Boris Herrmann hatte es vorhergesagt, jetzt ist es passiert: Yoann Richomme hat Charlie Dalin an der Spitze der Vendée-Globe-Flotte abgelöst. Der Paprec Arkéa”-Skipper hatte den seit 1. Dezember führenden Charlie Dalin schon in den vergangenen Tagen stark attackiert. Nun ist Yoann Richomme der neue Frontmann in der Flotte der nach inzwischen vier Aufgaben verbliebenen 36 Solisten. Richomme steht zum 19. Mal seit Rennstart am 10. November bei einer der vierstündigen Positionsaktualisierungen ganz vorne im Klassement.
Unglaublich: Nach mehr als 13.500 gesegelten Seemeilen trennten die beiden Giganten dieser Vendée Globe am zu Ende gehenden 37. Renntag nur knapp acht Seemeilen. Ebenso fast unglaublich: “Groupe Dubreuil”-Skipper Sébastien Simon bleibt auch mit gebrochenem Foil weiter hartnäckig dran. Vom neuen Zweitplatzierten Charlie Dalin trennten Seb Simon am Morgen des 17. Dezember nur noch 40 Seemeilen!
Und es kommt mehr Bewegung in die Top Ten. So, wie es sich Boris Herrmann in seinem Sonntags-BLog gewünscht hatte. Der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper selbst konnte sich am frühen Dienstagmorgen mit drei Reffs im Großsegel und Sturmgarderobe auf Platz neun vorarbeiten! Dabei war es der Brite Sam Goodchild, der im Kampf um die besten Angriffspositionen in der Gruppe der Verfolger unterhalb der neuseeländischen Campbell Inseln beim 54. Breitengrad Süd auf Platz zehn zurückfiel.
In starken bis stürmischen Winden entfaltet sich im südlichen Pazifik ein Powerplay der besten Vendée-Globe-Akteure. Die jüngsten Umgruppierungen versprechen eine äußerst spannende zweite Rennhälfte. Auch zwischen Nico Lunven (”Holcim-PRB”), Thomas Ruyant (”Vulnerable”) und Jérémie Beyou (Charal) auf dem sechsten Platz lagen am Morgen des 17. Dezember nur 14 Seemeilen.
Dahinter ringen innerhalb von 80 Seemeilen zueinander der letzte Vendée-Globe-Sieger Yannick Bestaven (”Maître CoQ V”), “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat, Boris Herrmann und Sam Goodchild ums Herankommen an die vor ihnen liegenden Segler. Dabei hat vor allem Boris Herrmann seine Aufholjagd stark fortsetzen können. Sie steht der von Yoann Richomme kaum nach, während auch Herrmanns Gruppe das Maximum aus den druckvollen Winden herausholt.
Es ist ein bisschen wie ein Wolfsritt.” Boris Herrmann
„Kleine Segel heute. Reff 3. Das sieht man nicht oft”, berichtete Boris Herrmann in einem kurzen Video am Dienstagmorgen. Sichtlich guter Dinge sagte der 43-Jährige: „Wir haben so ein Glück, dass wir 50 bis 100 Meilen vor dem Schlimmsten liegen, wo Justine ist. Es ist ein bisschen wie ein Wolfsritt, aber alles gut an Bord. Der einzige Ort, an dem man sein muss, ist die Koje.“
Herrmanns Querverweis auf die Schweizerin Justine Mettraux hatte guten Grund: Die “TeamWork - Team Snef”-Skipperin hatte alle alle Hände voll zu tun, segelt in Winden um 40 Knoten. Sie war zuletzt mit Geschwindigkeiten um 22 Knoten unterwegs, kämpfte sich im Sturm ostwärts.
Lächelnd sagte Boris Herrmann in seinem geschlossenen Cockpit: “Ich bin glücklich hier drinnen. Denkt mal an die alten Zeiten, als die Segler in diesen Bedingungen draußen gearbeitet haben. Das klingt verrückt aus der Perspektive unseres heutigen Komforts. Wir können fast alles von drinnen machen. Ich habe nur gerade einen kurzen Check an Deck gemacht. In den Bedingungen der letzten 24 Stunden ist es gut, alles durchzuchecken. Alles gut soweit. Wir erreichen Durchschnittsgeschwindigkeiten von 22, 23 Knoten. Bei über 31 Knoten Wind ist Reff drei okay.”
