Das Fortkommen im Südatlantik bleibt auch am inzwischen begonnenen 17. Tag der zehnten Vendée Globe ein Kampf. Während die vorderen neun Boote von Spitzenreiter Charlie Dalin bis zu “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat am Dienstagnachmittag mit dem “Kapstadt-Express” nach Südosten preschten, bleibt es für ihre Verfolger ein Auf und Ab.
Nach recht langsamer Nacht mit oft nur 13 Knoten Wind, raste Boris Herrmann dem Kap der Guten Hoffnung am Dienstagnachmittag mit “Malizia – Seaexplorers” höchster Geschwindigkeit seit Rennbeginn am 10. November entgegen: Mitten in einer Online-Pressekonferenz konnte der 43-jährige Skipper 34 Knoten Speed vermelden – und war selbst beeindruckt. Doch so wird es laut seiner eigenen Einschätzung im südatlantischen Zieharmonikaspiel nicht bleiben.
Zwar konnte Boris Herrmann seinen Rückstand auf Charlie Dalin folgerichtig mit dem nächsten Positions-Update am Dienstagnachmittag zunächst wieder um ein paar Meilen auf 393 Seemeilen schrumpfen. Doch seine Zitterpartie dauert an.
Auf der einen Seite sind da im Südatlantik am windvariablen Rand des Tiefs, das inzwischen alle als “Kapstadt-Express” kennen, die formidablen Spurtphasen. Auf der anderen Seite gibt es beispielsweise die “recht langsame” letzte Nacht und die bedenklichen Aussichten für die Verfolger, die nach und nach aus dem Zug geworfen werden. Das Stop-and-go-Spiel geht weiter. Boris Herrmann glaubt, dass die vorderen Boote die Verfolger noch deutlich stärker abhängen können, wenn der Wind für die Jäger wie ihn weniger wird.
Mein Schreckensszenario kann durchaus noch eintreten.” Boris Herrmann
Der fünfmalige Weltumsegler erklärte: “Noch ist der Abstand überschaubar. Er wird sich aber vergrößern. Ich schätze, in zwei Tagen werden die Vorgerückten bei weniger werdendem Wind für uns noch weiter schnell fahren. Dann halse ich nach Süden und versuche, mich so ein bisschen durch die Leichtwindzone zu mogeln. Die Abstände können sich noch auf 1000 Seemeilen vergrößern.”
Ein bisschen geht es draußen im Südatlantik zu wie beim Partyspiel “Sesseltanz”, bei dem für die Mitspieler immer ein Stuhl weniger dasteht als die Spielgruppe groß ist. Wenn die Musik ausgeht, findet ein Spieler keinen Platz mehr. Bei der Vendée Globe ist es aktuell ähnlich: Wenn der Wind “ausgeht”, ist für einen oder mehrere Segler der Top-Gruppe kein Platz mehr im “Kapstadt-Express”.
So sehen es auch die Experten. Der Grund ist einfach: Während zunehmend mehr Skipper gezwungen sein werden, auf den nächsten Zug zu warten, weil der Wind für sie am Ende der “Imoca-Perlenkette” auf Kurs Kap der Guten Hoffnung leichter wird, werden Charlie Dalin und seine direkten Konkurrenten in den für sie vorne anhaltenden starken Winden weiter schnell vorankommen. Sie können voraussichtlich sehr zügig nach Süden abbiegen und sich am Rande der antarktischen Sperrzone festsetzen.
Die Rennleitung hat sich dafür entschieden, diese Zone um fast 100 Meilen zu verkürzen - zumindest bis zum Crozet-Archipel. Diese Variante ermöglichst den Seglern einerseits eine kürzere Route und bietet andererseits Chance, die Tiefdruckgebiete auszunutzen, die derzeit sehr weit südlich zirkulieren. Dass sich die Spitze weiter auseinanderzieht, so Herrmann, war natürlich “nicht gewünscht”. Er und die anderen Verfolger ringen um jede Meile, damit sie nicht abgehängt werden. Und wenn doch, dann so spät wie möglich.
Gleichzeitig verneigte sich Herrmann vor den Front- Akteuren, die in den vergangenen Tagen mehrmals den 24-Stunden-Einrumpf-Solorekord überboten hatten und bislang ein herausragendes Rennen bestreiten. Die Bestmarke hält vorerst der französische „Paprec Arkéa“-Skipper Yoann Richomme mit 579,86 Seemeilen. Boris Herrmann sagte: “Ich habe großen Respekt vor den vorderen Schiffen. Die Segler sind extrem gut vorbereitet.”
Seine eigenen Hoffnungen ruhen indessen auf einem weiteren Tiefdruckgebiet, das dem ersten bald folgen könnte. “Das gleicht es womöglich etwas aus”, so Herrmann. Das müsse man aber abwarten. Seinem Boot “Malizia – Seaexplorer” vertraut Herrmann nach wie vor „zu 100 Prozent”. Auch mache er sich im Moment nicht zu viele Gedanken um die Flottenentwicklung: “Ich muss mein eigenes Rennen segeln. Da wird noch viel passieren.”
Der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper berichtete bei der Pressekonferenz, die er in seinem blau gepolsterten Pilotensitz bestritt: “Ich bin vorhin in der Flautenphase das erste Mal während der Vendée Globe ganz nach vorne geklettert, habe alles gecheckt und kann nichts beanstanden.” Die bereits verlorenen Meilen und auch die, die in den kommenden Tagen noch dazu kommen könnten, hofft er im Südmeer wieder aufholen zu können.
Mit Grüßen von Sam Goodchild aus der südatlantischen Waschmaschine am Nachmittag des 26. November. Der Brite war zuletzt auf Rang sieben zurückgefallen, hatte die Flotte im Nordatlantik aber lange angeführt:
Boris Herrmanns aktueller Bericht von Bord – veröffentlicht am 26. November gegen 18 Uhr: