Boris Herrmann hat bei seiner zweiten Vendée Globe aktuell zu kämpfen. Als westlichstes Boot der Siebenergruppe-Gruppe, die um die Plätze vier bis zehn kämpft, hatte Herrmann in seiner Position zuletzt Pech mit für ihn unglücklich drehenden Winden. Am 15. Januar, als in Les Sables-d’Olonne der Vendée-Globe-Zweite Yoann Richomme stürmisch gefeiert wurde, hatte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper als Zehnter einen Rückstand von 115 Seemeilen auf den vor ihm liegenden “Vulnerable”-Skipper Thomas Ruyant angehäuft.
Im in vielerlei Hinsicht spannenden NDR-Livetalk zur Vendée Globe sagte Boris Herrmann im Gespräch mit Moderator Sven Kaulbars und Experte Tim Kröger zu seiner aktuellen Situation: "Es geht so ein bisschen langsam voran hier am Wind. Der Wind ist für mich ein bisschen mehr links gedreht als für meinen Kollegen Thomas Ruyant an meiner rechten Seite. Ich weiß nicht genau, woran das liegt…”
Es fühle sich, so Herrmann “ein bisschen unfair an, war schon die ganze Nacht so”. Thomas Ruyant war etwa 100 Seemeilen östlich von Boris Herrmann nicht so von dem drehenden Wind betroffen und schneller nach Norden vorgestoßen. Boris Herrmann erklärte in der NDR-Livesendung : "Ich drifte immer so ein bisschen weiter nach Westen. Also im Moment nicht so die Top-Stimmung an Bord.”
Mit Blick auf den in der laufenden Sendung eingeblendeten Tracker erklärte Boris Herrmann auf die Frage, wie er die Kurve noch kriegen könnte: "Man sieht ja hier auf dem Tracker meine weiße Spur, die so nach links abknickt. Das ist natürlich eine Kurve, die ich überhaupt nicht kriegen will. Ich will die Kurve wieder zurückkriegen, um zumindest parallel zu den anderen zu fahren. Da ist hier keine Intention bei mir dahinter. Der Wind ist hier einfach mehr nach links gedreht. Das kann man nicht sehen im Tracker. Das kann man auch nicht in den Wettermodellen sehen. Im Moment bin ich ein bisschen ratlos, woran es liegt.”
Im Moment werde ich einfach abgehängt, gnadenlos abgehängt.” Boris Herrmann
Weiter sagte Boris Herrmann: “Ich hoffe einfach, dass es nach einer gewissen Zeit wieder zurückdreht und ich zumindest so halbwegs mitfahren kann." Im Moment, so der Team-Malizia-Gründer bei seinem zweiten Solo um die Welt, fühle es sich so an, "als werden mir hier schon wieder große Holzbalken in den Weg gelegt". Der 43-Jährige hoffte: "Wenn der Wind wieder ein bisschen nach rechts dreht, dann kriege ich meine Kurve nach rechts im wörtlichen Sinne, um hier wieder ein bisschen dranbleiben zu können.”
Herrmann berichtete von starker Unterstützung und Motivation durch sein Team und sagte kämpferisch: “Auch, wenn es sich mal schwer anfühlt wie heute: Man lässt natürlich nichts liegen. Jeder Meter zählt. Das liegt einem einfach im Blut." Andererseits habe er gerade wenig in den Händen, "um mich hier zurückkämpfen zu können".
In die aktuelle Position sei er "peu à peu reingerutscht mit den verschiedenen Rückschlägen". Er habe mit dem Schaden an der J2 drei Stunden auf Kurs West gelegen, bei acht Knoten. Das klänge zwar nicht viel in absoluten Meilen, aber: "Oft exponenziert sich dann, wenn der Wind über eine lange, lange Phase so gekurvt ist und man ein bisschen weiter in Lee, auf der ungünstigen Seite im Westen liegt, so ein Nachteil."
Er habe lange gezögert, ob er nochmal wenden sollte. Im Nachhinein, so Herrmann mit Blick auf die aktuelle Situation, sei man immer schlauer. Er will später in einem ausführlichen Debriefing schauen, ob es ein Fehler war, nicht zu wenden. Gleichzeitig sah Boris Herrmann wieder neue Chancen am Horizont auftauchen: "Ich weiß, wenn wir durch die Hochdruckzone durch und wieder in der Westwind-Klimazone (…) sind, wo wir die Tiefdruckgebiete auch wiederfinden – dort wird sich wieder einiges abspielen. Da kann es wieder Überraschungen geben."
Nach dem gestrigen Kanter- und Rekordsieg von Charlie Dalin räumte Boris Herrmann ein, dass sich die aktuellen Tage für ihn "wie die schwierigsten des Rennens" anfühlen: "Da muss ich ehrlich sagen, das war gestern kein leichter Tag und ich glaube, ich brauche auch heute noch, um einfach wieder in mein eigenes Rennen zu finden." Sehr ehrlich sagte Boris Herrmann im NDR-Talk: "Natürlich habe ich von einem besseren Ergebnis geträumt als von einem zehnten Platz.”
Mit meinem Team gemeinsam haben wir uns mehr erwartet, sind etwas enttäuscht und schauen jetzt mal, was noch geht." Boris Herrmann
In einer übergreifenden Zwischenbilanz sagte Boris Herrmann in der gestreamten NDR-Mittagssendung: "Insgesamt war es ein überraschendes Vendée Globe von den Wetterbkonstellationen her. Das ist auch so ein Learning. Man braucht ein Boot, das in alle Richtungen schnell fährt. Da sind wir vielleicht ein bisschen zu stark in eine Richtung gegangen."
Bei seiner insgesamt sechsten Weltumseglung erinnerte Herrmann daran, dass die Rumpflinien für "Malizia – Seaexplorer" Anfang 2021 entstanden waren. "Damit wurden so ein bisschen die Strategie und auch unser Profil der Stärken und Schwächen festgelegt. Daran ist dann auch nicht so viel zu ändern. Nichtsdestotrotz ist es ein tolles Schiff. Und ich glaube auch, dass es im nächsten Vendée Globe vielleicht dann noch einmal wieder positiv hervorstechen kann, wenn die Bedingungen – wer weiß – vielleicht auch mal wieder in eine andere Richtung gehen."
Auf die Frage, ob er schon ein anderes Schiff plane, antwortete Boris Herrmann im NDR-Gespräch: "Wir arbeiten in unserem Team an der Entwicklung, was man im Design machen kann, forschend dort weiter. Wir haben dort die Ohren und die Augen weit offen um zu gucken: Wie kann man noch mehr ein Schiff finden, das in alle Richtungen schnell fährt."
NDR-Moderator Sven Kaulbars fragte weiter: "Ich entnehme dem, dass es nicht die letzte Vendée Globe war für dich?” Boris Herrmann, der in seinem Boris BLog für die YACHT schon Ende Dezmber eine weitere Vendée Globe ins Visier genommen hatte, sagte: “Es ist mein großer Wunsch (…), das nochmal zu machen. Der Wunsch ist mit diesem schwierigen Vendée Globe nicht gestorben, das auch vom Ergebnis her enttäuschend ist.”
Es fasziniert mich nach wie vor.” Boris Herrmann
Das Gegenteil, so Herrmann, sei der Fall: “Gestern die Bilder von Charlie zu sehen und zwischendurch auch meine innere Stärke zu finden, auch in der letzten Woche zu sehen, wie ich mich doch stark fühle, auch mit Schwierigkeiten umzugehen, die Resourcen in mir finden zu können, auch wenn es hart wird, das gibt noch die Motivation, hier weiterzumachen.”
Seine Ankunft in les Sables-d'Olonne erwartet Boris nach aktuellem Stand um den 25. Januar herum. In der Terminierung seiner Ankunft aber sei noch einiges Spiel drin, denn "wir müssen ja noch mit einem großen Tiefdruckgebiet umgehen". Das Tief erwartet Boris Herrmann auf der zweiten Weghälfte des Kurse von der aktuellen Position bis zum Ziel.
Boris Herrmann sagte: "Bei so einem System können kleine Unterschiede in unserer Route – bisschen weiter östlich, bisschen weiter westlich – am Ende große Unterschiede in der Ankunftszeit ausmachen.” Dem sich verändernden Szenario blickte Herrmann fast frohlockend entgegen: "Da freue ich mich schon drauf. Da wird es nochmal wieder spannend. Segelwechsel, Action, da haben wir keine Zeit mehr nachzudenken oder enttäuscht oder traurig zu sein. Da geht es dann wieder voll zur Sache: großer Sturm ab Kap Finistèrre! Da müssen wir nochmal wieder richtig durchziehen."