166 Male hatte Charlie Dalin die Flotte der 10. Vendée Globe angeführt. Daran kann man sich gewöhnen. Doch seit dem 23. Dezember und der in der Folge an Heiligabend so knapp gewonnenen Kap-Hoorn-Krone ist Dauerrivale Yoann Richomme der Spitzenreiter. Der “Paprec Arkéa”-Skipper Richomme und “Macif Santé Prévoyance”-Skipper Charlie Dalin prägen das Rennen mit ihrem Zweikampf.
Nach kurzem Atemholen im Südatlantikhoch haben die wie von einem unsichtbaren Band miteinander verbundenen Giganten dieser Auflage wieder frische Winde erreicht. Sie jagen sich bereits beim 42. Breitengrad Süd fast schon in T-Shirt-Wetter gegenseitig nach Norden. 13 Seemeilen Vorsprung hielt Yoann Richomme morgens am 27. Dezember.
Die Vendée-Globe-Veranstalter verglichen das Power-Paar jetzt mit einer Ehe, “deren Eheleben alles andere als erholsam ist”. Der heitere Vergleich: “Charlie Dalin hat sich mit Yoann Richomme einen Partner ausgesucht, der nur eine Obsession zu haben scheint: sich aus dem Haus zu schleichen! Oder nach Hause, eher und so schnell wie möglich...” Leider bestehe auch die Gefahr, so heißt es weiter, dass am Ende dieser Ehe “ein Herz gebrochen wird”. Unzweifelhaft ringen diese beiden Skipper um den Sieg, doch nur einer kann ihn haben, wenn sie ihr Rennen weiterhin so dominant durchbringen.
Ihr nächster Verfolger Sébastien Simon dagegen hat weiter ein einsames Rennen zu bestreiten. Den Drittplatzierten trennten am Freitagmorgen knapp 700 Seemeilen von den Frontmännern und rund 645 Seemeilen von seinem ersten Verfolger Thomas Ruyant (”Vulnerable”). “Groupe Dubreuil”-Skipper Seb Simon hat sich für die Westpassage der Falklandinseln entschieden und kam dort zuletzt gut voran.
Die meisten Beobachteraugen sind aber inzwischen wieder auf Kap Hoorn gerichtet. Dort werden in Kürze die nächsten Boote erwartet. Als Vierter dürfte Thomas Ruyant das dritte und letzte Kap der Solo-Weltumseglung passieren. Der Franzose hatte am Freitagmorgen noch rund 250 Seemeilen bis zum Längengrad von Kap Hoorn vor sich und war mit etwa 22 Knoten Speed schnell unterwegs.
Für Boris Herrmann waren es bei der 7-Uhr-Positionsaktualisierung am 27. Dezember noch gut 500 Seemeilen bis zum Meilenstein, der die Südmeerhatz dann auch für ihn symbolisch beendet. Als Flottenschnellster machte der “Malizia – Seaexplorer” mit Geschwindigkeiten jenseits von 24 Knoten am Morgen Boden gut. Er dürfte Kap Hoorn am Samstag passieren.
Seinen über Nacht kurz an “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat verlorenen siebten Platz hat sich Boris Herrmann zurückerkämpft. Nach vorne zu seinem ehemaligen Ocean-Race-Navigator Nico Lunven konnte Boris Herrmann den Rückstand wieder auf 60 Seemeilen reduzieren.
Wieder in die Top Ten vorgerückt ist seit dem ersten Weihnachtstag Justine “Juju” Mettraux. Die Schweizerin hat daraus inzwischen Platz neun gemacht und greift weiter an. Bei gut 50 Seemeilen Rückstand auf Paul Meilhat war die aktuell beste Skipperin auf “TeamWork – Team Snef” am frühen Freitagmorgen schneller unterwegs als der Franzose.
Ein weiteres “Langzeit-Paar” der Flotte ist indessen getrennt: Bei Point Nemo hat sich die auf Platz 14 liegende Britin Samantha Davies für einen nördlichen Kurs entschieden. Die “Initiatives - Cœur”-Skipperin hatte am Freitagmorgen schon den 46. Breitengrad Süd erreicht. Ihre “Wegbegleiterin” Clarisse Crémer dagegen segelte als Flotten-Zwölfte rund 380 Seemeilen südlich von Sam Davies unterhalb des 53. Breitengrades Süd.
Beide Skipperinnen hatten sich über lange Zeit gegenseitig motiviert, nachdem sie Mitte Dezember die berüchtigte Front verpasst hatten und weit hinter ihre bis dahin starke Gruppe mit Boris Herrmann zurückgefallen waren. Inzwischen hat Boris Herrmann einen Vorsprung von mehr als 1200 Seemeilen vor Clarisse Crémer und rund 1450 Seemeilen vor Sam Davies.
Warum die Britin nun einen von ihrer Gruppe mit Clarisse Crémer und Benjamin Dutreux (”Guyot Environnement – Water Family”) so stark abweichenden Nordkurs gewählt hat, erklärte sie mit Sicherheitsbestrebungen, die sie für den Moment den 13. Platz gekostet haben. Den hat Benjamin Dutreux übernommen. “Wir waren froh, dass wir mit Clarisse zusammen waren, aber jetzt haben wir nicht mehr die gleiche Strategie”, konstatierte Sam Davies.
Die Solistin erklärte bei ihrer vierten Vendée Globe: “Ich habe genau hingeschaut und finde, dass die Bedingungen weiter südlich in diesem Tief mit einer Wellenhöhe von über sechs Metern und starkem Wind ziemlich extrem sind. Ich finde es etwas riskant, geradeaus zu segeln, also habe ich die Option der guten Seemannschaft gewählt, die etwas länger ist und die Zone mit sehr starkem Wind und sehr schwieriger See nördlich umgeht. Das ist eine Entscheidung zur Schonung des Materials, der Segel und des Bootes, denn mein Ziel ist es, bei der Atlantiküberquerung zu 100 Prozent fit zu sein!”
Eine Rolle hat bei der Entscheidung vielleicht auch die Tatsache gespielt, dass Sam Davies gerade etwa den Punkt passiert hat, an dem sie 1998 bei einem Jules-Verne-Rekordversuch den Mast verlor. Weil die Britin leicht abergläubisch ist, bringt sie Neptun jedes Mal, wenn sie dort vorbeikommt, ein Schokoladenopfer. So auch dieses Mal, wie sie berichtete.
Indessen setzt ihre Landsfrau Pip Hare ihre langsame Fahrt nach Melbourne fort. Die “Medallia”-Skipperin hatte vor zehn Tagen Mastbruch erlitten und kämpft sich unter Notrigg der australischen Küste entgegen. Nachdem sie ihre Route an tweilweise starke Winde so anangepasst hatte, so dass sie etwas vom knapp werdenden Diesel sparen konnte, ist nun das Ende ihres Leidensweges in Sicht, auch wenn sie am Vortag aufgrund des Umweges vermelden musste: “Wir haben keine Fortschritte Richtung Melbourne gemacht. Tatsächlich sind wir jetzt sogar 17 Seemeilen weiter weg.” Rund 150 Seemeilen hatte sie noch bis Melbourne zu meistern.
“Willkommen an Bord des langsamen Bootes nach Melbourne!” – mit gutem britischen Humor und interessanten Erklärungen beschreibt “Medallia”-Skipperin Pip Hare ihren außergewöhnlichen Weg unter Notrigg nach Melbourne: