Von außen ist kaum wahrnehmbar, dass hier überhaupt etwas anders ist. “Malizia - Seaexplorer” wirkt vertraut. Seit sie voriges Jahr bei The Ocean Race monatelang in den Medien war, hat ihre eigenwillige Linie mit dem hohen Freibord und dem langen Kajütaufbau jeden Exotenstatus verloren. Mit zwei zweiten Plätzen bei den diesjährigen Transatlantik-Regatten untermauerte das VPLP-Design zuletzt eindrucksvoll seinen Platz unter den Besten der neuen Imoca-Generation.
Und doch fand “Pifou”, der Technische Direktor im Team Malizia, noch Dutzende von Verbesserungen für Boris’ ultimative Mission: die Vendée Globe. Ein Großteil der Optimierungen findet sich unter Deck. Aber wer genau hinsieht, wird auch von außen Unterschiede entdecken.
So hängen am Heck jetzt gleich drei hochklappbare Hydrogeneratoren von Watt&Sea. Zwei tragen einen dreiflügeligen Propeller, einer hat nur zwei Blätter. Der Grund: Die Generatoren der vorigen Generation erwiesen sich als anfällig für Schäden, was nicht verwundert bei dem enormen Geschwindigkeitspotenzial von “Malizia - Seaexplorer”. Jetzt hat Boris nicht nur ein zusätzliches Gerät, das jederzeit einsatzklar ist. Es soll auch bei höherem Tempo funktionieren.
Außerdem hat das Team die Zahl der Solarzellen erweitert. Es gibt jetzt auf dem Laufdeck mehrere neue Paneele, über die Pifou aber noch nicht sprechen will. “Vielleicht nach der Vendée Globe”, sagt er. Offenbar eine Technologie im Prototypen-Stadium, die da erprobt wird. Er klingt sehr zuversichtlich. “Beim Transat CIC haben wir nur zwölf Liter Diesel fürs Laden der Batterien verbraucht”, bei der Rückregatta New York - Vendée waren es gerade mal acht. “Wir wissen also, dass es inzwischen fast ohne Motor geht, aber wir gehen dennoch auf Nummer sicher.”
Gut 250 Liter Diesel hat Boris gebunkert, um stets genug Energie in den Akkus zu haben - komme, was wolle. Er könnte also alle Hydrogeneratoren verlieren und der gesamte Solar-Park könnte versagen, ohne dass seine Leistungsfähigkeit kompromittiert wäre. Dieses Redundanz-Denken zieht sich durch die gesamte technische Vorbereitung.
So hat “Malizia - Seaexplorer” am Bug vor dem strukturellen J2-Vorstag noch ein Pütting für ein J1-Stag samt Furler. Es könnte ihm der Bugspriet brechen, und Boris wäre immer noch in der Lage, einen Reacher oder ein Raumwindsegel zu setzen.
Auch bei der Kommunikationstechnik hat Team Malizia aufgestockt. Achtern am Heckkorb sitzt neben der Satellitenschüssel von Thales jetzt eine HP-Antenne und eine Mini M-Antenne von Starlink. Sollte der Heckkorb brechen, gibt es eine weitere Sat-Schüssel vor dem Mast, sowie unter Deck noch ein Iridium-Handy für Notfälle.
Den ohnehin schon doppelt ausgelegten Autopiloten hat Pifou noch weiter verfeinert, um Boris den Wechsel von einem System auf das andere zu erleichtern. Es sind jetzt auch sämtliche Geber zweifach vorhanden, sodass Boris einfach von A auf B umschalten kann - ohne Kabel umstecken zu müssen, was bei schwerer See nur vor dem Wind geht und locker 10, 15 Seemeilen kosten kann.
Unter Deck hat die Umrüstung vom Crew- auf den Solo-Betrieb den meisten Entwicklungsaufwand verursacht. Dabei konnte Pifou und sein Team das Boot um rund 150 Kilogramm leichtern. Das mag nicht nach viel klingen, aber zusammen mit einer Verringerung des Ballasts in der Bleibombe hat “Malizia” dann noch deutlich an Masse verloren.
Die Leichtwindeigenschaften profitieren auch von den neuen, größeren Foils erheblich, die aufgrund ihrer Fläche und des Profils mehr Auftrieb erzeugen. “Wir kommen jetzt früher aus dem Wasser”, sagt der Technische Direktor, der zuvor für Jérémie Beyous Team gearbeitet hatte. Mehr ist ihm aber nicht zu entlocken.
Im Cockpit hat Boris mehrere Plätze zum Arbeiten, Navigieren, Relaxen und Ruhen. Den Carbon-Schalensitz mit Mountainbike-Dämpfer kann er an der Cockpitwand je nach Vorliebe auf beiden Seiten fixieren. Von hier kann er Autopilot und Neigekiel einstellen und zudem die Winschen vor ihm erreichen - also Spi oder Traveller aus der Hand fahren, wenn er im Grenzbereich unterwegs ist.
Im Durchgang zur Achterkajüte hat er einen über Taljen einstellbaren Liegesitz, der etwas mehr Rückzugsmöglichkeiten bietet. Darin kann er auch kurze Power-Naps machen, während er Wetterdaten abruft, Videos hochlädt oder Routings rechnen lässt. Co-Skipper Will Harris liebt diesen Platz. “Ich glaube, ich würde hier zwei Drittel der Vendée Globe verbringen”, sagte er gestern gegenüber der YACHT.
Ganz flachgelegt ähnelt der Sitz einer Liege, mit hochgezogener Rückenlehne ist es ein bequemer Sessel. Der Monitor lässt sich über einen U-förmigen Carbonbügel jeweils bestmöglich positionieren - fürs Liegen wie fürs Sitzen. Wird er nicht gebraucht, fiert man ihn nach achtern oder oben weg. An Backbord vom Mittelsitz ist die Pantry untergebracht, die hier fast dem Namen gerecht wird. Ein kardanisch aufgehängter Einflamm-Kocher ist das Herzstück. Auf ihm kann Boris auch einen kleinen Dampfkochtopf auf Temperatur bringen, wenn ihm mal nach wirklich bissfester Pasta sein sollte. Soviel Komfort hatte er vor vier Jahren nicht; da musste es ein Jet-Boil tun.
An Steuerbord kann sich der Skipper vom Liegestuhl in die Koje verholen. Die besteht aus Carbonrohren mit Netzbespannung und speziellem Schaumpolster, das Körper und Kopf U-förmig umschließt. Es wirkt klaustrophobisch, soll aber sehr gemütlich sein, sagt Pifou. Über eine Talje kann die Koje zu beiden Seiten geneigt werden, wie das auf Regattayachten üblich ist. Doch es gibt noch eine Besonderheit: Achtern ist sie über einen Dämpfer mit dem Rumpf verbunden, ähnlich wie der Schalensitz. Das soll die Bewegungen dämpfen, die insbesondere auf Kopf und Oberkörper einwirken, wenn das Boot mit 20, 25 Knoten über die Seen holpert.
Von Koje und Sitz entwickelte Pifous Team am Rechner zehn verschiedene Versionen; drei wurden gebaut und immer wieder überarbeitet. Jetzt soll alles passen. Um Ruhe zu finden, kann Boris sogar einen schwarzen Vorhang vorziehen und die Sonne aussperren, was beim schnellen Einschlafen hilfreich sein kann.
Für den Southern Ocean hat der Hamburger eine kleine Eberspächer Airtronic einbauen lassen. Über einen Heizungsschlauch kann er die Wärme wahlweise unter den Sitz oder Richtung Koje pusten lassen. Es gibt aber noch einen zweiten, wesentlich längeren Schlauch, der bis ins Vorschiff reicht. Warum das? “Wenn im Süden ein Schott bricht oder die Rumpfstruktur nachgibt, kann Boris so das Durchhärten des Harzes beschleunigen.”
Es scheint, als habe das Team wirklich an alles gedacht. Deshalb erlebt man den Technischen Direktor in diesen Tagen vor dem Start auch als erstaunlich entspannten Menschen. Aber das täuscht natürlich. Mit Kopf und Seele ist er permanent hellwach. Das wird sich auch beim Rennen nicht ändern. Zusammen mit Boat Captain Stu wird er “Malizia” 24/7 überwachen, um jederzeit ansprechbar für Boris zu sein.
Gegen einen seiner Wünsche hat er sich lange gesträubt, dann aber doch nachgegeben “wie immer, wenn Boris etwas wirklich will”, sagt er lachend. Dem Skipper war nach einem weiteren Aufenthaltsort, der ihm für leichtwindige Tage Freude bereiten soll. Pifou fand das, nun ja, nicht prioritär.
Am Ende ließ er dennoch ein Trampolinnetz hinter dem Liegesitz riggen. Das ist ein cooler Spot, um aus dem Fenster zu schauen und mal einen Gang runterzuschalten. Und weil Boris gerne Hütten-Atmosphäre in diesen Teil des Bootes gezaubert haben wollte, beklebte Stu Mc Lachlan das rohe Kohlefaserlaminat vor ein paar Tagen mit DC-Fix-Holzfolie. Eine liebenswerte Schrulle, die Pifou am Ende auch deshalb guthieß, weil er weiß: “Ein glücklicher Skipper ist auch ein schneller Skipper.”