Andreas Fritsch
· 16.11.2016
Das Feld liefert sich ein Drag-Race die Küste Südamerikas hinunter: Wer schafft es, auf das Tief aufzuspringen, wer verpasst es?
Ungefähr 900 Seemeilen südlich von Recife entwickelt sich derzeit ein kräftiges Tief, das sich in Kürze in Richtung Südosten bewegen wird. An seinem nördlichen Rand wehen kräftige Nord- bis Nordwestwinde, die ideal für einen schnellen Ritt zum Kap der Guten Hoffnung wären. Alle Skipper hoffen nun, in dieses Tief segeln zu können und mit ihm einen idealen, schnellen Übergang in den Southern Ocean zu erwischen. Gelingt das, prophezeien die Wetter-Gurus der Rennleitung eine extrem schnelle Passage zum Kap, das dann wohl am Samstag erreicht wäre – gut zwei Tage unter dem bestehenden Rekord für die schnellste Passage.
Auf dem Weg dorthin zeichnet sich eine höchst spannende Trennung ab: Alex Thomson, knapp 50 Meilen in Führung liegend, segelt einen westlicheren Bogen, vermutlich, um ideale Windwinkel für hohen Bootsspeed zu fahren. Armel Le Cléac'h segelt eine ähnliche Variante, während Sébastien Josse ("Edmond de Rothschild") und Vincent Riou ("PRB") weiter östlich steuern und ihren Bug direkt gen Süden gewandt haben. Da Thomson und Le Cléac'h fast 12 bis 15 Grad tiefer fahren, ist ihr VMG aber ähnlich oder streckenweise sogar etwas niedriger als bei den beiden westlichen Booten. Funktioniert die östliche Variante von Josse und Riou, könnten sie einige Dutzend Meilen auf "Hugo Boss" und "Banque Populaire VIII" wettmachen. Vielleicht interpretieren die beiden Verfolger die Zugbahn des Tiefs anders, aber es kann auch gut sein, dass sie die Chance auf eine "Abkürzung" nehmen müssen, da sie offenbar beide nicht den Speed von "Banque Populaire VIII" und "Hugo Boss" mitgehen können.
Der östlichere Kurs Josses ist auch der Grund, warum er heute offiziell den zweiten Platz übernommen hat, denn das Ranking wird schlicht nach kürzester Strecke zum nächsten Wegepunkt, dem Kap der Guten Hoffnung, gemessen. Die entscheidende Frage ist aber, wer wo auf das Tief aufspringen kann. Alex Thomson muss noch knapp 750 Seemeilen segeln, um das Tief zu erwischen, die Verfolger entsprechend mehr. Bei Speeds um die 17 bis 20 Knoten sollte das zu schaffen sein. Erreichen sie es, profitiert der am meisten, der den besten Windeinfallswinkel für den Kurs nach Südost erwischt.
Bemerkenswert zu diesem Zeitpunkt des Rennens ist auch, wie Vincent Riou segelt. Er hat bislang keinen einzigen taktischen Fehler gemacht und hält mit seiner nicht foilenden "PRB" extrem gut mit. Nur in einem Bereich mit mehr Wind und raumen Kursen können ihm die Foiler Meilen abnehmen. Sobald der Wind schwächer wird oder der Windeinfallswinkel für die Foils nicht ideal ist, kann er immer wieder Meilen gutmachen. Sollte es ihm gelingen, an den Führenden dranzubleiben, kann er womöglich später auf dem Rückweg im Atlantik am Wind und bei leichtem Wind zurückschlagen.
Video-Zusammenfassung der Äquator-Passage von Vendée TV
Einen ähnlich guten Job macht keine 30 Seemeilen hinter ihm Paul Meilhat auf seiner "SMA", das letztmalige Siegerboot von François Gabart ("Macif"). Er wird vom Team von Michel Desjoyeaux betreut – und offensichtlich hat man in bewährter Manier noch einige Kniffe gefunden, den zweiten Nicht-Foiler in der Spitzengruppe deutlich schneller zu machen. Denn es gelingt ihm sogar immer wieder, den brandneuen Foiler von Morgan Lagravière ("Safran") auf Distanz zu halten.
Dahinter folgt dann bald eine Lücke von über 100 Meilen, bevor die vorletzte Generation der Nicht-Foiler folgt, angeführt von Yann Eliès, der seine "Queguiner Leucémie", die Ex "Safran", mittlerweile fast 150 Seemeilen vor Jean Le Cams "Finistere mer vent" platzieren konnte. Das Feld ist ohnehin zu einem so frühen Zeitpunkt des Rennens extrem weit auseinandergezogen. Fast 1500 Seemeilen sind es bis zum Letztplatzierten und immerhin rund 700 bis ins Mittelfeld. So eine große Spaltung gab es wohl noch nie.