Tatjana Pokorny
· 10.09.2022
Die Starboot-Klasse feiert 100 Jahre WM-Geschichte. Mit knapp 100 Startern beweist die ehemalige olympische Königsdisziplin, dass sie nichts von ihrer Faszination verloren hat
Zeitloses Design, klassische Linien, dabei kraftvoll und athletisch zu segeln: Das Starboot war und ist die Klasse der großen Segelmeister. Bei 18 Olympia-Auftritten zwischen 1932 und 2012 war das Zweimann-Kielboot dabei. Dennis Conner, bekannt als „Mister America’s Cup“, pflegte auf die Frage nach seinem Lieblingsboot zu sagen: „Das Starboot, welches sonst?“
Über seine wehmütige olympische Abschiedsgala vor einem Jahrzehnt im britischen Revier von Weymouth hinaus hat der Star seine Strahlkraft gewahrt. Im US-amerikanischen Marblehead feiern die Segler im Eastern Yacht Club in der zweiten Septemberwoche nun sagenhafte 100 Jahre Weltmeisterschafts-Geschichte. Etwa ein Dutzend deutscher Segler werden im Feld der knapp 100 Stare am Start sein.
Unter ihnen Titelverteidiger Frithjof Kleen, der die WM 2021 vor Kiel zum zweiten Mal als Vorschoter gewann. Sein Steuermann war der Italiener Diego Negri. Der hatte zwar bereits zweimal WM-Silber und einmal Bronze errungen. Doch erst mit dem Deutschen schaffte er es ganz nach oben aufs Podest. Schon 2014 durfte sich Kleen über den WM-Titel freuen, damals noch gemeinsam mit Robert Stanjek.
Derselbe Frithjof Kleen sitzt nun bei der Jubiläums-WM mit keinem Geringeren als Paul Cayard in einem Boot (siehe Interview am Ende). Der US-Amerikaner wusste genau, wen er wollte, als er ihn im vergangenen Jahr anrief und für die historische WM-Saison zu sich ins Boot holte: 34 Jahre nach seinem ersten Titel 1988 will der fünfmalige America’s-Cup-Teilnehmer Cayard aus San Francisco im Alter von 63 Jahren mit dem Berliner noch einmal nach Gold greifen.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass der Star wie eh und je ein Magnet für Top-Segler aus vielen Disziplinen ist. Daran hat die Star Sailors League (SSL) mit ihren prominent besetzten Regatten der letzten Jahre großen Anteil. Die WM-Veranstalter rechnen mit mehr als 15 ehemaligen Titelträgern an der Startlinie.
Das knapp sieben Meter lange und recht schmale Starboot mit seinem überdimensionierten Großsegel und dem mittlerweile biegsamen Mast wurde 1910 vom Amerikaner Francis Sweisguth ersonnen und 1911 in einer erster Auflage von 33 Booten gebaut. Die Knickspantkonstruktion mit untergebolztem Wulstkiel gewann nicht nur in den USA, sondern auch in Übersee schnell viele Fans. Es war der Hamburger Gentleman-Segler und Nazi-Gegner Walter von Hütschler, der dem anfangs starren Mast neues Leben schenkte. Nach seinem Einstieg in die 1932 olympisch gewordene Klasse erfand er das flexible Rigg – Spitzname: „German Rigg“. Das brachte mit seinen Verstellmöglichkeiten neue Herausforderungen für die Segler mit sich.
Der in der Segelwelt als „Pimm“ bekannte von Hütschler wurde 1938 und 1939 Starboot-Weltmeister. Zuvor, 1936, hatten die Berliner Peter Bischoff und Hans-Joachim Weise vor Kiel Olympia-Gold auf ihrer „Wannsee“ gewonnen. Obwohl die Klasse deutsche Paradedisziplin blieb, gelang hiesigen Seglern erst 1972 der zweite olympische Coup: Willy Kuhweide und Karsten Meyer holten Bronze vor Kiel. 1984 gewannen Achim Griese und Michael Marcour auf „Manatee“ Silber in Los Angeles.
„Ich werde nie dies Gefühl vergessen, als wir in der letzten Wettfahrt über die Ziellinie gingen. Der Druck war immens, die Freude grenzenlos“, erinnerte sich Griese.
Bei bislang 98 Starboot-Weltmeisterschaften konnten deutsche Segler seit dem Jahr 1922 insgesamt siebenmal den Titel holen. Zweimal sogar gelang das den Steuermännern Walter „Pimm“ von Hütschler und Alexander Hagen (beide Hamburg/NRV) sowie Frithjof Kleen als Vorschoter (Berlin/VSaW). Nachfolgend die deutschen WM-Erfolge auf einen Blick:
Bei insgesamt drei deutschen Olympia-Medaillen im Starboot ist es geblieben. WM-Titel holten DSV-Akteure häufiger: Nach Walter von Hütschler konnten 1972 Kuhweide und Meyer den wohl größten WM-Pott aller olympischen Klassen in den Himmel über Caracas heben. 1981 siegten Alex Hagen und Vincent Hoesch vor Marblehead. Hagen war damals mit 26 Jahren jüngster WM-Sieger der Klassengeschichte.