Für andere dagegen ist ihr Traum von einer vollendeten Vendée Globe geplatzt. Am schwarzen 16. Dezember hatten sowohl “Medallia”-Skipperin Pip Hare nach ihrem Mastbruch als auch “New Europe”-Skipper Szabi Weöres ihre Aufgabe mit schweren Herzen offiziell gemacht. Etwa 600 Seemeilen trennten die unter Notrigg langsam vorankommende Pip Hare von Tasmanien und und auch dem australischen Festland. Szabolcs Weöres näherte sich indessen mit Riggschaden Kapstadt.
Unter den verbliebenen 36 Solisten – 31 Männer und fünf Frauen – haben es in den vergangenen Tagen weitere nur mit viel Kraft geschafft, ihren Traum von der vollendeten Solo-Weltumseglung am Leben zu erhalten. Darunter auch der auf Platz 33 segelnde Antoine Cornic (”Human Immobilier”). Er hat im Schutz der abgelegenen Insel Saint-Paul eine Großsegelreparatur vorgenommen. Wenige hundert Meter von mit Flechten bewachsenen Basaltklippen entfernt, stieg er in den Mast, um die Schiene zu reparieren.
Müde, aber glücklich küsse ich das Meer.” Antoine Cornic
Am Montagnachmittag hatte er das Rennen wieder aufgenommen. Cornic vermeldete: „Es war sehr hart dort oben, mein Körper ist geschunden. Ich habe überall Schmerzen, aber es geht weiter. Wir haben die Nacht unter drei Reffs und J3 geschafft. Es herrschten 40 Knoten. Also gut, es war nicht sehr, sehr ernst... Heute morgen dann habe ich ein Reff rausgenommen und die J2 gesetzt. Es sind noch 33, 34 Knoten. Die Reparatur hält. Das sind sehr gute Nachrichten für den Moment. Ich bin ziemlich glücklich. Müde, aber glücklich, küsse ich das Meer!“
“Was mir hilft, nicht aufzugeben, ist, mir zu sagen, dass ich ein unglaubliches Glück habe, hier zu sein!” Violette Dorange
Die mit 23 Jahren jüngste Seglerin der Flotte beeindruckt weiter mit Beständigkeit, handwerklichem Können und Kampfgeist. Zuletzt gelang ihr die siebenstündige Reparatur der Grindersäule. Sie sagte: “Es gibt Zeiten, da tun mir die Arme überall weh, ich bin sehr steif, aber das macht nichts, alles ist in Ordnung. Es gibt kleine schwierige Momente, aber das ist nichts im Vergleich zu der Tatsache, dass ich mich auf meinem Boot so gut fühle. Ich fühle mich frei, ich fühle mich im Einklang mit meinem Boot, weil ich es immer besser zu verstehen beginne. Es ist eine reine Freude, hier zu sein!“
Auch freut sich Violette Dorange auf den nahenden Ozeanwechsel: “Ich bin so glücklich, bald das Ende dieses Indischen Ozeans zu erreichen, der für unser Rudel wirklich nicht einfach war, weil wir Tief nach der anderen hatten. Jetzt wird es in den nächsten Tagen etwas ruhiger werden, und dann geht es in den Pazifik, ich kann es kaum erwarten.”
Motivation tankt die junge Französin aus Nachrichten von zuhause: “Ich habe all die kleinen Botschaften von meinen Lieben. Wenn es nicht gut läuft, schaue ich mir das an, lese ihre Worte nach. Und ansonsten hilft es mir, nicht aufzugeben, wenn ich mir sage, dass ich unglaubliches Glück habe, hier zu sein. Dazu ein großer Gedanke für Pip, die aufhören musste, als sie noch nicht einmal die Hälfte ihrer Vendée Globe geschafft hatte. Als ich das erfuhr, war ich so traurig für sie! Ich sage mir, dass ich, auch wenn es schwierige Momente gibt, so unglücklich wäre, wenn meine Vendée Globe so enden würde, von einem Tag auf den anderen.”
Violette Dorange lag am Morgen des 17. Dezember auf Platz 25 und freute sich über ihr gutes Rennmanagement: “Ich habe es in den letzten zehn Tagen geschafft, sicher zu bleiben, das Boot über den Wettkampf zu stellen und in gutem Zustand zu erhalten. Mein Boot läuft jetzt gut.”
Weiter berichtete Violette Dorange: Ich hatte einige kleine Reparaturen zu erledigen. Am Samstag habe ich in sieben Stunden meine Grindersäule repariert. Ich bin stolz auf mich, denn es war hart. Wenn es hart auf hart kommt, muss ich manchmal schreien oder ein bisschen weinen, um den Druck loszuwerden. Aber die meiste Zeit fühle ich mich sicher in meinem Boot. Ich habe großes Glück, auf diesem Boot zu segeln, das sehr, sehr sicher ist.“