Vendée GlobeWas war, was ist, was wird – Boris Herrmann im Interview

Tatjana Pokorny

 · 21.03.2025

Boris Herrmann im Gespräch mit der YACHT im Ottensener Café Tide.
Foto: tati
“Malizia – Seaexplorer” ist verkauft. Boris Herrmann und sein Team steuern einen neuen, dritten Zyklus an. Im Interview blickt Boris Herrmann zurück auf den eigenen Werdegang, spricht offen über sein Abschneiden bei der Vendée Globe, sein Team, die neue Saison und die Zukunft.

Mit Platz zwölf hat Boris Herrmann die eigenen Hoffnungen und Erwartungen bei seiner zweiten Vendée Globe nicht erfüllt. Er selbst hatte vor dem Rennen gesagt, dass er über eine Platzierung außerhalb der Top Ten enttäuscht sein würde. Er war es. Die beiden starken zweiten Plätze bei den beiden Transat-Rennen Anfang 2024 konnte der 43-Jährige im Solo um die Welt nicht wiederholen.

Vendée Globe: “Malizias” Achillesferse getroffen

Eine unglückliche Melange aus Auftakt- und Antrittsschwächen hatten „Malizia – Seaexplorers“ Achillesferse in leichteren Winden zu stark getroffen. Wolkenpech im Atlantik und teilweise beneidenswert gut passende Wetterfenster für die schlagkräftigen Vorstartfavoriten Charlie Dalin und Yoann Richomme sowie den überraschend drittplatzierten Sebastien Simon haben eine Platzierung Herrmanns unter den besten zehn Akteuren bei der zehnten Vendée-Globe-Auflage vereitelt.

Auf seiner Haben-Seite blieben Siege über sich selbst in fordernden Zeiten, der Sieg über die Höhenangst bei zwei Mastreparaturen und der Stolz auf die eigene, gewachsene mentale Stärke, die er gerade in Zeiten von Rückschlägen gefunden hat. Das mitunter bleischwere Kapitel von Boris Herrmanns zweiter Vendée Globe ist nun geschlossen, die Wunden geleckt, die nächsten großen Ziele längst im Visier.

Team Malizias letzte Saison mit dem aktuellen Boot läuft, bevor es nach dem Ocean Race an Francesca Clapcich und ihr Team übergeben wird. Boris Herrmanns neues großes Ziel ist die dritte Vendée-Globe-Teilnahme 2028/2029. Dazwischen liegen mit abwechslungsreichen Herausforderungen gespickte Jahre, zu denen die Pläne nun reifen und nach und nach umgesetzt werden sollen.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Die Abschiedssaison mit “Malizia Seaexplorer”

Zu den Höhepunkten der neuen Saison 2025 mit Malizia-Crews in verschiedenen Konstellationen – mit und ohne Skipper Boris Herrmann – dürften das Course du Caps (24. Juni bis 6. Juli), die Admiral’s-Cup-Teilnahme mit dem Team vom Yacht Club de Monaco (17. Juli bis 1. August) und das Ocean Race Europe mit dem Start am 10. August in Kiel zählen.

Es wird ein atemloses Jahr für Boris Herrmann und Team Malizia mit voraussichtlich insgesamt sieben rotierend aktiven Seglern und Seglerinnen. Zwei sind neben Herrmann mit Co-Skipper Will Harris und Co-Skipperin Cole Brauer bekannt. Die weiteren Crew-Neuzugänge sollen in den kommenden Wochen und Monaten folgen. Das „Versteckspiel“ ist nicht Team Malizias Kommunikationspolitik, sondern den neuen Mitstreitern und deren eigenen Plänen geschuldet. „Wir würden gerne alles gleich erzählen, doch das passt nicht immer zu den Plänen der anderen“, sagt Boris Herrmann.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem in der Szene längst bekannten, aber vom Team immer noch nicht nicht offiziell bestätigten Imoca-Neubau. Während die aktuelle „Malizia – Seaexplorer“ nach eigenen Plänen in enger Kooperation zwischen Boris Herrmann und dem Design-Büro VPLP entstand, wird das kommende Boot voraussichtlich in neuer Konstellation entstehen.

Dritte Vendée Globe im Visier, Neubaupläne noch nicht offiziell

Mehr Details dazu will Team Malizia erst ab April preisgeben. Bekannt ist in der Szene, dass die Vorbereitungen und Planungen zum Neubau längst angelaufen sind. Es ist zu erwarten, dass Boris Herrmann die schon angekündigte Vendée-Globe-Revanche 2028/2029 mit neuer Rakete angehen wird.  Dazwischen könnten als Höhepunkte das Ocean Race Atlantic 2026 und die Team-Weltumseglung The Ocean Race 2027/2028 warten.

Boris, was bleibt von Deiner zweiten Vendée Globe?

Der Wunsch, über die nächsten drei, vier Jahre dahinzukommen, dass ich bei der nächsten Vendée Globe teilnehmen und vorne mit dabei sein kann. Dieses Mal musste ich die Befriedigung jenseits der Platzierung finden.

Wie ist das gelungen?

Ich bin stolz auf mein eigenes mentales Spiel. Das war gut. Im Grunde genommen fühle ich mich jetzt belastbarer, mehr bereit, Herausforderungen und Schwierigkeiten anzunehmen.

Eine positive Folge aus Deinen Rückschlägen bei dieser Vendée Globe?

Ja, so sehe ich das. Ich kann mir vorstellen, dass man mal durch so einen Rückschlag gehen und diesen Schritt machen muss, um wieder kraftvoll voranzukommen. Die Vendée Globe ist ein Rennen, aber sie ist auch ein technisches und menschliches Unterfangen, eine riesige Herausforderung. Es gibt immer wieder Momente, in denen man denkt, wie dumm es doch war, sich für diese Reise entschieden zu haben.

Andererseits gilt: Wenn die Vendée Globe einfach wäre, würden viele Leute sie machen. Der Reiz liegt also auch in der Enormität der Aufgabe. Da sind andere Momente, in denen es sich ein bisschen wie auf Droge anfühlt, verrückt. Die Vendée Globe ist in gewisser Hinsicht unmenschlich. Je schneller du segelst, je unmenschlicher wird es. Vieles der Romantik des Offshore-Segelns gibt es auf einer Imoca einfach nicht mehr. Und dennoch würde ich dieses Rennen nicht missen wollen.

Es klingt wie ein Paradoxon, wie Hassliebe. Warum ist die Vendée Globe deine große Leidenschaft, wenn sie auch solche Qualen mit sich bringt?

Die Vendée Globe macht ein bisschen süchtig. Ja, das ist paradox. Es ist ein Rennen voller Kontraste. Man nehme nur den Auftakt. Da jubeln dir Zehntausende zu, die Kulisse ist so intensiv. Und dann bist du ein paar Stunden später alleine da draußen auf See, über Monate ganz auf Dich gestellt. Das gibt es so nur bei der Vendée Globe.

Bei deinem zweiten Solo um die Welt haben dich die rennentscheidenden Rückschläge bereits im Atlantik ins Hintertreffen geraten lassen. Richtig erholt hast du dich davon trotz zwischenzeitlich guter Aufholjagden und Höhenflüge bis ins Ziel nicht mehr…

Ich habe es nicht gut umgesetzt. Man sieht das Ergebnis als zu schlecht an. Dabei war ich am Ende der ersten Woche Dritter, also in wirklich guter Position. Da war noch alles möglich. Dann kamen vier schlechte Tage und das war es. Von außen sah es so aus, als hätte der Herrmann Halsen gemacht, die ins Nichts führten. Doch die hat Charlie Dalin auch gemacht…

Was hat den Unterschied gemacht?

Für unser Boot war es genau der schwache Punkt: dieses Downwind-Segeln, wenn du nicht foilst. Und wenn nicht genug Wind ist. Aber schon genug Wind, dass andere ins Foilen kommen. Diese Periode nennen wir Pre-Foiling. Wenn es gerade losgeht. Da hatten wir im Atlantik fast eine Woche lang moderate Winde, so 13, 14, 15 Knoten. Und wenn der eine dann schon foilt und du nicht, dann bist du halt eine Woche ein paar Knoten langsamer. Dann krebst du da rum am 130-Grad-Winkel wahren Windes, wenn die anderen 135 oder 138 schaffen. Und das ist der ganze Unterschied.

Weil sich die kleinen Verluste summieren…

Wenn du das über zehn Stunden machst, dann bist du zehn Seemeilen weiter in Luv, halst, bist nochmal zehn Meilen weiter dahinter und hast dann am Ende eines Tages vielleicht 30 Seemeilen verloren. Das über drei Tage – dann fällst du 100 Seemeilen zurück. Diese fünf Grad Unterschied – die machen es aus. Da kann man natürlich noch was dran machen. An den Segeln und an der Gewichtsverteilung. Und auch lernen, das Set-up noch weiter zu optimieren. Vielleicht muss man es auch mehr krängen oder nach hinten trimmen. Im Ocean Race hatten wir da noch einen Spi, um dieses Problem zu lösen. Paul Meilhat hatte den auch bei der Vendée Globe und ist damit durch die Flotte gedüst.

Du hattest – wie auch andere – zusätzlich im Vergleich zu den enteilten Spitzenreitern mit unglücklichen Windfenstern zu kämpfen…

Ja, aber ich würde es nicht so sehr aufs Pech schieben wollen. Das klingt nicht richtig. Ich war am Ende vor Brasilien nochmal bis auf 40 Seemeilen an ‚Charal‘ dran, die das Ziel als viertes Boot erreicht hat. Auch daraus hätte man noch etwas machen können, ja müssen. Ich habe es nicht gut umgesetzt. Da war mehr drin, aber es fehlte so ein bisschen an der Stelle.

Was sagt dir der eklatante Vorsprung der ersten drei Boote, die viele Tage vor den Verfolgern ins Ziel kamen?

Die ersten drei haben nicht nur mich, sondern die gesamte Flotte düpiert, alle nackt gestellt. Dass Sebastien Simon noch mit einem Foil da vorne mitgesegelt ist, zeigt aber auch die Besonderheit der Wettersituation. Die hat die vorderen Skipper noch mehr wegziehen lassen, als sie ohnehin gut waren.

Am Ende des Rennens hattest du noch einmal einen schweren Sturm über mehrere Tage zu überstehen. Dabei konnte „Malizia – Seaexplorer“ zeigen, was in ihr steckt…

Ja, das war gut! Ich habe genau abgewägt: Gehe ich in diesen Sturm oder nicht? Einer der Gründe dafür war, dass man so eine Gelegenheit nur ganz selten bekommt. Es war auch nicht mehr so entscheidend, ob ich noch etwas gewinne oder etwas verliere. Aber es war eine tolle Gelegenheit, mal was über so einen Sturm zu lernen, das einschätzen zu können. Es waren brutale Momente dabei, wenn das Boot wieder einmal in den Wind geschossen ist. Und du hörtest ständig diese grummelnden Brecher anrollen. Dann hatte ich meinen Arm in der Koje verkrampft. Aber auf der anderen Seite hat sich das Boot super bewährt.

Der zwölfte Platz hat dich im Ziel nicht zufriedengestellt. Andere deiner Leistungen aber wohl…

Es war natürlich doof, dass die Performance schlechter war als beim ersten Mal. Es ist leichter, Erwartungen wie bei meiner ersten Vendée Globe zu übererfüllen als sie zu untererfüllen. Ich kann mich noch gut an meine Heimkehr nach dem ersten Rennen erinnern. Da war unser Büro in Hamburg voller Geschenke. Birte und ich haben eine Woche gebraucht, um uns da durchzuarbeiten.

Da waren Weine, die ein Bürgermeister aus einem kleinen Ort geschickt hatte. Würste von einem Schlachter aus Bayern. Für unsere Familie eigens designte Tassen mit Comic-Figuren und Innenvergoldung, nach deren Vorbild wir später Geschenke für Kunden gemacht haben. Jemand hatte mir eine Jacke genäht hat. Es war so ein krasser Hype! Das wurde mir nach dieser Vendée Globe erst rückblickend so richtig bewusst, weil es dieses Mal nicht solche Ausmaße hatte. Das jetzt nochmal zu verstehen und auch wertzuschätzen, das war eine schöne Erfahrung.

Vergleichbar mit den kleinen Siegen über dich selbst in dem Rennen jetzt?

Es gab dieses Mal keinen mentalen Rückschlag. Es hat einfach nicht funktioniert. Es haben sich aber Themen gelöst. Im ersten Rennen hatte ich echte Probleme mit der Einsamkeit. Das ist mir jetzt viel leichter gefallen. Ich habe innerlich mehr Resourcen gefunden, hatte mehr Resilienz, was auch der Arbeit mit zwei Coaches zu verdanken war. Das war für mich ein mentaler Durchbruch.

Der bringt dir was?

Der macht es jetzt für mich möglich, mit voller Motivation und ohne Hemmnisse aufs nächste Mal zu schauen. Da habe ich richtig Bock drauf.

Für Team Malizia beginnt noch in diesem Jahr ein neuer dritter Zyklus. Welche Ziele hat das Team, und wo werden die Schwerpunkte liegen?

Das Ziel wird sein, an The Ocean Race und der Vendée Globe teilzunehmen und gleichzeitig das Engagement des Teams für Klima- und Nachhaltigkeitsthemen weiter zu stärken. Es gibt viele Projekte in der Pipeline. Die werden in den kommenden Wochen und Monaten immer klarer werden.

Das wird mit einem neuen Boot geschehen, zu dem euer Team bislang aber nicht viel gesagt hat…

Die große Priorität für die nächste Vendée Globe ist klar: die Revanche! Der zwölfte Platz war nicht, wonach wir gestrebt haben. Wir wollen im nächsten Rennen auf dem Podium sein. Das jetzige Boot geht in neue Hände. Zum neuen Boot kann ich jetzt noch nicht mehr sagen. Es wird bald Bekanntgaben dazu geben und ich freue mich darauf, sie mit euch zu teilen. Ich habe richtig Lust, anzugreifen.

Dann wenigstens theoretisch: Was wäre denn nach allen Erfahrungen dein wichtigster Wunsch an ein neues Boot?

Ich will ein Boot, das wirklich so ist wie die anderen. Ein absolut kompromissloses Boot. Aber mehr dazu im April.

Davor steht noch eine Saison mit dem aktuellen Boot…

Was auch passiert: Es wird immer das wichtigste Boot in meinem Leben bleiben. Das schönste Kompliment dafür habe ich am Abend vor dem Rennstart von Guillaume Verdier (Red.: führender Imoca-Designer, u.a. Schöpfer von Charlie Dalins Siegeryacht „Macif Santé Prévoyance“) bekommen. Der sagte: ‚Dein Boot ist das schlaueste der Flotte.‘ Das war das größte Kompliment, das ich jemals für das Boot bekommen habe. Er sagte: ‚Du bist so schlau, du machst einfach dein eigenes Ding. Und das Boot ist mega cool.‘ Das war schön.



Beyond the race – Team Malizias Rückblick auf die zweite Vendée Globe von Boris Herrmann:

Meistgelesen in der Rubrik Regatta