Ein zweiter goldener WM-Coup gelang dem Steuermann vom Norddeutschen Regatta Verein mit dem Brasilianer Marcelo Ferreira 1997 erneut vor Marblehead. Olympisch agierte Hagen zweimal ohne Fortune, setzte sich aber für mehr Fitness und weniger Gewicht im Starboot ein: Er warb für eine Limitierung der bisweilen ausufernden Vorschoter-Dimensionen. Hagen entwickelte eine Formel, die den Steuerleuten ein Maximalgewicht ihrer Vorschoter zuweist und die schließlich Einzug in die Klassenregeln hielt.
Ein anderer internationaler Spitzensegler, Paul Cayard, erklärt die anhaltende Faszination so: „Der Star hat immer die Besten aus allen Klassen angezogen. Der Wettbewerb ist hart. Das Boot ist eine Herausforderung mit seinem Rigg, das zugleich komplex und simpel ist. Komplex auf der Suche nach der perfekten Einstellung für jede Bedingung. Simpel, weil es von fünf bis 30 Knoten mit dem gleichen Segel im Einsatz ist.“
Dieses besondere Segelgefühl schätzt auch Hubert Merkelbach vom Bodensee-Yacht-Club Überlingen, und das seit nunmehr über vier Jahrzehnten. Das Urteil des Europameisters von 2014 und früheren Präsidenten der internationalen Star-Klasse: „Die Konstruktion des Bootes mit der großen Segelfläche ist trimm- und segeltechnisch anspruchsvoll, das Segeln macht bei allen Windstärken immer maximalen Spaß.“ Als taktisches Kielboot sei der Star schmal, habe aber mit dem zehn Meter hohen, stark verjüngten Mast und fast 30 Quadratmeter Segelfläche bei allen Winden sehr viel Kraft. Vor allem aber, so Merkelbach: „Obwohl die Konstruktion über 100 Jahre alt ist, wurde das Starboot immer wieder weiterentwickelt.“
Dazu hat auch der zweimalige Olympiateilnehmer, Bootsbauer und Olympia-Coach Marc Pickel als Vater des P-Stars beigetragen. Vor Weymouth segelten neun der zehn Top-Crews ein solches Boot. Gefragt sind zudem Starboote der Marke Folli. Paul Cayard reist nun folgerichtig mit einem P-Star und einem Folli in Marblehead an.
Der Allrounder, der seit seinem America’s-Cup-Einsatz Anfang der neunziger Jahre mit „Il Moro di Venezia“ in Italien Heldenstatus genießt, ist bereit zum Angriff. Für die Jubiläums-WM durften sich die Crews die Zahlen im Großsegel selbst wählen. Ehemalige Weltmeister tragen das Jahr zur Schau, in dem sie ihren Titel holten. So werden Cayard und Kleen ab 11. September mit der „USA 1988“ unter dem fünfzackigen goldenen Stern aufkreuzen, den die Klasse exklusiv ihren Olympiasiegern und Weltmeistern gewährt. Cayard hat ihn sich bislang einmal, Kleen zweimal verdient.
„Die Chance, dass wir es noch einmal schaffen, ist da, aber die anderen sind auch stark“, so Kleen. Das Urteil über seinen neuen Steuermann Cayard kommt dennoch einer Kampfansage an die Konkurrenz gleich: „Paul ist schon eine andere Nummer. Er hat extrem hohe Ansprüche, ist sehr ehrgeizig. Er pusht die ganze Zeit.“
Paul Cayard: Frithjof ist ein großartiger Vorschoter, und er ist amtierender Weltmeister. Ich habe Glück, dass er mit mir segelt!
Ich habe zur Vorbereitung auf die WM in meinem Heimatverein, dem St. Francis, 1977 als Vorschoter angefangen (Red.: Cayard belegte 1978 als Vorschoter von William Gerard WM-Platz vier). Zu der Zeit segelten die Besten der Besten im Star: Dennis Conner, Tom Blackaller, Bill Buchan, Buddy Melges, Ding Schoonmaker, Pelle Petterson, Eckart Wagner. Obwohl ich auch Laser und 505er segelte, war ich vom Star gefesselt.
Das Rigg. Die Regatten. Und die Austragungsorte.
Das ist wohl Lowell North. Er hat vier WM-Titel und auch Olympia-Gold gewonnen. Er segelte das Boot in einer Zeit, in der die Entwicklungsarbeit noch entscheidend war für den Sieg. Als Ingenieur war er extrem innovativ, vor allem bei der Entwicklung von Segeln und Riggs. Als Vorschoter verdient aber auch Bruno Prada Erwähnung, er hat schließlich als Einziger fünf WM-Titel gewonnen!
Ganz bestimmt. Denn ich bin überzeugt vom Prinzip des Cross-Trainings, und zwar in allen Lebensbereichen, also auch beim Segeln. Mein Gefühl für das Generieren von Speed beispielsweise habe ich beim Jollensegeln bekommen. Beim Matchracing habe ich gelernt, wie man die Regeln geschickt anwendet. Und beim Seesegeln musste ich mich mit Risikomanagement auseinandersetzen. Kurz, jede Bootsklasse vermittelt dir Eigenschaften, die dir auch in anderen Disziplinen helfen.
Ja, es ist das beste Einheitsdesign aller Zeiten!