Vendée GlobeStürmische Zieleinläufe, hartes Finale für Davies und Herrmann

Tatjana Pokorny

 · 26.01.2025

Der Molenkopf von Les Sables-d'Olonne am Sonntag.
Foto: Anne Beauge/Alea/VG2024
Erstmals musste bei dieser zehnten Vendée Globe die Kanaljubelfahrt nach einem Zieldurchgang vertagt werden. Benjamin Dutreux segelte nach dem Kreuzen der Linie am Sonntagnachmittag direkt weiter nach La Rochelle. Im sturmerprobten Les Sables-d’Olonne musste auch das Race Village in Winden von mehr als 50 Knoten geschlossen bleiben.

Da kommt man nach seinem gelungenen Solo um die Welt – nach 77 Tagen, 3 Stunden, 39 Minuten und 24 Sekunden – an einem Sonntagnachmittag ins Ziel und würde normalerweise von Tausenden, vielleicht Zehntausenden Fans gefeiert werden. Doch an diesem Sonntag war nichts normal in Les Sables-d’Olonne. Ihr Race Village hatten die Vendée-Globe-Veranstalter schon am Vorabend in Winden von mehr als 50 Knoten schließen müssen. Dabei blieb es auch am Sonntag.

Sturmtor erneut als Vendée-Globe-Ziellinie aktiviert

Durch die von Sturntief Herminia aufgepeitschte Biskaya hatte sich “Guyot Environnement – Water Family”-Skipper Benjamin Dutreux wie auch die ihm am Abend noch folgende Clarisse Crémer (”L’Occitane en Provence”) am Wochenende trotzdem bis zur Ziellinie kämpfen müssen. Die “Porte Tempête”, das Sturmtor, das die Rennleitung weiter draußen als die kleinere klassische Ziellinie erneut aktiviert hatte, erreichte Benjamin Dutreux am 26. Januar um 16.41 Uhr als Zehnter.

Damit machte Dutreux die Top Ten auch ohne großen Bahnhof voll. Sogar die Teamboote blieben im Hafen. Direkt nach dem Zieldurchgang ging es für Dutreux weiter nach La Rochelle, weil seine Kanalfahrt aus Sicherheitsgründen nicht möglich war. Das hatten der Skipper, sein Team und die Rennleitung zuvor gemeinsam beschlossen.

Vendée Globe: Schutz in La Rochelle statt Party im Port Olona

Im offiziellen Statement hieß es: "Aufgrund der für Sonntag und Montag vorhergesagten ungünstigen Wetterbedingungen mit starkem Südwind und mächtigem Seegang, der das Fahrwasser von Les Sables d'Olonne unpassierbar macht, haben der Skipper von 'Guyot Environnement - Water Family' und sein technisches Team in Absprache mit der Organisation die Entscheidung getroffen, nach dem Passieren der Ziellinie der Vendée Globe Richtung La Rochelle zu segeln.”

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“Die Seebedingungen, die in La Rochelle weniger ungünstig sind, werden es dem Team und dem Boot ermöglichen, sich für die nächsten 24 Stunden in Sicherheit zu bringen." Vendée Globe

Die gleiche Extra-Herausforderung wird später am Abend auch Clarisse Crémer vollbringen müssen, nachdem sie die Ziellinie als Vendée-Globe-Elfte voraussichtlich zwischen 21 und 0 Uhr überquert haben wird. Auch sie muss auf die verdiente Willkommensparade im Kanal und die Ehrungen in Port Olona warten, bis sich die Bedingungen wieder etwas mehr beruhigt haben.

Die beiden weitergeschickten Skipper sorgten am Abend für regem Verkehr zwischen Les Sables-d’Olonne und dem auf dem Autoweg immerhin 100 Kilometer entfernten La Rochelle. Viele Freunde, Fans und auch Journalisten wollten die beiden Skipper noch in der Nacht sehen und begrüßen.

Die Leistung von Benjamin Dutreux, der schon bei der letzten Vendée Globe mit einem älteren Boot als Neunter abgeliefert hatte, ist auch dieses Mal bemerkenswert: Mit eher kleinem Budget und der ältesten Imoca in den Top Ten, zeigte der in der Vendée beheimatete 34 Jahre alte Skipper, dass man ihn zum erweiterten Leistungskreis der Imoca-Klasse zählen muss.

Zum zweiten Mal in den Top Ten der Vendée Globe

Über Grund hat Benjamin Dutreux 28.514 Seemeilen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,40 Knoten absolviert. Er kam 12 Tage, 8 Stunden, 16 Minuten und 35 Sekunden nach Sieger Charlie Dalin ins Ziel. Seine Imoca ist ein Design von VPLP Verdier, war 2015 als "Hugo Boss" für Alex Thomsons Vendée Globe 2016/2017 gebaut worden.

Dutreux wurde auch deutschen Segelfans bekannter, als er sich die Skipperrolle mit Robert Stanjek im Guyot-Team für das Ocean Race 2023 teilte. Ebenso gehörte ihr Mitstreiter Sébastien Simon Team Guyot an. Der Freund und Wegbegleiter von Benjamin Dutreux war bei dieser Vendée Globe auch mit abgebrochenem Foil auf Platz drei gerast, hatte damit sich selbst und alle anderen überrascht.

Kann nach Benjamin Dutreux auch Clarisse Crémer am Abend das erreichen – wir berichten hier im Live-Ticker – wird das auch für sie ein großer persönlicher Erfolg sein. Zwar hat sie ihren bei der 9. Vendée Globe aufgestellten weiblichen Vendée-Globe-Rekord an die am Samstag als Achte ins Ziel gekommene Schweizer Powerplayerin Justine Mettraux abgeben müssen, doch blieb sie dicht dran und verbessert ihren zwölften Premieren-Platz voraussichtlich um einen Rang.

Brutale Biskaya-Bedingungen bei der Vendée Globe

Wichtiger noch für Clarisse Crémer: Ihr Projekt hatte spät begonnen und war mit einigen Qualifikationshürden verknüpft. Außerdem hatte sie einen Schaden im Transat CIC erlitten und einen technischen Zwischenstopp auf den Azoren einlegen müssen. Sie hatte sich danach noch lange ins Ziel kämpfen müssen. Weshalb es beim anschließenden New York Vendée für sie mit Blick auf die Vendée Globe um alles oder nichts ging. Als junge Mutter hatte Clarisse Crémer aber auch diese Herausforderung gemeistert.

Kommt sie voraussichtlich heute Abend in Ziel – um 19 Uhr hatte sie noch 87 Seemeilen zu meistern, war mit etwa zehn Knoten in 25 bis 30 Knoten Wind und starkem Seegang unterwegs – werden sich die Augen wieder auf Boris Herrmann und Sam Davies richten. Die Les Sables-d’Olonne auf den Plätzen zwölf und 13 entgegenstrebenden Skipper haben eine so komplizierte wie anspruchsvolle Aufgabe zu lösen: Sie wollen schnellstmöglich ins Ziel, doch der Weg dahin bleibt in den kommenden Tagen sehr stürmisch.

Noch problematischer. der sich immer stärker auftürmende Seegang in der Biskaya. “Das ist draußen auf See weniger ein Problem als dort im Zielrevier der Biskaya, wo sich alles zusammenschiebt”, erklärte Boris Herrmann. Wann und wie der am 78. Renntag etwa 350 Seemeilen westlich der Azoren bei knapp 770 Seemeilen bis ins Ziel nach Norden segelnde Herrmann und Sam Davies durchkommen können, war auch am Sonntag noch nicht sicher.

Herrmann erinnert sich an Sturm vor Kap Hoorn

Boris Herrmann hatte zuletzt mit einer Ankunft zwischen dem 28. und 29. Januar gerechnet, mahnte aber zur Vorsicht. Es könne auch noch etwas später werden. “Es ist noch nicht sicher. Wenn zu viel Wind und Wellen sind, werde ich vielleicht auch dann noch nicht hinkommen oder nicht in den Hafen hinein”, sagte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper.

Boris Herrmann erinnerte sich an seine Vendée-Globe-Premiere und sagte: “Da hatte ich beim letzten Mal 50 Knoten Wind vor Kap Hoorn, als ich mein Großsegel kaputtgemacht habe.” Am Sonntagabend vermeldete Team Malizias Skipper bereits sechs Meter hohe Wellen, erwartete eine weitere Zunahme bis Montag.

Sam Davies, die bereits in der Nacht zum Samstag die schmerzhafte Entscheidung pro guter Seemannschaft gefällt und Warteschleifen in ihren Kurs eingezogen hatte, weil sie im Gegensatz zu den vor ihr liegenden Dutreux und Crémer nicht mehr durch das weiter zunehmende Sturmtief gekommen wäre, erklärte ihre Lage und Gefühlswelt: “Es ist mental schwer, was ich hier tue. Aber wenn ich mir das Wetter ansehe, ist es wie in der Vorhersage. Also ist es nicht so, dass es sich beruhigt hätte und ich es tatsächlich hätte schaffen können.”

Es ist besser, dort zu warten, wo es ruhig ist, als dort, wo bereits Krieg herrscht.” Samantha Davies

Weiter sagte Sam Davies, die sich dem Ziel so nah und doch so fern fühlte: “Es beruhigt mich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Es gab keinen anderen Weg für mich, es wäre zu gefährlich gewesen. Ich habe fast zwei Tage lang die Zeit angehalten. So konnte ich mich nach meiner Lebensmittelvergiftung ein wenig erholen. Aber es fällt mir schwer, mich auszuruhen, weil ich immer auf der Suche nach einem Weg dorthin bin. Ich stelle mir ständig Fragen, das ist stressig...” Gleiches galt am Sonntagabend für die Situation von Boris Herrmann.

Ein schwerer Sturm legte am Sonntag das Race Village in Les Sables-d’Olonne lahm und machte es Ben Dutreux und Clarisse Crémer unmöglich nach Port Olona einzulaufen:

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