Tatjana Pokorny
· 12.11.2022
Drei Tage nach dem Start der 12. Route du Rhum bleibt es hochspannend: An der Spitze des Feldes liefern sich François Gabart und Charles Caudrelier ein Giganten-Duell. Boris Herrmann ist über Nacht vorgerückt. Class-40-Ass Jonas Gerckens musste erkrankt aufgeben
Zum Wochenendbeginn hat es einen Führungswechsel an der Spitze des Feldes der 12. Route du Rhum gegeben. Ob er anhält? François Gabart (”SVR-Lazartigue”) hat Top-Favorit Charles Caudrelier auf “Maxi Edmond de Rothschild” überholt. Der Vorsprung betrug zunächst keine Viertel-Seemeile, am Samstagvormittag aber schon fast zehn Seemeilen.
Auch Imoca-Dominator Charlie Dalin auf “Apivia” musste über Nacht erleben, wie sein vormals großer Vorsprung in dieser 12. Route du Rhum wieder dahinschmolz. In den leichteren Winden sind die Konkurrenten Kevin Escoffier (”Holcim-PRB”) und Jérémie Beyou (”Charal 2”) mit den Überresten der Frontbrise und Geschwindigkeiten von immer noch 15 bis 17 Knoten dichter an den Überflieger herangerückt. Dalin schaffte teilweise nur weniger als drei Knoten.
“Es ist nicht leicht, dieses Transat. Man muss die richtigen Entscheidungen treffen, und das ist nicht einfach”, räumte Dalin am Morgen des 12. November ein. “Seit der Startschuss gefallen ist, ist es für mich ziemlich gut gelaufen. Ich bin mit meinem Tempo und meinem Kurs zufrieden. Jetzt besteht die ganze Herausforderung darin, die Passatwinde zu erreichen.”
Das schnellstmögliche Erreichen der Passatwinde hat auch Boris Herrmann im Visier, der in der dritten Nacht auf See erheblich an Boden gutmachen konnte. Von Platz 17 am Vorabend rückte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper auf Platz 9 vor. Am Samstagmorgen hatten sowohl Herrmann als auch die hinter ihm segelnde Sam Davies (”Initiatives Cœur”) die deutsch-französische “MACSF”-Skipperin Isabelle Joschka überholt. Es geht aufwärts für den Hamburger, der das erste Solorennen mit seinem Neubau bestreitet.
In einem Video von Bord zeigt Herrmann, wie ruppig es unter Deck auch in den kurzen Erholungsphasen zugeht. Er berichtete, wie schwer es an Bord ist, sich zu erholen: “Meine Mission ist es zu schlafen. Ich konnte heute einfach nicht einschlafen. Ich denke, es liegt auch an der Anspannung und am Stress. Das ist nicht sehr normal für mich.” Während Herrmann erzählt, gehen immer wieder heftige Erschütterungen durch das Boot. “Wünscht mir Schlaf”, sagt Boris Herrmann, der wie alle Skipper des Rennens noch darum kämpft, in den Rennrhythmus zu kommen.
Riesig sind Entkräftung und Enttäuschung bei Jonas Gerckens. Das belgische Class-40-Ass sah sich am Freitag zur Aufgabe gezwungen, sagte: “Meine Sicherheit war nicht mehr gewährleistet.” Der Hintergrund: Schon wenige Stunden nach dem Start begann Gerckens, unter grippeähnlichen Symptomen zu leiden. Vor allem ständiger Husten, Stimmverlust und starke Müdigkeit lähmten den “Volvo”-Skipper. Seine Lage verschlechterte sich immer weiter. Der Schlafentzug der ersten Tage machte es nicht besser.
Der 42-Jährige aus Liège, der mit Top-Ten-Ziel im Feld der 55 Class-40-Yachten gestartet war, war gut ins Rennen eingestiegen. Doch als am Freitagnachmittag seine J/1 riss und er sie einrollen musste, um das Boot zu sichern, manifestierte sich sein Problem: gesundheitlich stark angegriffen, musste er mehrere Anläufe nehmen, um das Manöver durchzuführen. “Ich war erschöpft danach, obwohl es nicht außergewöhnlich ist. Ich habe keine Ressourcen mehr. Ich bin am Ende”, vertraute Gerckens seiner Managerin Delphine Simon an.
Zwar wäre die Atlantik-Überquerung auch ohne die kaputte Genua möglich, doch die Chancen auf ein Top-Ergebnis waren dahin. Nach einer ersten längeren Ruhepause und der ersten warmen Mahlzeit seit dem Start fiel Gerckens in kurzen Schlaf. Nur um gleich wieder durch den Alarm für eine Fehlfunktion des Autopiloten aufgeschreckt zu werden. Die Hiobsbotschaft nach kurzer Analyse: Gerckens kann den Autopiloten nur reparieren, indem er in den Mast klettert. Dazu aber fühlt er sich in seinem Gesundheitszustand nicht in der Lage.
Die Entkräftung, die zerrissene J/1 und der ausgefallene Autopilot sind zu viel für den Transat-Jacques-Vabre-Vierten von 2021. Er entscheidet sich am 11. November, das Rennen aufzugeben. “Ich hätte über meine schwindenden Kräfte hinausgehen können, aber ich fühle mich nicht mehr sicher”, sagte Gerckens, der den Hafen von Lorient anläuft und dort am Wochenende erwartet wird.