Tatjana Pokorny
· 04.01.2025
Charlie Dalin galoppiert dem Zielhafen der Vendée Globe entgegen. Der 40-jährige Vorreiter der 35-Boote-Flotte hat den Vorsprung vor seinem Rivalen Yoann Richomme zuletzt auf 122 Seemeilen ausbauen können. Früh morgens am 4. Januar hatte Dalin noch etwa 650 Seemeilen bis zum Äquator zu meistern. Bis in den Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne waren es bei der 7-Uhr-Positionsaktualisierung “nur” noch 3834 Seemeilen.
“Das Leben ist momentan gut. Das Bordleben ist nett: Es ist mit 33 Grad tagsüber und 27 Grad in der Nach warm und also leicht zu schlafen. Die See ist flach. Damit ist es einfach, sich zu bewegen, zu essen und zu schlafen. Ja, es ging langsam voran, aber auch wirklich angenehm für ein paar Tage. Ich beklage micht nicht. Und wir sollten heute im Verlauf des Tages beschleunigen und anfangen, wieder mehr Wind zu erleben”, berichtete “Macif Santé Prévoyance”-Skipper Charlie Dalin, der am Samstagmorgen etwa beim elften Breitengrad Süd unterwegs war.
Die Vendée-Globe-Veranstalter geben inzwischen die erwartete Zielankunft der Spitzenreiter bereits mit dem 14. bis 16. Januar an. Das ist noch kein sicherer Ankunftszeitraum, entspricht aber den jüngsten Prognosen. Währenddessen bleiben die Positionsveränderungen in den Top Ten überschaubar, während die Verfolgergruppe um Boris Herrmann zuletzt in ruppigen Bedingungen zu kämpfen hatte, bevor der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper sich mitten im Auge des Sturms wiederfand, wie sein Video-Clip abends am 3. Januar zeigte.
Leicht war das Fortkommen zuletzt für alle nicht. Auf den beiden führenden Booten hatten Charlie Dalin und Yoann Richomme länger mit den leichten Winden eines ausgedehnten Hochdruckgebietes zu kämpfen. Hinter ihnen musste vor allem die Verfolgergrupper um den über Nacht wieder auf Platz acht vorgerückten Boris Herrmann in unbeständigen Winden und tosender See tagelang gegen den Wind anbolzen.
Angesichts der nun fast 55 Tage segelnden und müde werdenden Boote hält die Dauerbeewährungsprobe für die Skipper und eine Skipperin und ihre Imocas an. Was dabei passieren kann, hatte der viertplatzierte “Vulnerable”-Skipper Thomas Ruyant erst am Vortag leidvoll erfahren müssen, als sein wichtiges J2-Vorsegel in einer Sturmböe von über 50 Knoten irreparabel zerfetzte.
Boris Herrmann hat sich über Nacht seinen achten Platz von “Vulnerable”-Skipper Sam Goodchild zurückerkämpft. Der Deutsche und der Brite ringen seit Tagen in harten Bedingungen miteinander. Boris Herrmann berichtete: “Wir haben seit den Falklandinseln Amwind-Bedingungen. Das ist nicht sehr angenehm. Insbesondere nicht, als dass sich jetzt zunehmender Seegang herrscht. Das Boot schlägt hart in die Wellen.”
Den Hoffnungen aller von der Buckelei betroffenen Skipper verlieh Boris Herrmann Ausdruck : “Wir freuen uns alle darauf, wenn das vorbei ist. Auch, weil es sich wie unendlich anfühlt. Ein bisschen ärgerlich ist, dass sich die Wettermodelle von einer Session zur nächsten stark verändern. Also wissen wir nicht so richtig, was wir denken sollen! Gut ist, dass wir ein bisschen in Gruppen zusammensegeln.”
Herrmann musste aber wie seine direkten Gegner auch den gelungenen Ausbruchversuch von Paul Meilhat beobachten. Der "Biotherm"-Skipper, der vor zehn Tagen am zweiten Weihnachtstag noch mit fast 300 Seemeilen Rückstand zum viertplatzierten Thomas Ruyant ("Vulnerable") auf Platz zehn lag, war am 30. Dezember schon bis auf Platz fünf vorgerückt. Am Morgen des 4. Januar hat er nach seinem erfolgreichen Ausbruchversuch aus der Herrmann-Verfolgergruppe auf den Plätzen fünf bis zehn über den Jahreswechsel inzwischen nur noch gut 50 Seemeilen Rückstand auf Ruyant.
Meilhats etnschlossener Satz nach vorne hatte zuerst “Charal”-Skipper Jérémie Beyou als “risikoreich” bezeichnet. Auch Boris Herrmann war die Meilhat-Variante durch schwereres Wetter zunächst als wenig erstrebenswert erschienen. Inzwischen weiß Boris Herrmann: “Paul Meilhat hat uns hinter sich gelassen. Er hat einen tollen Job gemacht, die Route etwas genauer studiert. Wir alle, auf jeden Fall ich, waren bezüglich des Routings skeptischer. Das ist der Grund, warum ich die Route nicht verfolgt habe. Aber das war ein Fehler, wenn man darüber nachdenkt!”
Beim Blick zurück hielt Boris Herrmann fest: “In der Nacht, in der wir bei den Falklandinseln segelten, war ich vor ihm. Damit hat er jetzt einen riesigen Vorsprung aufgebaut.” Gegen Ende des 55. Renntages lag Paul Meilhat rund 300 Seemeilen vor Boris Herrmann. Die wenig glücklich machenden Erkenntnisse für die Zurückgelassenen beinhaltet aber auch die Botschaft, was bei knapp 5700 Seemeilen bis ins Ziel für Boris Herrmann und die anderen Verfolger bei eigenen guten Entscheidungen vielleicht noch drin sein könnte.
Die Moral ist gut.” Boris Herrmann
Boris Herrmanns Prognose von Freitagabend für den weiteren Verlauf: “Ich glaube wir haben eine weitere Woche mit vielen Fragen, Übergängen und mangelnder Klarheit vor uns. Die Moral ist gut. Ich bin ein bisschen müde, muss ins Bett. Es ist körperlich anstrengend, die Wenden zu fahren, weil das Backbord-Foil schwer zu senken ist. Ich arbeite wie ein Irrer, um es runterzubekommen. Es braucht immer eine Weile. Ich weiß es nicht genau, aber wir haben jetzt so zwölf bis fünfzehn Wenden gefahren? Da bin ich ein bisschen müde, habe die Nase voll, das reicht!”
Team Malizias Skipper ließ am Abend vor dem Wochenendbeginn wenig Zweifel an seinen Hoffnungen: “Es reicht wirklich! Wir würden gerne mal normal segeln. Momentan heißt es immer nur: Amwind, Abwind. Aber ich will nicht zu sehr klagen, gehe jetzt in die Koje. Ich hoffe, dass es mich nicht hinauswirft. Vorhin haben wir einen Sprung gemacht, der meinem Rücken wirklich wehgetan hat. Das war ein harter Schlag. Ich hoffe, dass wir davon nicht mehr viele erleben.”
Boris Herrmann bei Vendée Live!
Wer Boris Herrmann heute live hören will, hat dazu voraussichtlich bei der täglichen Sendung Vendée Live! mit Moderator Andi Robertson die Chance. Hier wird am 4. Januar nachmittag auch Herrmanns ehemaliger Ocean-Race-Mitstreiter Christopher Pratt zu Gast sein. Der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper soll im Verkauf der online gestreamten Sendung ab 14.30 Uhr hier dazugeschaltet werden.
Im Auge des Sturms und vielleicht noch eine Woche voller Fragezeichen? Hier geht es zu Boris Herrmanns Clip vom Abend des 3. Januar: