Vendée GlobeMassenauflauf und Gänsehaut-Momente bei Boris‘ Farewell

Jochen Rieker

 · 10.11.2024

Farewell unter Freunden: Boris Herrmann gestern Abend  bei seiner Abschiedsfeier vor der Vendée Globe
Foto: YACHT/J. Rieker
Impressionen vom letzten Tag vor dem Start der Vendée Globe und von Boris Herrmanns Abschied
Heute geht’s los. Seit früh um 4 Uhr pilgern die Fans bereits zum Kanal, um die besten Plätze für die Auslauf-Parade der Vendée-Globe-Skipper zu ergattern – obwohl die Mole erst ab 5 Uhr freigegeben wird. Auch gestern strömten Zigtausende zum Race Village. Und bei Boris Herrmanns Abschied wurde es emotional.

Les Sables d´Olonne ist seit Wochen im Ausnahmezustand. Die Besucherzahlen brechen alle Rekorde. Gestern morgen, als noch Nebel über dem 48.000-Einwohner-Städtchen lag, zogen sich die Schlangen vor den Eingängen zum Race Village bereits über Hunderte Meter hin. Und auch abends um Acht herrschte noch reger Betrieb.

Wer in einem der Restaurants an der Nordseite des Port Olona zum Abendessen einkehren wollte, wurde bestenfalls mit einem entschuldigenden Lächeln abgespeist. Reservierungen sind schon seit Freitag aussichtslos, so groß ist die Aus- oder besser gesagt die Überlastung. Allein heute, zum Start, werden etwa 400.000 Besucher erwartet, die den Ort samt Handynetzen über den Rand jeder Kapazität bringen werden.

Mit bemerkenswerter Hingabe huldigen sie den Heroen, die aufbrechen, um zehn, elf Wochen später – hoffentlich! – wieder heil hier anzukommen, nach einer Runde um die Erde. Eine epische Bühne für „eines der letzten großen Abenteuer“ des Planeten, wie Boris Herrmann die Vendée Globe zurecht nennt.

Der Hamburger verabschiedete sich gestern am frühen Abend im „le Pierrot“ von seinem Team, seinen engsten Partnern und Begleitern. Das direkt an der Uferpromenade von Les Sables gelegene Restaurant ist eins von vielen. Mit der Ankunft des 43-jährigen, die erst von einem Raunen und später von lauten „Boris! Boris! Boris!“-Rufen begleitet wurde, mutierte die Kneipe zum Hot-Spot.

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Während zuvor die Menschen achtlos daran vorbei pilgerten, stauten sie sich plötzlich zu einer gigantischen Traube. Mehrere hundert zückten die Smartphones und verfolgten jede Bewegung des Mitfavoriten dieser Vendée Globe. Weit hinten reckten einige deutsche Fans ein Transparent in die Höhe; „Müritz-Segler grüßen Boris!“ Schon da kam erstmals Gänsehaut-Gefühl auf. Ein Segler als Sport-Superstar – nirgends wird das so sehr zelebriert wie hier an der französischen Atlantik-Küste.

Wenn er heute nach einem absehbar zähen Start in die Dämmerung entschwindet, plötzlich allein, wird Boris Herrmann von diesen Momenten zehren, sie wahrscheinlich zum ersten Mal halbwegs verarbeiten können. Ein größerer Kontrast zwischen Land und Meer, zwischen Ouvertüre und Rennen, zwischen Partylaune und Einsamkeit ist kaum vorstellbar.

Als er schließlich zum Mikrofon greift, holt er erstmal die 27 Mitglieder von Team Malizia nach vorn. Ihnen und den Sponsoren gilt sein Dank, ebenso wie Team-Gründer Pierre Casiraghi und Prinz Albert von Monaco, die unter den Gästen sind. „Zusammen blicken wir auf bald zehn Jahre gemeinsamer Unternehmungen zurück – von der Vendée Globe bis zum Malizia-Mangroven-Projekt. Und da kommen noch viele mehr“, verspricht er. „Ihr könnt heute alle stolze Malizianer sein, egal, was in den nächsten drei Monaten passiert.“

Er sei bereit für das Rennen, sagt Boris, mehr noch: „Ich bin heiß drauf, weil Ihr mir das bestmögliche Boot gebaut und vorbereitet habt.“ Es gebe da draußen auf See etwas, auf das er sich freue. Er könne es jetzt noch nicht richtig fassen. „Aber ich spüre es.“

Cole Brauer wird am ehesten geahnt haben, wovon der Malizia-Skipper sprach. Die 29-jährige, die bei der Global Solo Challenge voriges Jahr als Zweite ins Ziel kam und die erste Amerikanerin ist, die einhand nonstop um die Welt segelte, zählt seit kurzem zum Team. Sie wird gemeinsam mit Co-Skipper Will Harris und Teamchefin Holly Cova künftig einmal pro Woche Boris‘ Rennverlauf begleiten und kommentieren – und das von Bord ihrer Class 40.

In zwei Wochen startet sie in A Coruna. Boris wird dann zwar längst enteilt sein, wenn sie die Leinen löst, in ganz anderem Tempo, in anderen Bedingungen. Emotional aber dürfte Cole ihm am nächsten sein. Sie hat ihr Boot an eine Australierin verkauft und begleitet diese bei der Überführung nach Sydney. Kommenden Sommer wird man sie wohl mit Malizia beim Ocean Race Europe wiedersehen.

Auch andere Segler waren ins Pierrot gekommen: Boris‘ Vorschoter aus Jugendjahren, Julien Kleiner, etwa, und mit ihm 505er-Legende und Kieler-Woche-Seriensieger Wolfgang Hunger. Sie standen noch mit ihm beim Bier, als das Restaurant schon wieder umgebaut wurde für den regulären Betrieb. Ein Moment der Rückbesinnung vor dem, was von heute an kommt.

Auf die Frage, ob er Sonntag um 13:02 Uhr mit seinem früheren Steuermann tauschen würde, wenn der verhindert wäre und ihm seine „Malizia – Seaexplorer“ anvertrauen würde, sagte Julien ohne nachzudenken: „Nein, nie im Leben, auf keinen Fall!“

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