Tatjana Pokorny
· 05.02.2021
Der "Charal"-Skipper war als Co-Favorit ins Rennen gestartet, kam aber nach frühem Bruch und spätem Neustart erst als 13. ins Ziel. Mit einer Liebeserklärung…
Platz 13 stand nicht auf der Wunschliste, als Jérémie Beyou am 8. November mit seiner imposanten Imoca "Charal" in die 9. Vendée Globe gestartet war – der 44-Jährige wollte mehr, viel mehr. Er zählte neben dem später ausgeschiedenen "Hugo Boss"-Skipper Alex Thomson zu den Vorstart-Favoriten und hatte mindestens einen Podiumsplatz im Visier. Doch statt der erhofften Demonstration der Stärke hatte früher Bruch in Serie infolge einer Kollision Beyou zur baldigen Umkehr in den Start- und Zielhafen von Les Sables-d'Olonne gezwungen. Dass sich der Gestrauchelte dann gemeinsamen mit seiner Landmannschaft trotz aussichtslosem Rückstand zum erneuten Durchstart entschlossen hatte (9 Tage, 2 Stunden und 50 Minuten nach dem Feld), rechneten ihm nicht nur seine Sponsoren hoch an.
Unter diesen Umständen hat Beyou viel von seinem Rückstand gutmachen können und ein beeindruckendes Rennen bestritten, das den anfangs einsamen Jäger vor allem in der ersten Phase vor große Herausforderungen stellte. Im Ziel fehlte Jérémie Beyou beim Blick auf seine offizielle Gesamtsegelzeit von 89 Tagen, 18 Stunden, 55 Minuten und 58 Sekunden nicht viel zu einer neuen Bestzeit. Zieht man im Geiste seine oben genannte Verspätung ab – also die Zeit für das Zurücksegeln nach Les Sables und die Reperaturtage bis zum Neustart am 17. November um 17.10 Uhr –, ergibt sich für Beyou eine Netto-Segelzeit von 80 Tagen, 16 Stunden, 5 Minuten und 58 Sekunden. Auf diese theoretische Gesamtleistung bezogen, waren sechs Boote im Vergleich schneller.
Der Ex-Favorit hat es geschafft: Jérémie Beyou kam am Samstagmorgen als Dreizehnter ins Ziel der 9. Vendée Globe. Der ungewöhnliche Verlauf seines Rennens lässt ihn die Vendée Globe mit anderen Augen sehen…
Jérémie Beyou: "Ich bin stolz!"
Jérémie Beyou, der sich durch die ersten Wochen des Rennens hör- und sichtbar hatte beißen müssen, bevor er seine Regattafreude zusehends wiederfand, wirkte am Samstagmorgen (6. Februar) im Ziel entspannt, glücklich vereint mit seiner Familie und seinem Team und versöhnt mit der Vendée Globe, die ihn bei dieser Auflage so hart geprüft hat. "Für mich war es eine ganz neue, fabelhafte Erfahrung", sagte Beyou. "Man hat mich nach meinen schlimmsten Erinnerungen gefragt. Aber du erinnerst nur die guten Zeiten. Ich bin super stolz und super glücklich mit allem, durch das ich durchmusste. Es war psychologisch nicht einfach. Du bereitest dich auf etwas vor, das ein Lebenshöhepunkt sein soll. Dieses Mal mit 'Charal', mit diesem Team und mit diesem Boot dachte ich, dass meine Chance gekommen ist. Das kriegst du dann einfach nicht mehr aus dem Kopf. Die Gedanken bleiben und bewegen dich. Aber irgendwann haben die positiven Gedanken überwogen. Und dann steckst du mitten drin in der Geschichte und genießt nur den Augenblick. Es ist eine langandauernde Erfahrung, und du gehst durch alle für eine Vendée Globe typischen Zustände. Ich bin heute in einem sehr viel besseren Zustand, als ich es vor 80 Tagen beim Neustart war."
Die Aufholjagd als Motivation
Zum Rennverlauf berichtete Beyou: "Der Wiederanschluss an die Flotte war für mich sehr wichtig, weil ich mich zu Beginn des Rennens sehr isoliert gefühlt habe. Es ist schöner mit Gegnern, weil du sonst da draußen nur auf Rekordjagd bist, aber eben nicht an der Vendée Globe teilnimmst. Es war wichtig aufzuholen, weil das für zusätzliche Motivation sorgt. Aber das war gar nicht so leicht, denn die anderen segeln auch gut. Das sei einmal klargestellt: Wer an der Vendée Globe teilnimmt, sich dafür qualifiziert, der ist dabei, weil er gut zu segeln weiß. Wenn ich den Speed ein bisschen hochgetrieben habe, dann konntest du sehen, dass sie versucht haben, Widerstand zu leisten. Im Sport kann man nicht immer gewinnen, insbesondere nicht beim Segeln. Es war Yannick, der das Rennen in brillanter Weise gewonnen hat, aber es wird neue Chancen für mich geben. Ich musste neun Solitaires du Figaro bestreiten, um das Rennen zu gewinnen. Ich weiß nicht, wie viele Vendée Globes nötig sein werden. Aber das ist meine Geschichte."
Über den Ausgang des Rennens sagte Beyou: "Es gibt keine Regeln bei diesem Rennen. Wenn man sich die finale Podiumsbesetzung ansieht, dann hätten darauf – ohne, dass man jemanden zu nahe treten möchte – nicht sehr viele gewettet. Meiner Erfahrung nach bin ich keiner, der leicht aufgibt, bevor er sein Ziel erreicht hat. Wenn es also neun Auflagen dauert, werde ich wohl noch eine Weile dabei sein. Ich hoffe, dass ich bei der nächsten Edition dabei sein kann. Als es Zeit für mich war, wieder ins Rennen durchzustarten, hätte ich auch angepisst sein können, denn das Erlebte war nicht leicht zu managen. Aber ich bin da in Demut rausgegangen und habe Stolz darin gefunden, die täglichen kleinen Kämpfe zu führen. Wie etwa an dem Tag, als ich in den Mast klettern musste. Ich hasse das! Aber ich war stolz auf mich, als ich das geschafft hatte. Das alles hat dafür gesorgt, dass ich dieses Rennen jetzt noch mehr liebe. Und die kleine Frustration über die Platzierung trägt noch stärker dazu bei, dass ich beim nächsten Mal wieder dabei sein möchte."
Jérémie Beyou: "Mein Idol ist Michael Jordan"
"Bei früheren Vendée-Globe-Einsätzen habe ich kaum mit meinen Gegnern kommuniziert. Wenn du an der Spitze kämpfst, dann ist das auch eine psychologische Auseinandersetzung. Wenn du mit deinen Rivalen interagierst, könntest du deine Schwächen preisgeben. Also bevorzugst du es, deine Luken dichtzumachen. Aber wenn du hinterhersegelst, dann ist der Druck weniger groß. Ich wollte teilen, wollte ihre Sicht der Dinge sehen und ihr Tun verstehen. Mein Idol ist Michael Jordan: Der spielt, um zu gewinnen; oder er spielt eben nicht. Und nun habe ich entdeckt, dass man spielen kann, nicht um zu gewinnen, sondern um ein Projekt mit allen deinen Ideen und deinen Überzeugungen abzuschließen und dich selbst zufriedenzustellen. Alle diese Skipper treten dafür an. Vorher erschien es mir unangemessen, ohne Siegchancen an einem Rennen teilzunehmen. Aber genau das ist und bleibt eine großartige Herausforderung. Und sie bleiben großartige Skipper, die alles verdienen."
Jérémie Beyous Pläne für die kommenden Wochen? "Erstmal chillen mit der Familie! Ich will Zeit mit ihnen und meinem Hund verbringen und mich zu Hause ausruhen. Die Saison wird schnell wieder starten. Diese Erholungsphase sollte nicht unterschätzt werden, denn ein Rennen wie dieses erschöpft dich. Wenn ich mich dann erholt habe, werde ich nur einen Wunsch haben: die nächste Startlinie finden!"
Hier geht es zum Tracker und zu den Ergebnissen (bitte klicken!). Als nächster Skipper wird Samantha Davies Lebensgefährte Romain Attanasio ("Pure – Best Western Hotels and Resorts") noch heute in Les Sables-d'Olonne erwartet. Davies selbst war infolge einer Kollision ebenso ausgeschieden wie später die Deutsch-Französin Isabelle Joschke, die nun parallel zu Davies außerhalb der Wertung zurück in den Zielhafen Les Sables segelt.