Während viele Fans von Boris Herrmann nach 81 Tagen mit dem Entzug ihrer täglichen Vendée-Globe-Routinen ringen und der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper sich nach dem Sturmfinale Schritt für Schritt im Kreis seiner Familie und seines Teams entschleunigt, tobt das Rennen um die Welt draußen auf See weiter.
Als Vierzehnter wird voraussichtlich am Sonntag Romain Attanasio (”Best Western - Fortinet”) mit Boris Herrmanns ersten Vendée-Globe-Boot im Ziel erwartet. Davor wird an diesem Freitagnachmittag der Vendée-Globe-Zehnte Benjamin Dutreux zur Jubelparade in Port Olona erwartet. Wie die Vendée-Globe-Elfte Clarisse Crémer, hatte auch Dutreux nach seinem stürmischen Zieleinlauf zunächst La Rochelle anlaufen müssen. Der in Les Sables-d’Olonne lebende Skipper wird ab 17 Uhr erwartet.
Viele Augen waren aber am Freitag auch in die atlantische Ferne auf Arnaud Boissières gerichtet. Der Mann, der als einziger Skipper der aktuellen Flotte vier Vendée Globes in Folge ins Ziel gebracht hatte, hat am 30. Januar seinen Mast verloren. Der ersten Frustration ließ er Kreativität und Tatkraft folgen. Inzwischen hat er einen orangefarbenen sogenannten Liberty Kite gesetzt. Den hat einst Vendée-Globe-Legende Yves Parlier für genau diesen Fall entwickelt: als Antrieb für eine Imoca ohne Mast.
Der schwer getroffene Arnaud Boissières kann deswegen noch nicht wieder lachen, aber er kommt mit immerhin drei, vier Knoten voran. Der “La Mie Câline”-Skipper segelte am Freitag nach Westen, hat Kurs auf die Antillen genommen. “Ich werde versuchen, die Antillen so gut wie möglich vor dem Wind zu erreichen”, sagte Boissières.
Sein erstes längeres Statement war zuvor traurig zu lesen: “Heute Abend bin ich sehr enttäuscht, es ist so schade. Natürlich habe ich schon bessere Tage erlebt, bin in letzter Zeit nicht verschont worden. Heute Abend tut es mir leid um mein Boot, um die ganze Arbeit, die wir mit dem Team geleistet haben. Im Bruchteil einer Sekunde... Wir werden sehen, wie es weitergeht. Ich weiß nicht wie.”
Arnaud Boissières bedankte sich für viele aufmunternde Nachrichten, die ihn erreicht haben, schrieb: “Es tut mir leid für Les Sables d'Olonne, ich werde nicht wie geplant zurückkommen. Ich werde nicht zurückkommen, um die Kanalfahrt zu feiern. Ich mache Platz für andere, Bravo an andere... Ich werde essen, ich werde weinen, und dann werde ich den Rest anders sehen."
Auch aus der Flotte kam viel Mitgefühl und Aufmunterung für “Cali”, wie sie den 52-jährigen nennen, der sein Camp in Les Sables-d’Olonne hat. Romain Attanasio schrieb: “Wir sind alle traurig für Cali. Mich hat das heute sehr traurig gemacht. Ich bin dem Ziel schon sehr nahe, segle aber wegen dieser Geschichte mit dem Mastbruch sehr ruhig.”
Umkämpfter geht es 400 Seemeilen hinter Romain Attanasio zur Sache: Da liegen nach wie vor acht Skipper nördlich der Azoren sehr eng beeinander. Nicht mehr ganz so eng wie zuletzt, als nur 40 Seemeilen sie trennten. Doch immer noch sieht es auf dem Tracker-Bild aus wie eine Vendée-Globe-Party mitten im Atlantik. Dabei sorgen Platzierungswechsel für anhaltende Spannung.
Am Vormittag hatte Paralympics-Gewinner und “Apicil”-Skipper Damien Seguin die Führung des Vendée-Globe-Achters übernommen, sich über Nacht fast 30 Seemeilen von Benjamin Ferré auf “Monnyeur – Duo for a Job” absetzen können.
Es folgten der Schweizer Alan Roura (”Hublot”), Tanguy Le Tuquais (”Lazare”), die Deutsch-Französin Isabelle Joschke (”Macsf”), Altmeister Jean Le Cam (”Tout commence en Finistère - Armor-lux”), der Italiener Carlo Pedote (”Prysmian”) und Conrad “The Crazy Kiwi” Colman (”MS Amlin”). Inzwischen lagen am Freitagmittag 176 Seemeilen zwischen ihren Plätzen 15 und 22.
An Land haben sich inzwischen die Ankunftswogen nach den Willkommensfeiern für Boris Herrmann und Samantha Davies beruhigt. Die Schlagzeilen in den deutschsprachigen Medien geben das Echo aber noch wider: “Großartiger Empfang – Herrmanns triumphale Hafeneinfahrt” schrieb der NDR. Der Spiegel warf einen anderen Blick auf Boris Herrmanns Rennen, titelte: “Wie die Vendée Globe für Boris Herrmann zum enttäuschenden Abenteuer wurde”.
Die FAZ zitiert den Skipper in der Headline: “Bin froh, dass dieser Kampf vorbei ist”. Die Sueddeutsche Zeitung blickt wie viele andere mit Boris Herrmann in die Zukunft: “Er will unbedingt noch mal antreten”. So berichtet auch das heimische Hamburger Abendblatt über den Sportstar Hamburgs: “Nach Zieleinlauf: Boris Herrmann plant schon nächstes Rennen”.
Boris Herrmann selbst war am Freitag – noch etwas müde von der Party am Vorabend mit Team Malizia und Sam Davies’ Team Initiatives - Cœur – zu Gast in der Nachmittagssendung Vendée Live!. Im Gespräch mit Moderator Andi Robertson fasste Boris Herrmann noch einmal zusammen: “Das Ergebnis liegt weit hinter unseren Erwartungen zurück, aber davon abgesehen war ich positiv überrascht von meinem Gemütszustand. Ich war glücklich da draußen, hätte noch länger bleiben können.”
Auf die Frage, ob sein nächstes Boot für die Vendée Globe eine Weiterentwicklung des jetzigen werden würde, sagte Boris Herrmann: “Ja, ich möchte noch mehr Aussicht, mehr Szenerie, um noch mehr mit dem Ozean verbunden zu sein.” Insgesamt will Boris Herrmann mit seinem Team an einem Boot arbeiten, das “schneller, leichter, stärker, besser” ist, sagte er lächelnd auf die Frage nach den künftigen Entwicklungszielen.
Team Malizias Direktorin Holly Cova bestätigte eine starke finanzielle Plattform der Kampagne um Skipper Boris Herrmann auf Kurs Zukunft. Das mediale Echo, so Cova, habe sich bei dieser Vendée Globe noch einmal gesteigert. Eine große sportliche Herausforderung für Boris Herrmann und Team Malizia rückt mit dem Startschuss zum Ocean Race Europe am 10. August in Kiel jetzt schnell näher.
Darüber hinaus bestätigte Boris Herrmann ehrgeizige Pläne seines Teams, das auch viele Ideen von Pierre Casiraghi umsetzt, der Boris Herrmann vor neun Jahren am 15. Februar 2016 angerufen hatte und ihn bat, nach Monaco zu kommen. 2016 wurde das Gründungsjahr von Team Malizia. “Er sagte mir: ‘Wir starten Team Malizia. Du kümmerst Dich um alles.’”, erinnerte sich Boris Herrmann im Studiogespräch mit Andi Robertson an den Startschuss des Teams.
Pierre Casiraghi bleibt ein starker Ideengeber. Boris Herrmann sagte: “Viele Dinge, die wir tun, sind Ideen von Pierre Casiraghi. Wir haben eine starke Verbindung, eine starke Freundschaft mit Monaco.” Die Pläne für die kommenden Zeit sind groß und sehr vielfältig. “Bei uns passiert gerade so viel”, erklärte Boris Herrmann in der Sendung.
“Wir werden zwei Boote im Team zu managen haben: das aktuelle Boot und das neue Boot. Wir werden unseren Hangar weiterentwickeln. Wir werden ein Expeditionssegelschiff haben, das wir gerade überholen und mit dem wir für die Meeresforschung arbeiten wollen. Wir arbeiten weiter eng mit Monaco zusammen, werden im Sommer da sein.” Team Malizias XXL-Regattapläne für dieses Jahr beinhalten neben dem Ocean Race Europe das Round England and Ireland Race und das Transat Jacques Vabre. “Wir könnten kaum mehr tun”, sagte Boris Herrmann.
Hier leidet man auch ohne Französisch-Kenntnisse mit! Arnaud Boissières kurz nach seinem Mastbruch im Atlantik:
Und hier die Antwort von Arnaud Boissières, die er etwas später fand – den Liberty Kite: