Vendée GlobeWas der führende Simon fürchtet, Extra-Workout für Boris Herrmann

Tatjana Pokorny

 · 18.12.2024

Spitzenreiter über Nacht: "Groupe Dubreuil"-Skipper Sébastien Simon im Glück.
Foto: Sébastien Simon/VG2024
Mit gebrochenem Foil, aber ungebrochen: Sébastien Simon hat die Vendée-Globe-Flotte über Nacht angeführt und darüber Freudenschreie ausgestoßen. Doch die ihm im Nacken sitzenden Powerplayer schicken sich schon wieder zum Überholmanöver an. Boris Herrmann musste kleine Verluste wegstecken.

Wenn wir in Deutschland inzwischen von “über Nacht” sprechen, gilt das für die Vendée-Globe-Pacemaker so nicht mehr. Für die führende Gruppe war die Übernahme der Führung durch Sébastien Simon auf Kurs Point Nemo das Tagesereignis. Zwischen den südlichen Breitengraden der “Brüllenden Vierziger” und der “Schreienden Fünfziger” hatte sich der “Groupe Dubreuil”-Skipper auch ohne sein abgebrochenes Steuerbord-Foil am Dienstagabend an die Spitze gesetzt.

Sein erfolgreicher Sprint ließe ihn auch am Morgen des 18. Dezember noch die Bugspitze knapp vor Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance”) und Yoann Richomme (”Paprec Arkéa”) haben. Die beiden Powerplayer lieferten sich etwa 60 Seemeilen südlich von Simon beim 56. Breitengrad Süd ein Duell, das intensiver nicht sein könnte. Bei der 7-Uhr-Positionsaktualisierung lagen Dalin und Richomme nach 13.984,1 gesegelten Meilen gleich auf!

Vendée-Globe-Führung für Seb Simon

Beide hatten ihren rechnerischen Rückstand auf Sébastien Simon inzwischen wieder auf zwei Seemeilen verkürzt und schickten sich an, den Landsmann wieder einzufangen. Sébastien Simon hat seine Führung aber zunächst gefeiert, sagte: “Es ist schön, aufzuwachen und zu merken, dass man an der Spitze liegt, zuerst durch Whatsapp-Nachrichten und dann durch die Aktualisierung des Klassements! Auf jeden Fall tut es der Moral gut. Es tut auch gut, dass ich mein Foil (Redaktion: das noch intakte Backbord-Foil) und damit mein Boot zu 100 Prozent nutzen kann. Das genieße es sehr! Das Meer hat sich geordnet, die Bedingungen sind besser geworden, und der Wind hat gerade nachgelassen”, sagte Seb Simon.

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Doch der Solist aus Les Sables-d’Olonne weiß, dass sein Spiel ein schweres sein wird: “Ich fürchte mich vor dem Moment, in dem die Verfolger mich einholen, was mental sehr schwierig werden könnte.” Damit meint er nicht Richomme und Dalin, die zum Ende von Renntag 38 ohnehin schon fast gleichauf lagen, sondern die Verfolger der Gruppe um den inzwischen auf Platz vier vorgerückten “Vulnerable”-Skipper Thomas Ruyant, “Holim-PRB”-Skipper Nico Lunven und Jérémie Beyou (”Charal”).

Das Trio lag am Mittwochmorgen zwar noch knapp 600 Seemeilen hinter dem neuen Spitzenreiter und dabei keine 20 Seemeilen auseinander, doch Seb Simon weiß, dass er ohne Steuerbord-Foil auf einem Bug “lahmt”, der aber auch wieder gefragt sein wird. Seb Simon sagte: “Im Moment ist immer noch ein Hochdruckgebiet zwischen uns. Ich werde versuchen, den Moment zu genießen. Es ist unglaublich, wieder an der Spitze der Vendée Globe zu stehen, und es macht Spaß!”

Heute hat sich bestätigt, dass ich meinen Platz in dieser Vendée Globe habe!” Sébastien Simon

Der Mann, der in seiner Freizeit gerne als Triathlet im Einsatz ist, übertrifft aktuell die Erwartungen vieler Beobachter – und auch die eigenen, sagte: “Ich war gekommen, um die Vendée Globe zu beenden, aber heute habe ich ganz andere Ambitionen! Mit dem Bruch eines Foils wird es viel komplizierter, aber ich habe immer noch Hoffnung und möchte voll und ganz daran glauben.”

Co-Favorit Ruyant rückt vor

Vorerst wird Simon weiter träumen dürfen, denn die dichtesten Verfolger Ruyant, Lunven und Beyou werden von dem vor ihnen liegenden Hochdruckgebiet ausgebremst. Mit einer 24-Stunden-Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 23 Knoten rang Ruyant ums Fortkommen, war aber am Mittwochmorgen in den leichter gewordenen Winden schon deutlich langsamer unterwegs.

Auch Boris Herrmanns 24-Stunden-Schnitt hatte sich über Nacht bei leichter werdenden Winden auf knapp 19 Knoten verringert. Was dazu führte, dass der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper bei seiner Aufholjagd einige Meilen eingebüßt hat. Vom neuen Frontmann trennten ihn in starken nord-nordwestlichen Winden um 30 Knoten sechs Tage vor Heiligabend 893 Seemeilen.

Sonderschicht für Boris Herrmann

Am Morgen hatte Boris Herrman zudem einen zweistündigen Sondereinsatz zu absolvieren, während er die internationale Datumsgrenze überquerte. Bei leichter werdendem Wind musste er die komplette Konfiguration seines Bootes ändern: Von der Sturmfock, drei Reffs, einer vorlichen Ballastkonfiguration und nur zur Hälfte ausgefahrenen Foils, hat er auf zwei Reffs, die J3 und sein großes Raumschotssegel (Jib Top) sowie komplett ausgefahrene Foils umgeschaltet. Dazu staute er die komplette Ausrüstung wieder nach hinten. “Das war ein schönes zweistündiges Workout”, berichtete Boris Herrmann lächelnd.

Noch etwas weiter hinten suchten auch Clarisse Crémer (”L'Occitane en Provence”) und Samantha Davies (”Initiatives-Cœur”) auf den Plätzen zwölf und dreizehn nach Lösungen. Die beiden Leidensgenossinnen, die den jüngsten Südmeer-Zug verpasst hatten, segeln unterhalb Neuseelands in nordöstlicher Richtung und hoffen – bei inzwischen mehr als 1500 Seemeilen Rückstand auf die Spitze – auf einen neuen Anschluss an einen Eilzug.

Pip Hare auf Kurs Australien

Indessen kämpft sich die nach ihrem Mastbruch mit Notrigg segelnde “Medallia”-Skipperin Pip Hare auf Kurs Australien voran, wo sie in voraussichtlich zehn bis vierzehn Tagen Melbourne erreichen könnte. “Macsf”-Skipperin Isabelle Joschke hielt am zu Ende gehenden 38. Renntag als Siebzehnte einen knappen Vorsprung vor Jean Le Cam (”Tout Commence en Finistère - Armor-Lux”). Etwas weiter südlich ist Tanguy Le Turquais (”Lazare”) auf Platz 21 nach starker Aufholjagd wieder langsamer geworden. Dafür gibt es eine wenig angenehme Erklärung: Ein Schaden an einem vorderen Schott zwang den Franzosen, seine Fahrt zu drosseln und die Reparaturkiste auszupacken.

Atemberaubend! Nach mehr als 13.500 Seemeilen duellieren sich Yoann Richomme und Charlie Dalin Bug an Bug an Antarktischen Exklusionszone:

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