Tatjana Pokorny
· 02.12.2024
Es war am 23. Renntag der auf Platz drei liegende “Paprec Arkéa”-Dynamo Yoann Richomme, der das aktuelle Bild an der Spitze der Vendée-Globe-Flotte so treffend beschrieb: “Das Niveau ist ziemlich ähnlich wie bei den bisherigen Rennen. Wir haben Seb Simon, der sich in letzter Zeit wirklich gesteigert hat – er ist der große Fortschritt. Ansonsten sind es die üblichen Verdächtigen. Der große Fehlende ist Boris. Ansonsten ist das Niveau so, wie ich es erwartet habe.“
Bei rund 1300 Seemeilen Rückstand auf Spitzenreiter Charlie Dalin kreuzte Boris Herrmann am Nachmittag des 2. Dezember den Längengrad des Kaps der Guten Hoffnung. Das erste der drei großen Kaps ist erreicht. Doch der Preis war für Boris Herrmann sehr viel höher als erhofft und gedacht. Zu Beginn der vierten Rennwoche sind ihm die Powerplayer, mit denen der Hamburger sich an der Spitze messen wollte, um mehrere Tage voraus.
Die Top-Boote, zu denen der “Malizia – Seaexplorer” nach zwei zweiten Plätzen bei den Transat-Rennen im Frühjahr von Mitbewerbern, Experten und Fans gezählt wurde, sind weit enteilt. Im Südmeer will Boris Herrmann nun seine Aufholjagd starten.
Flautenfehltritte und gehöriges Pech in Form schwarzer Wolken vor zwei Wochen bei der Äquator-Passage hatten den 43-Jährige in der Folge nicht mehr rankommen lassen an die Pacemaker vorne, die bald in einem anderen Wetterfenster ganz andere Geschwindigkeiten erreichen konnten. Auch im atlantischen Endspurt mussten sich Boris Herrmann und die in seiner Nähe segelnde Gruppe noch einmal durch Windarmut quälen, während die führenden Boote davongaloppierten.
Jetzt werden die Karten vielleicht neu gemischt. Auch Boris Herrmann hat den Indischen Ozean erreicht. Das Kap der Guten Hoffnung hatte er etwa 340 Seemeilen südlich beim 40. Breitengrad Süd passiert. 22 Tage, 2 Stunden und 31 Minuten nach dem Start war das erste der drei großen Kaps entlang des Vendée-Globe-Kurses geschafft, dessen Längengrad “Malizia – Seaexplorer” am Montagnachmittag um 15.33 Uhr deutscher Zeit als Zwölfter erreichte.
Die harte Erkenntnis zum Vergleich: Spitzenreiter Charlie Dalin war schon knapp drei Tage vorher da. Und gleich danach auch die weiteren Mitglieder der Führungsgruppe. Das ist kein Rückstand, der sich kurzfristig aufholen lässt. Boris Herrmanns eigene Routings sagten ihm zuletzt, dass er Kap Hoorn am 30. Dezember oder 1. Januar erreichen könnte. Bei dann womöglich noch 700 Seemeilen Rückstand – eine langfristige Aussicht, die sich noch vielfach ändern kann.
Aktuell war sich Boris Herrmann am Nachmittag des 2. Dezember noch nicht sicher, wie es in den kommenden Tagen weitergehen wird. Das berichtete er Vendée-Globe-TV-Moderatorin und Weltumseglerin Dee Caffari: “Es gibt für mich zwischen 100 und 90 Prozent komplett verschiedene Szenarien. Wenn ich schnell bei 100 Prozent nach Osten weiterfahren kann, dann dann werde ich angenehm vorankommen. Wenn ich langsamer bin, werde ich vielleicht in merkwürdiger Positionierung zum nahenden Tief enden, vielleicht sogar ein wenig am Wind.”
Der Indische Ozean ist immer der ungeliebte bei den Seglern, weil die See oft viel konfuser ist als im Pazifik.” Boris Herrmann
Als Boris Herrmann das sagte, segelte er bereits in Winden zwischen 26 und 29 Knoten im aufgewühlten Agulhasstrom. Er war mit kleinem Gennaker und einem Reff im Groß unterwegs, sagte: “Ich muss möglicherweise nochmal weiter reffen und das Vorsegel wechseln, wenn der Wind heute Nacht weiter zunimmt. Der Indische Ozean wird sicher sehr herausfordernd. Es sieht nach viel Wind aus. Ich bin froh, wenn wir im Pazifik sind.”
Weiter sagte Boris Herrmann: “Kap Hoorn ist mein großes Ziel. Ich habe mir vorgenommen, am 1. Januar spätestens Kap Hoorn zu runden. Dieser gesamte Dezember, das ist mein Südmonat. Das ist die Southern-Ocean-Passage. Albatrosse habe ich schon gesehen. Es ist noch recht warm, vor allem hier im Strom. Es gibt auch noch Sonne zwischendurch.”
Andererseits bekommt Boris Herrmann die ersten Southern-Ocean-Krallen schon zu spüren: “Es herrscht auch unsteter Wind, sehr harsche Bedingungen, Schauerböen. Es ist insgesamt sehr schwierig zu segeln. Das Boot bockt etwas in der See. Auch mit unserem seegängigen Boot gibt es hier kleine Nose-Dives und viel Wasser über Deck. Es ist sehr ruckelig im Boot. Man wird hin- und hergeschleudert. Es sind harte Bedingungen im Moment. Wenn es noch sehr zunimmt, müssen wir ein bisschen vom Gas gehen und hier einfach safe durchfahren.”
Schon die kommenden Tage werden ihm, seinem Umfeld, aber auch der führenden Gruppe sehr schwere Aufgaben stellen. Die aktuellen Top-Akteure treffen voraussichtlich am Mittwoch im Indischen Ozean auf ein großes Tief. Für die Begegnung wappneten und positionierten sie sich bereits.
Am Mittwoch und Donnerstag sind für die führenden Imocas Winde mit Böen von mehr als 50 Knoten und eine unruhige See vorhergesagt. Geprüft und gewählt werden aktuell vor allem Ausweichmöglichkeiten. „Es ist alles ein bisschen kompliziert. Unser Ziel ist es, uns so gut wie möglich zu positionieren, um dieses Tiefdruckgebiet, das auf uns zukommt, zu überstehen und uns in verhandelbare Winde zu bringen“, erklärte Titelverteidiger Yannick Bestaven (”Maître CoQ V”), der am Montagnachmittag auf Platz sieben vorgerückt war.
Noch am Vortag hatte es für die Solisten unterschiedliche Ausweichoptionen gegeben. Doch die gab es am Montag nicht mehr. “Es gibt keine Passage mehr über den Süden”, mahnte Bestaven. Bestätigt wurde seine Einschätzung von Vendée-Globe-Wetterberater Christian Dumard: “Alle Solisten werden logischerweise nördlich des Systems passieren. Würden sie in niedrigeren Breitengraden segeln, würden sie viel länger in dem System leiden, aber auch mit mehr Wind und mehr Seegang konfrontiert werden.”
Die längere Route nach Norden ist nicht die ideale, wird die Segler aber voraussichtlich vor Böen von 65 Knoten und zehn Meter hohen Wellen bewahren. Sie verlängert ihren Kurs um bis zu 500 Seemeilen und führt sie nördlich am Kerguelen-Archipel vorbei. Das Führungstrio Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance), Yoann Richomme (”Paprec Arkéa”) und Sébastien Simon (”Groupe Dubreuil”) könnte jedoch vom Tief getroffen zu werden, da es sich auf ihrem Weg nach Osten immer weiter ausdehnt und sie kaum andere Möglichkeiten haben, wie es aus dem Vendée-Globe-Hauptquartier hieß.
Hinter den Top-Drei hatten und haben Thomas Ruyant (”Vulnerable”), Jérémie Beyou (”Charal”), Nicolas Lunven (”Holcim - PRB”), Sam Goodchild (”Vulnerable”) und Yannick Bestaven noch die Möglichkeit, nach Norden zu segeln. Sie nutzen sie, wie aktuelle Bilder des Trackers zeigten. Man konnte die Boote fast wie bei einer Flucht nach Norden streben sehen.
„Wir werden immer noch 40-45 Knoten bekommen, was stark ist, aber letztendlich ein bisschen wie das übliche starke Zeug im Süden“, fasste Yannick Bestaven das Szenario zusammen. Er bereitet sich so gut wie möglich auf das erste ‚heiße Eisen‘ dieser Vendée Globe vor, sagte: „Heute ist der Tag der Bootsinspektion. Wir bereiten uns auf das schwere Wetter vor, um die entsprechenden kleineren Segel zu setzen.” Das Gleiche galt für seine Verfolger, die das System als erste erreichen wird.
Extreme Winde und schwere See voraus – hier erklärt Sam Goodchild, was auf die Vendée-Globe-Segler im Indischen Ozean zukommt und warum er Meilenverluste hinnimmt:
Hier zeigt ein Video von Justine Mettraux, wie nah sich die Schweizerin und der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper bis Montagmorgen immer wieder kamen: