Vendée Globe"Wir werden die Weltumsegelung in 60 Tagen erleben"

Tatjana Pokorny

 · 28.01.2021

Vendée Globe: "Wir werden die Weltumsegelung in 60 Tagen erleben"Foto: Boris Herrmann Racing
Boris Herrmann bei der Zielankunft seiner Vendé-Globe-Premiere

Im Yacht-online-Exklusivinterview und bei der ersten deutschen Pressekonferenz sprach Boris Herrmann über das Finale, seine Gegner und ein mögliches Comeback

  Ein Mann, zwei Bengalos: Boris Herrmann strahltFoto: Boris Herrmann Racing / #VG2020
Ein Mann, zwei Bengalos: Boris Herrmann strahlt

Sein deutsches Mobiltelefon hat er erst einen Tag nach der Zielankunft wieder angeschaltet und ist noch lange nicht durch mit dem Lesen der vielen Glückwünsche, Botschaften und Anfragen. Während Boris Herrmann im Zielhafen der Vendée Globe den Trubel und die Emotionen der Ankunft, die Begegnungen mit anderen Teilnehmern und das Wiedersehen mit Familie und Freunden genießt, gibt es daheim in Deutschland am Tag nach seinem Zieldurchgang kaum eine Tageszeitung, die nicht ausführlich und oftmals auch auf dem Titel über seine Leistungen, sein großes Abenteuer und die Vendée Globe berichtet.

  Der erste Vendée-Globe-Skipper aus Deutschland hat seine Premiere bestandenFoto: Boris Herrmann Racing / #VG2020
Der erste Vendée-Globe-Skipper aus Deutschland hat seine Premiere bestanden

Auch das ZDF hat sein Programm für den kommenden Sonntag geändert und zeigt in der "ZDF-Sportreportage – extra" ab 17.10 Uhr eine 45-minütige Dokumentation über Boris Herrmann und die Vendée Globe. In Hamburg hat Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, bei der Staatskanzlei angeregt, Boris Herrmann für den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland vorzuschlagen. Dem Hamburger Abendblatt sagte Annen: "Boris Herrmann ist nicht nur ein Ausnahmeathlet. Seine Verantwortung und Vorbildfunktion insbesondere der jüngeren Generation gegenüber nimmt er auch jenseits des Sports sehr ernst."

Wie der "Seaexplorer - Yacht Club de Monaco"-Skipper das Ende seines großen Abenteuers erlebte

Im Exklusiv-Interview mit YACHT online und bei einer ersten Pressekonferenz mit deutschen Journalisten beantwortete Boris Herrmann am Tag nach seiner Ankunft im Start- und Zielhafen der Vendée Globe viele Fragen. Lesen Sie hier die Antworten des 39-jährigen Skippers der "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco" zu aktuellen Themen in Auszügen:

  Angekommen und glücklich: Boris Herrmann in Les Sables-d'OlonneFoto: Boris Herrmann Racing / #VG2020
Angekommen und glücklich: Boris Herrmann in Les Sables-d'Olonne

Zum ersehnten Ankommen am Ende der Vendée-Globe-Premiere:

Ich war voller Energie und sehr, sehr glücklich! Man registriert ganz viel. Das ist die Kraft des Sports, so eine Freude auszulösen. Die ersten, die an Bord kamen, war noch auf See die technische Mannschaft. Es gab dazu ein Corona-Protokoll, das die Zahl auf fünf beschränkt hat. Mein Freund und Teamgründer Pierre Casiraghi war auch dabei. Und unser Boat Captain Stuart McLachlan. Wir haben uns ganz doll umarmt. Es ist ja ein Team-Erfolg, also genauso ihr Erfolg wie meiner. Alle haben so viel Zeit und Energie eingesetzt. Stuart hat fast ein Jahr seine Familie nicht gesehen, weil er in Corona-Zeiten nicht zwischendurch zurück konnte. Das ganze Team hat extrem viel investiert. Sich dann in den Arm zu nehmen, das ist besonders. Meine Frau war bei drei Meter Welle nicht draußen. Sie ist mit unserem Baby auf dem Steg geblieben und nach dem Anlegen zu mir an Bord gekommen. Vor ihr ziehe ich den Hut. Es gibt für eine junge Mutter, die sich in Corona-Zeiten allein ums Baby kümmert, viele Parallelen zu meiner Herausforderung: unterbrochene Nächte, Schlafmangel, Ungewissheiten.

  Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: Mit seinem Team hat Boris Herrmann beides geteiltFoto: Boris Herrmann Racing
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: Mit seinem Team hat Boris Herrmann beides geteilt
  Boris Herrman mit Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann und Tochter Marie-LouiseFoto: Boris Herrmann Racing
Boris Herrman mit Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann und Tochter Marie-Louise

Über den verpassten Podiumsplatz infolge der Kollision am letzten Abend auf See:

Der Tag meiner Ankunft war ein glücklicher Tag. Die Emotionen werden noch lange in mir bleiben. Ich habe überhaupt nicht an die Kollision gedacht. Das tue ich nur, wenn ich gefragt werde. Vor der Kollision war für mich am Ende tatsächlich noch alles möglich, auch der Sieg. In der Finalphase herrschte eine relativ flache organisierte Welle, in der mein Schiff gut fahren konnte. Das war für mich der große Turbo. Ich war über die letzten zwei Tage konstant schneller als die Berechnungen, Charlie Dalin etwas langsamer. Dass Jean Le Cam mich noch von Platz vier verdrängt hat, ist nicht so relevant. Ursprünglich waren die Top Ten das Ziel, die Top Fünf mein geheimer Traum. Das habe ich geschafft. Ich habe großen Respekt vor Jean. Er hat uns gezeigt, wie man im Südmeer segelt. Er hat demonstriert: Hey, ich bin 61 und zeige den Jungen jetzt mal, wie man das macht. Er ist ein Riesentyp. Er zeigt auch, dass Segeln kein brutaler Kraftakt sein muss. Man muss smart und fuchsig sein. Es ist toll, wie Jean zeigt, was man mit Erfahrung im Segelsport ausrichten kann. Es ist toll zu sehen, dass man Segeln bis ins hohe Alter auf so hohem Niveau betreiben kann. Jean ist eine Inspiration.

Über seine Gegner und Weggefährten:

Ich hatte mit ein paar Seglern guten Austausch während der Regatta. Maßgeblich waren das Yannick Bestaven, Damien Seguin, Giancarlo Pedote. Keiner kann sich besser vorstellen, was wir durchgemacht haben. Das schafft eine große Nähe. Charlie Dalin ist für mich ein großer Segelheld. Er hat sich vor dem Rennen immer sehr zurückhaltend geäußert. Es gab vorher nie eine große Nähe. Gestern bei der Ankunft war es viel persönlicher. Das hat mir viel bedeutet. Er ist sicher einer der besten Segler dieser Generation.

  Boris Herrmann nach der Zielankunft seiner Vendé-Globe-Premiere mit  "Groupe Apicil"-Skipper Damien SeguinFoto: Boris Herrmann Racing
Boris Herrmann nach der Zielankunft seiner Vendé-Globe-Premiere mit  "Groupe Apicil"-Skipper Damien Seguin

Über die erste Nacht an Land im Jahr 2021:

Wir haben mit Freunden zusammengesessen und gefeiert. Das war sehr schön. Ich bin irgendwann an unserem kleinen Sofatisch im Haus komatös eingeschlafen. Viel mehr als zwei, drei Stunden Schlaf waren es wieder nicht, bis mir unser Baby am Morgen in den Rücken geboxt hat. Was auch sehr, sehr schön war.

Zum Übergang vom freien Leben auf See in die Corona-Welt mit Beschränkungen, Masken und Regeln:

Ich kannte die Corona-Welt ja schon aus der Zeit vor der Abreise. Vorher dem Rennen war ich absolut isoliert, ausgeschlossen. Ich war vor Reise fast paranoid. Für mich hatte die Einsamkeit zwei Wochen vor dem Rennen begonnen. Ich habe sogar Menschen gesagt, dass sie bloß nicht unseren Hund anfassen sollen. Ich wollte einfach nicht riskieren, von der Vendée Globe ausgeschlossen zu werden. Jetzt direkt nach der Reise ist erst einmal klar: Ich habe kein Corona. Es ist ein schönes Gefühl, keine Gefahr für andere zu sein.

Zum Vorstoß von Staatssekretär Niels Annen, ihn für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen:

Das freut und ehrt mich sehr. Ich habe davon erst heute erfahren. Es ist ein gutes Gefühl, wenn unsere Arbeit im Kampf gegen den Klimawandel, unsere Bildungsinitiative für Kinder und Jugendliche und das sportliche Engagement im Zusammenhang so positiv wahrgenommen wird.

Über ein mögliches Vendée-Globe-Comeback:

Ich kann mir durchaus vorstellen, die Vendée Globe noch einmal zu machen. Das Rennen bleibt mit den technologischen Innovationen und Neubauten in der Imoca-Klasse eine Faszination. Klar will ich das irgendwann nochmal machen. Es gab in der Geschichte des Rennens nur bei wenigen Leuten danach einen klaren Schnitt. Es gibt nur zwei Gründe, die gegen ein Comeback sprechen würden: Das Geleistete und Erlebte sind entweder nicht mehr zu toppen oder waren zu traumatisch. Bei mir war es nicht traumatisch, ist aber zu toppen.

  Ein Vendée-Globe-Comeback kann sich Boris Herrmann vorstellenFoto: Boris Herrmann Racing / #VG2020
Ein Vendée-Globe-Comeback kann sich Boris Herrmann vorstellen

Zu den Plänen für die Teilnahme am The Ocean Race:

Wir haben große Hoffnungen, dass das The Ocean Race stattfinden kann. Ich kann es mir gut vorstellen. Das Rennen gibt es noch länger als die Vendée Globe. Es hat als Mannschaftsrennen ebenfalls eine hohe Faszination. Ich hoffe, dass wir es hinkriegen, da teilzunehmen. Wir haben da unser Auge drauf. Ich würde auch nicht ausschließen wollen, dass wir mit einem Volvo 65 teilnehmen. Da dürfen dann von den zwölf Crew-Mitgliedern aber nur drei älter als 30 sein. Und man braucht ein paar Leute, die sich damit auskennen, wie das Boot in bestimmten Bedingungen zu pushen ist. Unsere Basis bleibt der Imoca-Circuit. Das ist die solideste Bank. Die Imoca-Klasse ist mit über 30 Teams die stärkste Offshore-Klasse der Welt.

Über seine Imoca-Yacht "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco":

Ich werde heute Nachmittag hinfahren. Die Schäden sind nicht so schlimm. Wir sind bei der Kollision mit einem blauem Auge davongekommen. Es ist ein tolles Schiff, ein gutes Schiff. Es bedeutet unserem Team sehr viel. Ich bin unheimlich stolz auf dieses Schiff. Da stecken alle unsere Liebe, Tränen, Schweiß und 15.000 Arbeitsstunden drin. Das Boot ist ein technologisches Wunderwerk. Was damit passieren wird, ist noch nicht ganz klar. Es steht zum Verkauf, wir besitzen es nicht selbst. Der Eigner hat es uns erlaubt, das Boot zu betreiben. Die Abmachung galt immer für vier Jahre. Das Boot gehört Gerhard Senft, einem Immobilienunternehmer aus Stuttgart. Er ist ein Fan der Vendée Globe, mit dem ich mich angefreundet habe. Man braucht jemanden, der das Schiff stellt. Vielleicht kann das in Zukunft auch eine Bank oder ein anderes Unternehmen sein.

Über die Entwicklung der Boote der Imoca-Klasse:

Es wird noch radikaler nach vorne gehen. Es hat ja nicht viel dazu gefehlt, dass Thomas Ruyant und Charlie Dalin uns eine unglaubliche Performance zeigen. Und wir hatten bei dieser Auflage Pech mit dem Wetter. Ich bin absolut überzeugt, dass wir eine Weltumsegelung in 60 Tagen erleben werden. Man hat es auch an meinem Boot gesehen, wie ich mit intakten Foils an andere wieder ranfahren konnte. Mit der Erfahrung aus dieser Vendée Globe wird man auf Neubauten schauen. Ich bin zurück vom Rennen mit einem Buch an Ideen. Das ist so fazinierend an unserem Sport: Mensch, Natur und Technik. Wie gehen wir weiter in die Zukunft? Wie setzen wir die Faszination Foilen im Southern Ocean um? Wenn das gelingt, dann haben wir die Weltumsegelung in 60 Tagen.

  Eine Weltumsegelung in 60 Tagen? Das klingt fabelhaft und auch ein bisschen verrückt, aber Boris Herrmann kann sie sich schon vorstellenFoto: Boris Herrmann Racing
Eine Weltumsegelung in 60 Tagen? Das klingt fabelhaft und auch ein bisschen verrückt, aber Boris Herrmann kann sie sich schon vorstellen