Kurz nach seiner ersten Pressekonferenz von See am Dienstagnachmittag rückte Boris Herrmann im Klassement von Platz 23 auf Rang 20 vor. Es war eine kleine Wiedergutmachung für die erlittenen Qualen der vergangenen Tage und insbesondere der letzten Nacht. Schon während des Gesprächs mit den Journalisten war dem fünfmaligen Weltumsegler aus Hamburg die Freude darüber anzumerken, dass es in zunehmenden Winde endlich wieder flott voranging.
“Ich habe gerade 24 Knoten auf dem Speedo”, sagte der “Malizia – Seaexplorer glücklich. Zuvor hatte er gut neun Tage nach dem Vendée-Globe-Startschuss am 10. November offene und ehrliche Einblicke in seine Gedankenwelt gegeben. Gleich zu Beginn erklärte Boris Herrmann: "Ich segle so gut ich kann. Ich gebe mir alle Mühe, aber ich habe ein bisschen Pech mit den Wolken. Wir haben letzte Nacht nochmal Meilen verloren. Zumindest waren da fünf ziemlich langsame Stunden.”
Der Umgang mit der zwischenzeitlichen Positionierung jenseits der Top-20 sei fordernd. Boris Herrmann sagte: “Ich will mich aber auch nicht einer zu großen Enttäuschung darüber hingeben. Ich bin natürlich traurig darüber, dass ich viele Meilen verloren habe und es auch nicht so aussieht, als würde ich das so schnell wieder aufholen. Mental also nicht einfach, dieser Start in die Vendée."
Auf die Frage, was ihn nach solchen Rennrückschlägen motiviert, sagte der bei dieser Auflage mitfavorisierte deutsche Skipper: "Ich habe kein Problem mit der Motivation. Es gibt nur einen Weg. Es geht nur nach vorne. Aufgeben ist keine Option. Es wäre auch Quatsch. Ich war bei der letzten Vendée Globe, als ich fast gewonnen hätte, zur gleichen Zeit 280 Meilen hinter dem Führenden. Jetzt sind es 210 oder 220. Die Vendée Globe ist einfach ein langes Ding. Das demotiviert mich jetzt nicht."
235 Seemeilen Rückstand hatte “Malizia – Seaexplorer” beim 15-Uhr-Update des Race Trackers am 19. November auf Spitzenreiter Sam Goodchild. Der britische “Vulnerable”-Skipper hat sich an seinem 35. Geburtstag die Führung vom rund 430 Seemeilen östlich von ihm segelnden Jean Le Cam zurückerobert und schnell auf knapp 30 Seemeilen ausgebaut.
Wo und wie Boris Herrmann seinen Rückstand kassiert hat? Der 43-Jährige erklärt es so: "Das führende Paket hat sich natürlich am Wochenende schön nordwestlich positioniert. Ich habe versucht, mich ein kleines bisschen südlicher durchzumogeln, war dabei auch direkt neben Justine. Also auf der Linie von Justine Mettraux, die jetzt sehr gut positioniert ist. Und ich sehe nicht direkt den taktischen Fehler. Ich glaube, ich hatte ein bisschen Speedprobleme in dem Leichtwind. Ich hatte aber auch einfach Pech mit der einen oder anderen Wolke.”
Boris Herrmann beschrieb die Gründe für seinen angeschwollenen Rückstand auf die Spitze des Feldes nicht ohne Selbstironie mit “akkumuliertem Pech”, sagte: “Der Arme wird ärmer…" Detaillierter beschrieb er die Rückschlage so: “Wenn man unter der einen oder anderen Wolke hängenbleibt, zehn Meilen verliert und das ein paar Male passiert… Ich glaube, da war jetzt einfach wirklich ein bisschen Pech dabei mit einzelnen großen Wolken, die man auf der richtigen oder falschen Seite erwischen kann."
Da stehe ich jetzt mit leeren Händen da.” Boris Herrmann
Die Folge: “Da bin ich wirklich leer ausgegangen. Das sah vor 36 Stunden noch besser aus. Jetzt bin ich Letzter der ganzen Foiling-Boote. Das ist natürlich ein bisschen tough. Der Tracker zeigt das auch richtig – es wird noch eine Weile so bleiben.”
Die für ihn so problematischen Wolken-Begegnungen ordnete Boris Herrmann eher in den Bereich “Pech oder Glück ein”. Das habe man auch bei anderen Regatten, beispielsweise bei Charlie Dalin in der Route du Rhum 2022 gesehen. Der habe auch in einer Wolke heftig verloren. Woraufhin Thomas Ruyant die Route du Rhum gewonnen habe.
Er selbst habe in der vergangenen Nacht der Vendée Globe um 1 Uhr noch einmal draußen gesessen, auf die Segeleinstellungen geschaut. Dann geschah dies: “Plötzlich schlagen die Segel back und ich fahre in stockfinserer Nacht in ein Windloch. Das war eine große Wolke. Ich bin da reingerauscht. Ich habe sie auch nicht auf dem Radar gesehen. Auch nicht auf den Satellitenbildern.” Er habe dann bis 5 Uhr morgens “gefightet”: “Von rechts nach links, um noch einen Hauch Wind einzufangen. So war meine Nacht. Nicht einfach, nicht erbaulich fürs Fortkommen.”
Wenn man sich dabei vorstelle, “dass die anderen mit 12 bis 15 Knoten Speed fünf Stunden weiterfahren, ist das drastisch”. Ganz so viel habe er nicht verloren, “aber 40, 50 Meilen schon”. Es sei Teil des Spiels, sich damit aber nicht verrückt zu machen, so Boris Herrmann. Dennoch räumte er ein, dass ihn große Verluste als Regattasportler auch “existenziell und physisch” treffen.
Er könne nur versuchen, das abzuschalten, sagte er lächelnd, und sich bemühen, “die Schönheit des Ozeans zu sehen”. Und es zu genießen, “auf einem fantastisch vorbereiteten Boot zu sein, das wirklich keine Probleme hat”. Mit Erreichen des Äquators rechnete Boris Herrmann am kommenden Donnerstag (21. November). Auf dem Weg dahin fühle er sich “halbwegs wohl an Bord”.
Er sagte auch: “Ich habe natürlich eine gewisse Traurigkeit in mir. Die schwingt da irgendwo mit. Ich würde mal sagen: 10 Prozent, 20 Prozent meines emotionalen Levels sind Enttäuschung und Traurigkeit über die sportliche Situation und den etwas schwierigen Ausblick. Aber 80 Prozent haben ich ein ganz gutes Mindset an Bord und fühle mich mit dem Boot ganz gut im Flow.”
Von Fliegenden Fischen, fiesen Wolken und drei Knoten Wind aus allen Richtungen – diesen Video-Clip mit seinen Einschätzungen hatte Boris Herrmann am Dienstagmorgen geschickt:
HAPPY BIRTHDAY, Sam Goodchild! Pünktlich zu seinem Ehrentag am 19. November holte sich der jetzt 35-Jährige seine Führung von Jean Le Cam zum wiederholten Mal zurück: