der Pinne der „Tormund“.

Der Plan von Jan und Arne, zusammen mit ihren Kindern, deren ehemaligen Leistungskader-Kollegen und Freunden segeln zu gehen, ging auf: Inzwischen ist die Crew beim Großteil der bekannten Events am Start. „Wir segeln eigentlich alles, was sich anbietet und stattfindet. In diesem Jahr die Maior, Ærø Rund, die Kieler Woche und dann den Blueribboncup oder die ORC-Europameisterschaft in Mariehamn“, so Arne Meincke. Außerdem nehmen sie an der Serie von Mittwochsregatten des Kieler Yacht-Clubs vor Strande teil, wo die „Tormund“ auch ihren Liegeplatz hat.

Das Anlaufen eines Hafens bringt vier Bonus-Seemeilen

Gegen 0.45 Uhr sammeln wir im Hafen von Olpenitz die ersten vier Bonus-Seemeilen ein. Mittlerweile ist es kurz nach ein Uhr, und im Cockpit wird es langsam etwas ruhiger. Dass sie normalerweise längst schlafen würden, ist den Teilnehmern – allen steckt ein regulärer Arbeitstag in den Knochen – anzumerken.

Langsam ist uns kalt, und es überkommt uns der Hunger. Mittlerweile haben wir alles angezogen, was wir dabeihaben. Dementsprechend schwer fällt auch das Quetschen durch den flachen Niedergang. Mitsegler Luca hängt den Jetboil an seiner selbst gebauten Halterung auf und befüllt ihn mit Wasser aus einer unserer Trinkflaschen. Als das Wasser nach etwas mehr als 90 Sekunden erhitzt ist, kommt es in den Beutel mit Astronautennahrung. Wir genießen die warme Mahlzeit im Cockpit.

Danach nehmen wir uns vor, den Yachthafen von Damp anzulaufen. Als wir ihn gegen zwei Uhr erreichen, sieht es noch genauso aus wie nach der Ostseesturmflut im vergangenen Oktober. Das „Herzlich willkommen in Damp“-Schild ist umgekippt, viele der Stege sind im selben Zustand wie direkt nach der Flut, die meisten Boxen sind mit Tauen abgespannt, sodass ein Einlaufen unmöglich ist. Da jedoch an einigen Stegen bereits wieder Schiffe liegen und auch das Wasser- und Schifffahrtsamt Ostsee den Hafen offiziell wieder geöffnet hat, folgen wir unserem Plan, die vier Hafen-Meilen einzusammeln.

Als wir Damp verlassen, entscheiden wir uns, Richtung Norden und nach Schleimünde zu segeln. Die Lotseninsel war im Oktober ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Und obschon wir die Hafeneinfahrt erst kurz vor drei Uhr nachts erreichen, sind im Schein unserer Taschenlampe immer noch Zerstörungen sichtbar. Obwohl zahlreiche ehrenamtliche Helfer im Winter an der Wiederherstellung der Insel gearbeitet haben. Ein Crewmitglied balanciert auf dem Steg, auf dem noch einige Bretter fehlen, und legt Vor- und Achterleine um die Klampen. Zwei Leute sitzen auf der Steuerbordseite und halten das leichte Boot mit den Füßen vom Steg ab. Der Wind würde es sonst gegen den Steg drücken.

”Hafen-Hopping” in der Kieler Förde

Jan macht ein Foto, wie das Schiff mit beiden Leinen festgemacht ist, und übermittelt es mit unserem Standort per Whatsapp an die Wettfahrtleitung. Auch der Tracker am Heckkorb sendet eine Position. Früher mussten die Segler ihren Hafenbesuch noch mit dem Einwurf einer Postkarte in den Briefkasten des Hafens beweisen. Wie sehr sich der Segelsport durch die modernen Kommunikationstechniken verändert hat, dafür ist die „Tormund“ das beste Beispiel. Ihr Instagram-Account hat das Team des Racers bei vielen, insbesondere jungen Seglern bekannt werden lassen.

Auf dem Account finden sich über 180 Beiträge, die bereits mehr als 11.500 Abonnenten angezogen haben. „Tormundracing“ spielt auf Social Media in einer Liga mit den bekannten professionellen deutschen Segelteams und hat dadurch sogar bereits das Interesse bestimmter Firmen für Sponsorings geweckt.

Das Anlaufen der zwei Häfen von Eckernförde verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Wir setzten unsere Reise fort und segeln zurück in die Kieler Förde.

Auf dem Raumschotskurs, auf dem der Wind mit einem Windeinfallswinkel von 135 Grad und einer Geschwindigkeit von um die 18 Knoten weht, erreichen wir allein unter Großsegel und Fock eine Bootsgeschwindigkeit zwischen 11,3 und 11,5 Knoten.

In der Kieler Bucht beginnen wir gegen kurz vor 14 Uhr mit unserem „Hafen-Hopping“. Nacheinander und mit jeweils vier gesegelten Meilen dazwischen machen wir in Strande, im Nord- und Südhafen von Schilksee, in der Laboe Baltic Bay Marina, in Düsternbrook, in Möltenort und direkt vor der Zieldurchfahrt auch noch in Mönkeberg fest.

Siegerehrung ist eine wahre Zeremonie

Nachdem wir die Ziellinie gequert haben, nehmen wir Kurs auf Möltenort, bereiten das Schiff für die Überführung unter Maschine nach Strande vor und fahren mit den im Hafen geparkten Autos nach Mönkeberg zur Siegerehrung. Alle sind abgekämpft und müde. An Schlafen war in der letzten Nacht nicht zu denken. Die „Tormund“ verfügt über keinerlei Kojen. Jeder von uns hat maximal zwei Stunden auf einer nassen Isomatte unter Deck geruht. Die Siegerehrung beginnt am Samstagabend gesellig. Trotz aller Anstrengungen der vergangenen 24 Stunden sind die Teilnehmer zahlreich erschienen. Neben einer Band, die Live-Musik bietet, gibt es Nackensteaks und Würstchen vom Grill, dazu Kartoffelsalat und Brötchen.

Nach einer Zeit des Eintrudelns und Ankommens – viele Crews haben die Schiffe zumindest noch in die Nähe der Heimathäfen gefahren – ergreift Holger Stürck, den sie hier nur „Holly“ nennen, von der WVM das Wort. Er ist Mitglied des dreiköpfigen Organisationskomitees. Noch bevor Zeremonienmeister Frank Krupinska die Auswertung abgeschlossen und das Klubhaus der WVM erreicht hat, führt Stürck eine Tombola durch, bei der es zahlreiche Preise zu gewinnen gibt. Anschließend leitet er zur Siegerehrung über, und alle warten gespannt auf Frank Krupinska mit den Ergebnissen. Bis endlich jemand ruft : „Er ist da!“

Gleich wird es unruhig. Frank Krupinska eilt herbei, ihm ist ähnlich den Seglern anzumerken, dass er in der Nacht nicht viel Schlaf gefunden hat. Gestresst bahnt sich der kleine Mann mit dem grauen Bart seinen Weg durch das gefüllte Klubhaus. Nach einer kurzen Zeit des Sortierens und einer schnellen Einleitung beginnt er mit der Verkündung der Ergebnisse, zuvor würdigt er aber die Leistung, die die Segler während der vergangenen Stunden vollbracht haben: „Insgesamt wurden, ohne jegliche Rechnung begonnen zu haben, 3.084 Seemeilen gesegelt. Das ist eine beachtliche Leistung!“

Krupinska hat bei der Siegerehrung im Anschluss gleich mehrere Preise zu vergeben. Er selbst stiftete 2021 den großen Pokal für den „Sieger über alles“. Die Crew dieses Schiffes hat in Addition der berechneten gesegelten Meilen und der Hafen-Boni die höchste Gesamtmeilenzahl erzielt. In diesem Jahr ging dieser Preis an die Crew der Hanse 320 „WiN“ um Skipper Ralf Frerix, die auch in ihrer Gruppe drei gewonnen hat. In der Gesamtwertung über alles den zweiten Platz und damit den Sieg in der eigenen, vierten Gruppe holte das Team auf dem H-Boot „Rujo“ um Jörg Heitmann.

In Gruppe zwei siegte die Crew auf der JPK 960 „Deja Vu“ um Fiete Quaschner. Sie errang auch den „Junior’s Cup“ für das Schiff mit den meisten Seemeilen und Crewmitgliedern unter 30 Jahren. Den „Senior’s Cup“ für die Crew des Schiffes mit den meisten Seemeilen und Crewmitgliedern über 60 Jahren hat die Mannschaft der Comfortina 35 „Longo Mai“ um Skipper Thomas Jung gewonnen. Den Sieg in der Gruppe eins konnte sich unser Team auf der „Tormund“ sichern.

Zum Abschluss der Siegerehrung bedankt sich der „Organisationschef“ der Regatta nochmals bei allen Helfern und Seglern, die teilgenommen haben. Angesichts der verdoppelten Meldezahl im Vergleich zum Vorjahr äußert er die Hoffnung, im nächsten Jahr die 51. Ausgabe der geschichtsträchtigen Regatta veranstalten zu können. Sein Schlussappell lautet, dass die Teilnehmer ihren Vereinskameraden und auf den Stegen von der Veranstaltung erzählen und für die Teilnahme werben mögen. „Dann macht es allen mehr Spaß, euch als Seglern wie auch uns, die das Ganze veranstalten“, so Krupinska.

Interview mit „Mr. 24 Stunden“ Frank Krupinska

Bei der Steuermannsbesprechung liefert Krupinska Antworten auf die Fragen der teilnehmenden SeglerFoto: YACHT/Lars JacobsenBei der Steuermannsbesprechung liefert Krupinska Antworten auf die Fragen der teilnehmenden Segler

Wie kamen Sie dazu, die 24-Stunden-Regatta federführend zu veranstalten?

Frank Krupinska: Ich bin selbst unzählige Male mitgesegelt, kenne den Event schon lange und versuche, ihn weiterzuentwickeln. In Vereinen muss es immer eine gute Seele geben, die sich verantwortlich fühlt, und im Augenblick bin ich das.

Wie klappt die Zusammenarbeit zwischen WVM und MSK, den beiden veranstaltenden Vereinen?

Holly von der WVM und ich von der MSK arbeiten für die 24Stunden-Regatta sehr kameradschaftlich und eng zusammen. Unterschiedliche Vereinsphilosophien interessieren uns nicht.

Und wie sieht das mit den Vorständen der jeweiligen Vereine aus?

Das Komitee hat immer ein gewisses Eigenleben geführt. Die Vereine, aus denen es sich bildet, haben uns eigentlich immer unser Ding machen lassen. Deren Devise ist eher „Lasst die mal machen, dann brauchen wir uns nicht drum zu kümmern“. Dadurch mussten wir nur in ganz wenigen Punkten Dinge mit den Vorständen besprechen. Zwischendurch gab es mal eine Finanzierungslücke, als die Startgelder den Event nicht mehr getragen haben. Aber auch solche Dinge klappen dann. Eben auch, weil es in dem Fall von zwei Vereinen jeweils 250 Euro sind, die benötigt werden, und nicht ein Verein 500 Euro tragen muss.

Ist die Regatta in beiden Vereinen der Jahreshöhepunkt?

Der WVM hat noch eine Folkeboot-Regatta, wir den Förde-Cup. Die können aber beide nicht mit dem 24-Stunden-Segeln mithalten. Das ist für beide Klubs ein überregionales Aushängeschild.

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