Tatjana Pokorny
· 21.10.2020
Noch ist Boris Herrmann zu Hause bei seiner Familie in der Hamburger HafenCity. Im Countdown zu seiner Vendée-Globe-Premiere aber tickt die Uhr weiter
Man sieht ihm an, dass er die Tage zu Hause trotz Terminflut, Dutzender Interviews und den natürlichen Ansprüchen der vier Monate alten Tochter Marie-Lou genießt: Boris Herrmann blickt seiner Vendée-Globe-Premiere aktuell in Hamburg entgegen. Eine gute Woche ist er noch hier, bevor es zurück geht ins französische Les Sables d'Olonne. Dort verbringt Herrmann dann die letzte Woche vor dem Start der Solo-Weltumsegelung wie auch die anderen 26 Skipper und sechs Skipperinnen aus Corona-Schutzgründen in Selbstisolierung, bevor am 8. November der Startschuss zur neunten Auflage des legendären Rennens um die Welt fällt.
Beim Spaziergang durch die Hamburger HafenCity wirkt Herrmann entspannt. Er geht mit offenen Augen durch seinen Stadtteil und weiß Geschichten von den Menschen und Gebäuden zu erzählen, an denen er vorbeigeht. Dass er hier mit Ehefrau Birte und Tochter "Malou" gern und bewusst lebt, ist daran gut zu erkennen. Ein hübscher grüner Park gegenüber und der Kindergarten um die Ecke sorgen für willkommenen Ausgleich in der modernen Betonarchitektur, die hier und da von historischen Gebäuden und romantischen Brücken unterbrochen wird. Bald schon wird Herrmann diesem heimischen Umfeld für fast drei Monate tschüß sagen. Er tauscht das gemütliche Bett gegen eine schmale Koje im kargen Kohlefaser-Gehäuse, das ihn um die Welt tragen soll – und das möglichst sicher und schnell. Herrmann schätzt, dass die bevorstehende neunte Edition des Meeres-Marathons im Schnitt mit einem Knoten schneller als die letzte absolviert werden kann. Die bestehende Bestmarke dürfte von den neuen futuristischen Foilern klar geknackt werden. Den aktuellen Vendée-Globe-Rekord hat der letzte Sieger Armel Le Cléac'h mit 74 Tagen, 3 Stunden und 36 Minuten aufgestellt.
Im Hamburger Sonnenschein erzählt Herrmann von der jahrelangen Vorbereitung auf das bevorstehende Rennen seines Lebens. Davon, dass es ihn als Teenager beim gebannten Schauen einer Arte-Dokumentation über Weltumsegelungen und Rekorde gepackt hat und er sich – damals noch Jollensegler – vorstellte, wie es sein müsste, mit einer dieser rasenden Hochseeyachten um die Welt zu segeln. Zu zweit hat er die Erde inzwischen längst umrundet, unzählige hochkarätige Regatten bestritten und sich seine Sporen auf allen Weltmeeren verdient. Auch solo hat Herrmann Beachtliches geleistet. Doch die historisch erste Teilnahme eines deutschen Skippers an der härtesten Segelprüfung für Mensch und Material markiert seine erste Solo-Weltumsegelung.
Boris Herrmann geht sie "mit Hang zu paranoider Pedanterie" bezüglich seines Bootes "Seaexplorer" (sagt er selbst), mit großer Leidenschaft und einem Seesack voller Erwartungen an. Ihn lockt auch "das Unbekannte, das mich da draußen erwartet". Ziel Nummer eins ist für Herrmann wie die meisten der Teilnehmer bei diesem Abenteuer das Ankommen – bei einer bislang durchschnittlichen Ausfallquote von 46 Prozent ein nachvollziehbarer Wunsch. Ziel Nummer zwei formuliert er vorsichtig: "Ein Platz in den Top Ten wäre schön."
In YACHT 23 berichten wir ausführlich über die Vendée Globe und Boris Herrmanns Vorbereitungen auf das Solorennen um die Welt.
Legendärer Hochseesegler, 1989/1990 Premierenteilnehmer der Vendée Globe, damals Retter des gekenterten Philippe Poupon und brillanter Erzähler: Loïck Peyron führt durch diesen North-Sails-Clip zum Thema "Abenteuer Vendée Globe"