Erschöpft, erfüllt, zutiefst glücklich: Jingkun Xu hat das Ziel der 10. Vendée Globe an diesem 18. Februar erreicht. Nach 99 Tagen, 19 Stunden und 6 Minuten auf See hatte der chinesische Skipper die Linie vor Les Sables-d’Olonne passiert. „Ich habe 18 Jahre Arbeit investiert, um hier anzukommen. Mehr als 6000 Tage und Nächte, um mich vorzubereiten. Das, was viele für Wahnsinn hielten, in die Realität zu verwandeln, ist jetzt ein unbeschreibliches Gefühl“.
In Port Olona sprang Jingkun Xu auf dem Vorschiff seiner orangefarbenen 18 Jahre alten Imoca “Singchain – Team Haikou” immer wieder in die Luft, reckte die rechte Faust in den Himmel über Les Sables-d’Olonne. Er hat mit seinem Solo um die Welt in seiner Heimat und darüber hinaus ein wachsendes Millionenpublikum in den Bann gezogen.
Seine von See geschickten Bilder zählten zu den schönsten, seine emotionalen Berichte begeisterten. Mit dem Zieldurchgang ist die Vendée-Globe-Geschichte um ein historisches Kapitel reicher: Nie zuvor hatte ein Chinese an der schwersten Prüfung des Segelsports teilgenommen. Jingkun Xu hat die die Herausforderung gemeistert.
Er kam als Dreißigster am Morgen nach Oliver Heers Zieldurchgang wieder dort an, wo alles begann. Er setzte ein weiteres Zeichen für die Internationalisierung des Hochseerennsports und wurde auch zur außergewöhnlichen Symbolfigur für die Vielfalt der Skipper und Skipperinnen der Vendée Globe, die bei der zehnten Edition aus elf Nationen kamen.
Der Junge aus den Bergen der ostchinesischen Provinz Shandong, der das Meer im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal sah, hat sich aus eigener Kraft zum Bestehen der extremsten Herausforderungen des Segelsports hochgearbeitet. Er fing in Frankreich an wie so viele junge und hungrige Meeresstürmer, lebte mit seiner Frau im Bus und legte los.
Dass er als kleiner Junge seinen linke Hand bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers verlor, hat Jingkun Xu bei seinem beharrlichen Streben nie aufgehalten. Sein Lebensmotto “Nichts ist unmöglich” hat ihn immer stark gemacht. Der in China erfolgreiche und sehr bekannte Segellehrer ist ein Selfmade-Weltumsegler.
Mit betagtem Boot und Platz 30 mag er im ersten Anlauf nicht in die Spitze gefahren sein, doch das war auch nicht seine Mission. Ein genauerer Blick auf die Daten des Chinesen bei seiner Vendée-Globe-Erstleistung zeigt aber dennoch Bemerkenswertes.
Zwar blieb Jingkun Xu mit einer Schnittgeschwindigkeit von 11,53 Knoten fast sechseinhalb Knoten hinter dem durchschnittlich schnellsten Vendée-Globe-Skipper Yoann Richomme zurück, aber: Der Chinese hat den zweitkürzesten Kurs über Grund aller bislang ins Ziel gekommenden Skipper und Skipperinnen gesegelt! Mit nur 27.616 Seemeilen war er effektiver als Vendée-Globe-Sieger Charlie Dalin, der sein Solo nach 27.668 Seemeilen über Grund abgeschlossen hatte. Nur Antoine Cornics Kurs war mit 27.203 Meilen noch kürzer.
Von den ersten Tagen an hatte sich Jingkun Xu auch den harten Seiten des Rennens zu stellen: einem schmerzenden Knöchel vor Kap Finisterre, einer bis zum Schluss schmerzenden Schulter und heiklen Reparaturen im Alleingang. Viele Tage brachten ihm schwere Kämpfe – mit sich, dem Boot und den Elementen.
Doch er biss sich durch und wusste die Vendée Globe immer wieder auf seine Weise zu zelebrieren. Er sprach auch dann noch von seiner Dankbarkeit, auf See und in diesem Rennen sein zu dürfen, wenn er im Sturm wie ein Tennisball in der Waschmaschine umhergeschleudert wurde und sein Körper von blauen Flecken übersät war.
Mit seiner Leidenschaft nahm Jingkun Xu die Fans mit um die Welt, teilte seine Freude über das Spiel von Delfinen, fantastische Sonnenuntergänge oder das einfache Glück des Seins auf See. Auch er musste sich immer wieder mit technischen Problemen auseinandersetzen. Ob elektronischer Defekt, ein ins Wasser gerauschter Spinnaker, gefährliche Mastaktionen oder die fordernde Reparatur seines Hooks – Jingkun Xu meisterte alle ihm entgegengeschleuderte Herausforderungen bis ins Ziel.
In Erinnerung bleiben in chinesischen Jubelgesängen am Dock von Port Olona an diesem Dienstag auch die menschlichen Höhepunkte seiner außergewöhnlichen Reise um die Welt: sein ganz persönliches chinesisches Neujahrsfest an Bord, Ravioli zum Jahr der Schlange, der selbstfabrizierte Haarschnitt zum Zeichen des Neuanfangs und viele Xu-Momente mehr.
Mit seinem Einhand-Solo hat Jingkun Xu eine starke Botschaft um die Welt getragen. Er zitiert oft und gerne Paulo Coelho: „Wenn du etwas willst, dann wird das Universum darauf hinwirken, das du es erreichen kannst.“ Mit seiner Geschichte hat der erste chinesische Vendée-Globe-Absolvent ein dickes Ausrufezeichen hinter diese Annahme gesetzt.
Das eigene Ziel, auf seinem Kurs vor allem die Jugend in der Heimat und anderswo zu XL-Träumen und der Umsetzung zu inspirieren, hat er mehr als erreicht. Jingkun Xus Geschichte ist die eines Mannes, der nie aufgehört hat, an das scheinbar Unmögliche zu glauben. In den Worten eines seiner Millionen Fans: “Bravo, Jingkun! Das war ein mutiges und sehr emotionales Rennen!”
Schon sein 2021 veröffentlichtes Buch “Bescheidener Träumer” hatte die außerordentliche Geschichte des Jungen mit Handicap aus einem kleinen chinesischen Bergdorf beleuchtet und vor allem junge Menschen in seiner Heimat begeistert. Man darf gespannt sein, wie seine Reise weitergeht. Und hier geht es zum Race Tracker, denn es sind mit Manuel Cousin, Fabrice Amedeo und Denis Van Weynberg immer noch drei Vendée-Globe-Skipper auf See.
REPLAY! Hier geht es zur Übertragung von Jingkun Xus Jubelankunft in Les Sables-d’Olonne: