Vendée GlobeMitfavorit Boris Herrmann im Interview – “Es gehört auch Glück dazu”

Jochen Rieker

 · 10.07.2024

Fulminantes Finish: Boris brettert mit 30 Knoten auf das Ziel vor Les Sables zu – so schnell, dass in der See kein Begleitboot mithält
Foto: Jean-Louis Carli / Alea PR Newyork VEndee
Boris Herrmann zeigte sich bei den jüngsten Transatlantik-Regatten in Bestform. Ein Gespräch über sein mutiges Solo im Norden und den von ihm ungeliebten Status eines Vendée-Globe-Favoriten

Der beste Hochsee-Profi Deutschlands ist er schon lange. Aber noch nie hat er sich so stark präsentiert wie zuletzt beim Transat CIC und der Rückregatta New York Vendée. Beide beendete der Hamburger auf dem zweiten Platz und ließ dabei viele Topfavoriten in seinem Kielwasser.

Beim letzten großen Rennen vor der im November startenden Vendée Globe beeindruckte Boris Herrmann Konkurrenten, Fachleute wie Fans durch Konsequenz und Mut. Statt dem Führenden Charlie Dalin zu folgen, segelte der 43-Jährige bis nahe an Grönland, fern des Verfolgerfeldes – und lag über weite Strecken vorn.

Was kaum jemand wusste: Boris’ Start bei der New York Vendée war keineswegs sicher. Kurz nach seiner Ankunft in Brooklyn hatte Anfang Mai der Blitz eingeschlagen und weite Teile der Elektronik unbrauchbar gemacht. Als er in See ging, standen ihm nicht alle Systeme und Navigationsdaten zur Verfügung. Das macht den Erfolg des „Malizia – Seaexplorer“-Skippers noch bemerkenswerter. Wie er selbst seine Leistung einordnet und warum er sich inzwischen wohlfühlt auf seinem Boot, verriet er der YACHT.


Boris, wie ordnest du den zweiten Platz bei der New York Vendée ein – und die Tatsache, dass du in der Gesamtwertung beider Transats in diesem Jahr bester Skipper warst?

Ich würde das nicht überbewerten. Diese ungewöhnliche Wetterlage hat zu einem sehr großen Abstand zur Flotte geführt. Es hätte sich bei den üblichen Bedingungen auch eine ganz andere Konstellation ergeben können. Sicher war es ein sehr gutes Training, in vielerlei Hinsicht – auch mal alleine eine Strategie durchzuziehen. Die Regatta war gut für mein Selbstbewusstsein und die Zuversicht in das Boot. Wir können jetzt in Ruhe weiterarbeiten bis zur Vendée Globe.

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Du klingst fast verhalten. Die öffentliche Wahrnehmung war deutlich positiver, geradezu euphorisch. Die Veranstalter haben dir sogar einen neuen Spitznamen verpasst : „The Herrmannator“!

Ich denke, dass wir bisher etwas unterschätzt wurden. Wir waren ja schon bei The Ocean Race nie weit weg von der Spitze, manchmal nur ein paar Minuten; da fehlte nicht viel. Und in manchen Momenten waren wir überlegen. Das fiel manchen vielleicht schwer, anzuerkennen. Von daher ist es jetzt eine späte Erkenntnis, für uns aber gar nicht so überraschend. Platz 3 bei The Ocean Race war meiner Meinung nach nicht ganz repräsentativ für unser Leistungsvermögen. Wir waren in bestimmten Bedingungen stärker als alle anderen und insgesamt auf Augenhöhe.

Lässt dich die Begeisterung deshalb jetzt eher unberührt?

Ja, genau. Dennoch ist die Anerkennung natürlich total wichtig, weil sie eine Wertschätzung für die Arbeit des gesamten Teams bedeutet. Wir sind eine der größten Mannschaften, haben uns mit am längsten vorbereitet. Dass die Anstrengungen jetzt Früchte tragen, ist schön. Ich freue mich dennoch nicht zu doll. Denn ein Vendée-Sieg ist etwas, das ich nicht erwarten kann. Es gehört ja einfach auch ein bisschen Glück dazu. Aber ich bin dennoch froh und empfinde es auch für das Team als verdient.

Ihr habt eine ziemlich beeindruckende Entwicklung hingekriegt in den vergangenen zwei Jahren, die ja nicht nur einfach waren ...

Wir sind das einzige Team mit einem Neubau, das in derselben Konstellation kontinuierlich alle Qualifikationsregatten inklusive The Ocean Race gesegelt ist. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, uns permanent zu verbessern.

Wie wichtig ist das im Hinblick auf die Vendée Globe und deine Wettbewerber?

Tja, wo stehen wir da? Ich habe den Eindruck, dass Yoann Richomme mit „Paprec Arkéa“ ähnlich gut dasteht wie wir. Er hat vier Transats gesegelt (und zwei davon gewonnen, die Red.). Sam Davies hat ihr Schiff auch sehr zuverlässig hinbekommen, ebenso Justine Mettraux. Da sind wir auf einem Level. Sam Goodchild wird wahrscheinlich auch wenig Schwierigkeiten haben, trotz seines Mastbruchs bei der New York Vendée, weil er auf einem bewährten Schiff segelt (der ehemaligen „LinkedOut“ von Thomas Ruyant). Insofern haben wir jetzt keinen großen Vorteil. Aber es ist ja eine Kombination: Man muss das Boot gut kennen, muss sich auf dem Boot wohlfühlen, darf nicht so viel Stress haben. Da kommt einiges zusammen. Und da hilft mir sicher die Erfahrung im Southern Ocean, die ich voriges Jahr sammeln konnte. Wenn wir jetzt eine gute Vendée segeln, wär’s die beste Werbung fürs Ocean Race. Dann käme die Imoca-Klasse noch deutlicher über den Horizont der Glénans-Inseln hinaus.

Mit dem eigenen Boot im Südmeer gesegelt zu sein, diesen Vorteil haben nur zwei Skipper: du und Paul Meilhat.

Das stimmt. Wir sind zwar nicht die einzigen, die am Ocean Race teilgenommen haben, aber wir haben sicher das größte Plus – ich sogar noch mehr als Paul, weil der voriges Jahr viele strukturelle Probleme hatte und jetzt neue, ganz andere Foils bekommt, die er noch nicht kennt. Außer uns sind da noch Sam Davies, die bei Paul an Bord war, nicht auf ihrer „Initiatives Cœur“, Nico Lunven war bei uns auf „Malizia“ dabei; er kennt „Holcim PRB“ nicht im Southern Ocean. Und Justine Mettraux war bei „11th Hour Racing“ an Bord. Es sind nur wir fünf.

Franck Cammas sagte neulich, das Ocean Race werde bald eine Bedingung werden, um bei der Vendée zu performen – also mit dem gleichen Boot beide Rennen zu bestreiten. Das hat mich gefreut, denn das ist genau unser Ansatz.

Dennoch siehst du dich nicht als Favorit für einen Sieg. Du hast diese Rolle sogar weit von dir gewiesen. Warum? Du zählst ja jetzt zu den Top 5.

Mag sein, aber ich messe dem keine große Bedeutung bei. Das ändert nicht die Art, wie ich segle oder welche Erfolgschancen ich mir ausrechne. Bei der Vendée Globe ist das Risiko einer Enttäuschung besonders hoch. Bei keiner Regatta ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass etwas kaputtgeht, sodass man nicht mehr wirklich mitfahren kann und froh sein muss, überhaupt ins Ziel zu kommen. Das an sich wär ja schon toll.

Wenn man nur den reinen Wettbewerbsaspekt heranzieht, bin ich sicher gut aufgestellt. Allerdings bietet der Atlantik den Schiffen, die ein bisschen weniger gut im Seegang funktionieren, auch Chancen, sich früh abzusetzen – diese Flachwasser-Renner wie Sam Goodchilds „Vulnerable“ oder „Macif“ und „Charal“ oder „Groupe Dubreuil“ von Seb Simon. Da müssen wir mal sehen, wie sich das insgesamt auf die Ergebnisse der Vendée Globe auswirkt. Wenn wir im Atlantik viel Druck haben, also von Beginn an, und später voll etablierten Passat, dann kann ich gut mithalten. Bei einer fetten Sturmfront in der Biskaya kann ich sogar gleich ganz vorn mitspielen. Das hab ich auch jetzt gesehen, bei der New York Vendée, wo es extreme Böen gab. Da war ich teils direkt neben den anderen und einfach schneller. Das haben wir bei den Trainings sonst eigentlich nie erlebt. „Malizia“ ist da viel handiger, toleranter. Die anderen Boote erfordern eine genauere Einhaltung von Trimm, Foil-Anstellung und Krängung.

Gemessen an der Route du Rhum 2022 hast du dich extrem gesteigert. Damals hattest du von Beginn an technische Probleme, wurdest am Ende 24. Jetzt warst du zwei Mal in Folge Zweiter. Worauf führst du das zurück?

Es ist einfach ein mechanischer Sport. Das Boot muss funktionieren. Das hat man ja bei Yannick Bestaven gesehen, der 2021 die Vendée gewonnen hat und jetzt nur Probleme hatte. Der hat am Ende ’ne Überführung gesegelt. Das ist dann so. Deshalb kann man das kaum in eine Reihe stellen. Vor zweieinhalb Jahren haben wir versucht, ein Rennen zu segeln, obwohl wir wussten, dass es sehr früh ist. Das würde ich nächstes Mal vielleicht anders machen. Wir hatten dadurch aber die Gelegenheit, den Foilschaden gerade noch rechtzeitig vor dem Ocean Race zu entdecken. Von daher haben wir’s nicht bereut. Aber es war für mich mental sehr schwierig, weil ich wusste, ich darf keinen kapitalen Schaden haben, sonst gefährde ich die Teilnahme am Ocean Race.

“An einem Sonntag in Les Sables einzulaufen, vor so viel Publikum, ist bewegend. Das freut mich auch fürs Team und unsere Partner”

Welche Bedeutung hat die Kontinuität und der Zusammenhalt im Team?

Das Team ist der wichtigste Erfolgsfaktor. Das hat man beim Zwischenstopp in New York gesehen, als wir kurz nach der Zielankunft einen Blitzeinschlag hatten. Das Boot wieder hinzubekommen, war ein großer Kraftakt und beweist die Bedeutung der Mannschaft.

Wir sind ja in der Neubauphase stark gewachsen, hatten ein sehr junges Team aufgebaut, das erst zusammenfinden musste.

Über den Blitzeinschlag habt ihr nicht sehr viel kommuniziert. Welche Schäden hat er verursacht?

Wir hatten uns eigentlich auf einen entspannten Zwischenstopp in New York gefreut, weil es nach dem Transat CIC wenig zu tun gab. Kaum war unser Debriefing vorbei, haben die Techniker das Boot von Brooklyn in die Marina überführt, wo die Imocas die nächsten Wochen bis zur Rück-Regatta lagen. Und dabei ist es passiert. Es war kein Totalschaden, bei dem der ganze Mast gegrillt wurde, aber es ging so viel Saft durchs Rigg, dass die Elektronik abgeraucht ist: Platinen sind verkohlt, viele Sensoren waren unbrauchbar. Erst dachten wir: „Okay, müssen wir halt die Windgeber und ein paar Kabel austauschen“. Aber es war am Ende fast die halbe Elektronik. Und ich hatte für die Rückfahrt auch nicht alle Systeme zur Verfügung. Das Team musste die ganze Zeit fast rund um die Uhr arbeiten. Einige Teile wie die Lastsensoren fürs Rigg mussten wir zum Beispiel in England neu kalibrieren lassen. Das war schon ein Riesenaufwand! Wir waren erst einen Tag vor dem Restart soweit fertig, dass alle wichtigen Funktionen wieder da waren.

Konntest du dann überhaupt voll segeln?

Das ging. Ich hatte die Lastsensorik im Rigg, das war mir wichtig. Aber die Infrarotkamera im Masttop ging nicht, bestimmte Alarme funktionierten nicht, der Speedo war defekt, sodass mir im Golfstrom die Geschwindigkeit durchs Wasser fehlte.

Umso beeindruckender erscheint dein zweiter Platz. Lief das Rennen ansonsten weitgehend glatt?

Ich hatte nur einen großen Wipe-out, gleich in der ersten Nacht. Da hatte ich nur das Leeruder im Wasser, und in einer Gewitterbö ist das Boot quasi in die Luft gesprungen, nach hinten abgeschmiert, mit back stehendem Code Zero. Ich musste dann erst mal halsen, das Boot in Fahrt und unter Kontrolle bringen. Das war eine ziemliche Action. Als ich wieder auf Kurs war, hatte ich neun Meilen auf die Führenden verloren, weil die mit 30 Knoten davongerauscht sind.

Auf viele Beobachter wirktest du vom Start weg sehr entschlossen, fokussiert. Bist du mit einer anderen Einstellung angetreten?

Eigentlich nicht. Ich bin bei vielen Regatten so gestartet, eigentlich versuche ich das immer. Aber manchmal passiert dann halt was, wie bei der Hin-Regatta, als ich anfangs Computerprobleme hatte und ins Hintertreffen geriet. Ich war nie abgeschlagen, an den Glénans-Inseln war ich sogar Zweiter und voll im Match.

Aber dann kam eine Flautenzone, die ich nicht so gut erwischt habe – wahrscheinlich, weil ich abgelenkt war durch den Computer, der nicht richtig lief, und weil ich ein paar Programme neu installieren musste.

Die Entscheidung bei der New York Vendée fiel schon kurz nach dem Start, als Charlie Dalin und du durch den Trog kamt und das Feld hängenblieb. Eigentlich irre, oder?

So ’ne Wetterkonstellation haben wir noch nie gesehen! Dass der Atlantik für Wochen blockiert ist, finde ich wirklich verrückt. Vielleicht verändern sich durch den Klimawandel auch die Wettermuster.

Charlie schien selbst verblüfft, wie aus fünf Seemeilen Vorsprung binnen kurzem 500 Meilen werden konnten, am Ende fast 1000. Wie habt ihr es geschafft, so knapp zu entkommen?

Dass es super eng ist, wussten wir. Da muss man dann einfach mit aller Kraft und Konzentration versuchen, durchzuschlüpfen. Als Charlie gehalst hat, war er vielleicht vier Meilen vor mir. Er hat den richtigen Moment erwischt und war plötzlich weg, während wir noch ein bisschen rumdümpelten. Dann bekamen auch wir Wind, aber anders als Charlie bin ich von der Front noch mal eingeholt worden und komplett zum Stehen gekommen. Da hatte ich Schiss. Als der Wind wiederkam, bin ich instinktiv im rechten Winkel weg von der Front, so schnell wie möglich. Da habe ich Nordost gehalten, und er mehr Ostsüdost, ich mit 24 Knoten, er mit 18. Ich kam also schneller voran. Meine Taktik war zwölf Stunden lang viel risikobewusster, auch wenn es später anders kommentiert wurde. Als ich am nächsten Mittag dann 100 Seemeilen nördlicher stand, gab’s gar keine andere Option mehr, als meinen Weg fortzusetzen, zumal die Routings dafür sprachen.

Klar hätte ich auch wenden und Charlie mit Abstand hinterhersegeln können. Aber das war wenig aussichtsreich, zumal die Verfolger im Süden auch hätten vorbeifahren können. Dass die zwei, drei Tage gar nicht durch die Front kommen würden, konnte man in keinem Wettermodell sehen. Die Routings sind oft viel zu optimistisch!

Wie ging’s dir in dem Moment?

Es war sehr eigenartig, eine so binäre Entscheidung treffen zu müssen.

Für die Fans war’s spannend.

Das dachte ich mir. Und ich hab auch viel gelernt da oben im Norden. Zum Beispiel bin ich in all den Jahren noch nie solo den großen Spi gefahren. Das zu testen und die Übergänge zwischen den Raumwindsegeln besser zu erfassen, war ganz viel wert.

Freust du dich auf die Vendée?

Ja. Jaa!!!


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