Manche nennen sie respektvoll „Justine la machine“, andere liebevoll „Juju“: Justine Mettraux ist die erfolgreichste Skipperin der 10. Vendée Globe und die beste nicht-französische Teilnehmern. Die Schweizerin zählte auch vor ihrem gelungenen Solosturm um die Welt schon zu den erfolgreichsten Powerplayerinnen im internationalen Segelsport. Zweimal hat sie das Ocean Race gewonnen, triumphierte erst mit Charles Caudreliers Dongfeng Race Team 2017/2018, dann mit Charlie Enrights jüngsten Siegern vom US-Team 11th Hour Racing.
Jetzt hat Justine Mettraux den höchsten Gipfel des Solosports in imposanter Weise erklommen. Nach 76 Tagen, 1 Stunde, 36 Minuten und 52 Sekunden gehört ihr der neue weibliche Vendée-Globe Rekord. Der bisherigen Bestmarke von Clarisse Crémer (87 Tage, 2 Stunden, 24 Minuten) hat Justine Mettraux etwas mehr als elf Tage abgenommen. Die Französin wiederum hatte vor vier Jahren die zwei Jahrzehnte bestehende Bestmarke von Englands Segelikone Ellen MacArthur (94 Tage, 4 Stunden) stark unterboten.
Clarisse Crémer kämpfte am Samstag noch auf See und blickte brutalen Biskaya-Sturmprognosen für ihr Finale am Sonntag entgegen, als “TeamWork - Team Snef”-Skipperin Justine Mettraux ins Ziel rauschte. Die Schweizerin hat die Vendée-Globe-Messlatte für Frauen nun in die Siebziger-Regionen hochgeschraubt – nur eine der herausragenden Leistungen bei ihrer Premiere.
Ich verbinde wunderschöne Momente mit dieser Vendée Globe. Am Ende ist mein Großsegel in einer Halse gerissen. Es war mein Fehler, aber das ist zum Gück erst in den letzten 24 Stunden passiert und hat mich nicht zu viel gekostet.” Justine Mettraux
Die 38 Jahre alte Genferin folgte auf ihrem Kurs ins Ziel knapp hinter Thomas Ruyant, einem der Top-Favoriten dieser zehnten Jubiläumsausgabe des Solorennens um die Welt. Sie hat ihre “nur” 28.101,6 Seemeilen über Grund im Heckwasser, die sie mit durchschnittlich 15,4 Knoten meisterte. Justine hat die Besten im Imoca-Leistungssport auf Augenhöhe gefordert. Wer eine Familie hat wie diese Ausnahmeskipperin, der kann nur nach oben wollen.
„Mein Vater hat uns alleine großgezogen und uns in allem vertraut“, erklärte sie einmal der Schweizer Revue das Fundament, auf dem sie wachsen und sich entfalten konnte. Die Schwestern Elodie (Ocean Race) und Laurane (SailGP) sowie die Brüder Bryan (America’s Cup) und Nelson (Motte, J/70) sind wie Justine Mettraux mit Regattasport auf dem Genfer See großgeworden.
Justine ist die Galionsfigur, die ihr Solo schnörkellos und kraftvoll bestritten und Rückschläge mit immer noch härterer Arbeit pariert hat. Die erste Schweizerin bei der Vendée Globe hat auch ihre Landsmänner Alan Roura und Oliver Heer hinter sich gelassen, die dem Ziel an diesem Samstag auf den Plätzen 20 und 30 noch entgegenstrebten.
Justine Mettraux war mit der sehr gut präparierten Ex-„Charal“ von Jérémie Beyou ins Rennen gegangen. Erst seit 2020 in der Imoca-Klasse aktiv, hatte sie sich auf dem VPLP-Design von 2018 schnell wohl gefühlt. Der bei CDK in Port-la-Forêt gebaute Foiler ist hinter dem Boot von Benjamin Dutreux (2015) das zweiälteste Boot in den Top Ten. Es hat sie stark um die Welt getragen. Begleitet von Familienfotos und einigen Meerjungfrauen, die ihr Freunde geschenkt hatten, spielte Justine Mettraux ihr Können gut aus.
Einen Teil ihres Rüstzeugs hat sich die Seglerin vom Alinghi-Club Société Nautique de Genève im Teenager-Alter im Regatta-Trainingszentrum von Genf angeeignet. Es folgte „Learning bei doing“ in Hochpotenz. Dabei war und ist Justine Mettraux kein Lautsprecher. Sie überzeugt mit ihrer Arbeit und ihrem Segelkönnen auf dem Wasser. Unter den sechs Frauen bei der aktuellen Vendée-Globe-Edition hatte sie unter dem Strich das beste Gesamtpaket zu bieten. Es war auch erfolgreicher als das von 29 Männern.
Nur 25 Minuten nach Justine Mettraux kam der Brite Sam Goodchild ins Ziel. Der “Vulnerable”-Skipper aus dem Rennstall TR Racing von Thomas Ruyant hatte das Rennen bei seiner Premiere in der Auftaktphase mehrfach angeführt. In Erinnerung bleibt auch das packende Duell, dass er sich mit dem Vendée-Globe-Vierten Jérémie Beyou in der Schlussphase geliefert hatte, bevor sein Großsegel in stürmischen Winden bei einer Crash-Halse explodierte.
Mit der Reparatur des in zwei Teile gerissenen Großsegels vollbrachte der immer optimistische und kämpferische Sam Goodchild eine vielfach bewunderte Meisterleistung in schwierigsten Bedingungen. Damit hat sich Sam Goodchild noch seinen mehr als verdienten Platz in den Top Ten gesichert. Seine Zeit: 76 Tage, 2 Stunden, 1 Minute und 45 Sekunden. Über Grund hat Goodchild 28.557,07 Seemeilen mit durchschnittlich 15,64 Knoten gemeistert.
REPLAY: Hier geht es zur Übertragung der Kanalparaden von Justine Mettraux und Sam Goodchild: