Vendée GlobeNoch vier Wochen bis zum Start: Aufbruchstimmung in Lorient

Tatjana Pokorny

 · 07.10.2020

Vendée Globe: Noch vier Wochen bis zum Start: Aufbruchstimmung in LorientFoto: Jean-Marie Liot
Boris Herrmann

Bis zum Wochenende bringen die in Lorients "La Base" ansässigen Vendée-Globe-Teams ihre Boote nach Les Sables. Der Countdown zum Start am 8. November läuft

In genau einem Monat fällt am 8. November der Startschuss zur neunten Auflage der Vendée Globe. Das Nonstop-Solorennen um die Welt wird in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe setzen. Der aus hiesiger Sicht wichtigste Fan-Faktor ist die historisch erste Teilnahme eines deutschen Skippers an der Härteprüfung für Mensch und Material: Boris Herrmann startet als Pionier, Hoffnungsträger und sportlicher Anwalt im Kampf um die Gesundheit der Meere ("A race we must win!") in das Rennen seines Lebens. Aktuell bereitet sich der 39-Jährige mit seinem Team Malizia noch im Basiscamp im bretonischen Lorient auf die bevorstehende Überführung in den Vendée-Globe-Starthafen Les Sables-d'Olonne vor, wo seine "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco" ab der kommenden Woche neben 32 weiteren Imoca-Yachten zu sehen sein wird. Drei Jahrzehnte nach der Premiere 1989/90 markieren die insgesamt 33 gemeldeten Vendée-Globe-Boote einen neuen Teilnehmerrekord für Frankreichs berühmtestes Rennen.

  Vier Wochen vor dem Start ist Boris Herrmann bereit für das Abenteuer Vendée GlobeFoto: Team Malizia/Andreas Lindlahr
Vier Wochen vor dem Start ist Boris Herrmann bereit für das Abenteuer Vendée Globe

Herrmanns Team liegt voll im Zeitplan, ist gut vorbereitet und für die Herausforderungen der kommenden Wochen bis zum Start gerüstet. Beim Vorort-Besuch wirkte der in Hamburg beheimatete Skipper ruhig und konzentriert, obwohl die Anforderungen an ihn täglich zunehmen. Herrmann wird nach vollbrachter Überführung und letzten Vorbereitungen noch einmal nach Hamburg zu seiner Familie zurückkehren, bevor er sich mit seinem Team in Les Sables-d'Olonne versammelt. Wie alle großen Imoca-Rennställe schützt sich auch das Team Malizia in Corona-Zeiten bestmöglich vor Infektionsgefahren. Alle eint die Sorge davor, sich nach zwei bis vier Jahren Vorbereitung anzustecken und das Projekt zu gefährden. Gegessen wird nur outdoor – egal, welches Wetter in der herbstlich oft wilden Bretagne gerade herrscht. Autofahrten finden schon länger nicht mehr mit Außenstehenden statt. Das Kernteam bleibt unter sich. Interviews und Fototermine werden grundsätzlich nur mit Masken bestritten; lediglich bei Aufnahmen aus der Distanz wird der Mund- und Nasenschutz hin und wieder abgenommen. Ein kleines Stück Heimat hat Herrmann aktuell mit Familienhund Lilly bei sich in Frankreich – die agile Hundedame, im Team spaßeshalber "Killer" genannt, ist ein Gute-Laune-Garant, wenn sie durch die Bootshalle fegt oder sich bei Interviews auf Herrchens Schoß einkuschelt.

  Schon bald für mehr als zwei Monate sein einsamer Arbeitsplatz auf See: das Navigationspult im dunklen Inneren der "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco"Foto: Team Malizia
Schon bald für mehr als zwei Monate sein einsamer Arbeitsplatz auf See: das Navigationspult im dunklen Inneren der "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco"
  Boris Herrmann mit Hund Lilly an Bord der "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco"Foto: tati
Boris Herrmann mit Hund Lilly an Bord der "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco"

Boris Herrmann selbst bewegt sich dreisprachig und mit erstaunlicher Ruhe von Interview zu Online-Vortrag, von Fototermin zu Team-Meeting, vom Büro in der großen Bootshalle mit der Außenaufschrift "Glorieux 1" aufs 100 Meter entfernt am Steg liegende Boot – und wieder zurück. Während Anrufe, Anfragen und Entscheidungsnotwendigkeiten auf ihn einprasseln, bleibt er freundlich und besonnen. Dass er an manchen Abenden in der Team-Wohnung schon um 21.30 Uhr in tiefen Schlaf fällt, verwundert nicht. Beim Bummel durch das Hafenareal von "La Base" entlang der prominenten Herzschlagkammern von Teams wie dem Ultim-Rennstall Gitana kann man die steigende Anspannung beinahe greifen. Mit konzentrierten Gesichtern stapfen Vendée-Skipper wie Sam Davies, Thomas Ruyant oder Isabelle Joschke an den Gebäudereihen vorbei. Ihre Shorecrews machen sich emsig an den futuristischen Foilern zu schaffen, wuchten die bereits für die Vendée Globe gepackten Provianttaschen und die Ausrüstung auf die Boote und nehmen letzte technische Updates vor. Hier hängen Rigger im Mast, dort sind Taucher im Einsatz.

  Boris Herrmann erklärt einem japanischen TV-Team sein BootFoto: tati
Boris Herrmann erklärt einem japanischen TV-Team sein Boot

Boris Herrmann und beispielsweise auch der japanische Skipper Kojiro Shiraishi haben sich dafür entschieden, die Vendée Globe mit einem Ersatzruder an Bord anzugehen. Sie werden damit einer Minderheit angehören und unterstreichen mit dem Entschluss ihren Willen, dieses Rennen unbedingt zu Ende bringen zu wollen. "Andere Skipper haben kein Ersatzruder dabei, weil für sie das Rennen bei schwerem Ruderbruch zu Ende sein wird. Für einige zählt nur der Sieg", erklärt LinkedIn-Teammanager und Imoca-Experte Marcus Hutchinson, der Boris Herrmann aufgrund von dessen überzeugenden Allround-Qualitäten und der fokussierten Bootsvorbereitung zu den besten fünf Skippern bei dieser Auflage zählt. Herrmann selbst bleibt bei seiner Prognose zurückhaltend: "In den Top Ten wäre ich schon gern. Aber mehr als alles andere will ich ankommen. Das Ankommen steht so hoch in der Prio-Liste, dass ich auch weitermachen würde, wenn es sportlich mit Blick auf eine Top-Platzierung keinen Sinn mehr macht."

  Schöne Geste unter zwei Vendée-Globe-Skippern: Boris Herrmann und Kojiro Shiraishi wünschen sich am Mittwoch in Lorient gegenseitig ein gutes Rennen und tauschen kleine Geschenke aus. Boris Herrmann erhält japanische Kostproben aus dem Proviantpaket des sympathischen DMG-Mori-Global-One-SkippersFoto: tati
Schöne Geste unter zwei Vendée-Globe-Skippern: Boris Herrmann und Kojiro Shiraishi wünschen sich am Mittwoch in Lorient gegenseitig ein gutes Rennen und tauschen kleine Geschenke aus. Boris Herrmann erhält japanische Kostproben aus dem Proviantpaket des sympathischen DMG-Mori-Global-One-Skippers

Das rege Imoca-Treiben beobachtet vor Ort in Lorient auch Minisegler Lennart Burke. Der talentierte Solist aus Stralsund, der im August mit seinem dritten Podiumsplatz im Klassiker Les Sables – Les Açores – En Baie de Morlaix auch in französischen Mini-Kreisen für Aufsehen gesorgt hatte, hat seinen Anker in "La Base" geworfen. Seit Monaten schläft er dort in seinem Auto, um jeden Cent in sein Segelprojekt und sein Boot stecken zu können. Zur Finanzierung seiner Mini-Transat-Kampagne hat er jüngst eine Crowdfunding-Kampagne angeschoben, mehr dazu hier. Auch mit Boris Herrmann hat sich Burke bei einem gemeinsamen Essen schon austauschen können. Jetzt drückt Burke Herrmann die Daumen, wünscht ihm, "dass er immer sein Ziel vor Augen behält und sich durch keine Rückschläge vom Kurs abbringen lässt" und bereitet sich selbst auf das finale Mini-Rennen der aufgrund der Corona-Epidemie zusammengekürzten Mini-Saison 2020 vor; am 15. Oktober startet er vor Douarnenez in die 220-Seemeilen-Regatta Trophée Marie-Agnes Peron, kurz MAP. Von der Prüfung wird er zurück sein, wenn für Herrmann und die anderen 32 Imoca-Skipper der Startschuss zur Vendée Globe fällt.

  Inzwischen selbst eines der Gesichter von Lorient ("Les visages de Lorient"): Mini-Steuermann Lennart Burke vor dem Fotomosaik von Eric Tabarly in "La Base" in LorientFoto: tati
Inzwischen selbst eines der Gesichter von Lorient ("Les visages de Lorient"): Mini-Steuermann Lennart Burke vor dem Fotomosaik von Eric Tabarly in "La Base" in Lorient

Der Stralsunder segelt seit 13 Jahren und steuert aktuell dem nächsten Karrieregipfel entgegen: der Teilnahme am Minitransat 2021