Andreas Fritsch
· 01.12.2020
Das Feld orientiert sich nach Norden, nur der Franzose kratzt mit seiner "Bureau Vallée 2" tief im Süden an der Eisgrenze und setzt alles auf eine Karte
Der Seenotfall von "PRB" lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in den letzten zwei Tagen auf das Geschehen rund um die Rettung von Kevin Escoffier, doch ganz still und leise hat einer der Skipper im Feld auf den Attacke-Modus umgestellt: Der Bretone Louis Burton segelt mit seiner "Bureau Vallée 2" tief unten im Süden ganz allein quasi am Rande der Eisgrenze, die das Race-Management ausgegeben hat, und loggt seit Tagen hohe Speeds knapp unter den 20 Knoten. Dort unten ist die gesegelte Strecke kürzer, der Wind seit Tagen stärker, der Seegang aber auch höher – vielleicht aber auch länger und weniger chaotisch, wie die Skipper im Norden die letzten Tage vermuteten. Denn weiter im Norden bringt der Strom am Kap der Guten Hoffnung unangenehme Wellen hervor.
Den erfahrenen Segler Burton, der schon bei der letzten Vendée extrem clever segelte, mit einem alten Boot richtig schnell war und Siebter wurde, scheint all das nicht zu schrecken. Er ist Charlie Dalins "Apivia" und Thomas Ruyants "LinkedOut" dicht auf den Fersen und lässt nicht locker. Immer wenn Dalin mal etwa nachlässt, holt er Meilen auf. 253 Meilen Rückstand sind es derzeit; als die Boote im Southern Ocean ankamen, waren es noch 550.
Und jetzt scheint er seinen nächsten entschlossenen Vorstoß zu wagen: Während sich das ganze Verfolgerfeld nach Norden orientiert, um ein Sturmtief zu umgehen, das im Laufe des morgigen Tages wohl durchzieht, bleibt er weit im Süden, riskiert die volle Härte der Front mit Durchschnittswind von über 30 Knoten und entsprechenden Böen weit jenseits der 40-Knoten-Marke. Offensichtlich vertraut der Bretone seiner "Bureau Vallée 2", die alte "Banque Populaire", mit der Armel Le Cléac'h die letzte Vendée gewann. Sie hat die alten, kleineren Foils – vielleicht macht sich der Franzose daher wenig Sorgen um die Lasten auf den neuen Foilern mit ihren bis zu dreimal größeren Anhängen. Angesichts des katastrophalen Versagens der Struktur von "PRB" könnte mancher Skipper derzeit schlaflose Nächte erleben.
Boris Herrmann ist mit in der nördlichen Verfolgergruppe, liegt auf dem fünften Platz, nachdem er im Zuge der Nachwehen der Rettungsaktion Jean Le Cam und Yannick Bestaven überholt hat. Alle drei Skipper hatten danach mit Erschöpfung und Schlafmangel zu kämpfen. Noch ist nicht klar, wie die Regattaleitung die Teilnehmer für den Einsatz entschädigen wird, normalerweise gibt es Zeitgutschriften für Boote, die in solche Aktionen involviert sind – bei einem Rennen wie der Vendée eine schwierige Entscheidung. Bislang war noch nichts zu dem Thema zu hören.
An der Spitze segelt Charlie Dalin mit 230 Seemeilen Vorsprung auf Thomas Ruyant und 250 Seemeilen auf Louis Burton ein einsames Rennen. Seine "Apivia" scheint technisch wenig Probleme zu machen (oder er kommuniziert sie schlicht nicht), und er ist in der komfortablen Situation, dass er länger auf der Front des von hinten aufziehenden Tiefs mitfahren kann als die Verfolger. Man darf gespannt sein, ob das auch im Sturm der nächsten Tage so bleibt. Bislang liefert Dalin aber eine sehr starke Vorstellung ab, die seiner Mitfavoriten-Stellung vor dem Rennen voll gerecht wird.