Auch heute noch hatten Boris Herrmann und Samantha Davies auf ihrem Kurs ins Ziel der 10. Vendée Globe in 40 bis 50 Knoten und neun Meter hohen Wellen stürmische Bedingungen zu bändigen. Und wirkliche Ruhe ist in der Biskaya auf Kurs Ziellinie vor Les Sables-d’Olonne auch nicht in Sicht. Nur wenig haben sich die Bedingungen am Abend auf etwa unter 40 Knoten beruhigt.
Die Renndirektion erwartete den “Malizia – Seaexplorer”-Skipper und die “Initiatives - Cœur”-Skipperin zuletzt am Mittwochabend zwischen 17 und 19 Uhr im Ziel. Dabei schwankten die Prognosen aber noch, gingen teilweise auch in die Nacht hinein. Ein Grund für die Unsicherheiten ist neben den schwierigen Wetterbedingungen auch das angeknackste Backbordfoil von “Malizia - Seaexplorer”.
Boris Herrmann wird die am Dienstagabend noch verbliebenen knapp 300 Vendée-Globe-Seemeilen auf Backbordbug und daher mit dem angeknacksten Foil mehr im Wasser bestreiten müssen. Das birgt im schweren Seegang höhere Risiken als an den vergangenen Tagen und gibt Anlass zu Vorsicht und Sorge. Boris Herrmann ging darauf in seinem Report von Bord ein (siehe unten). Er hielt es zuletzt auch für möglich, dass sein Zieldurchgang doch erst in der Nacht oder am Donnerstagmorgen kommen wird.
Damit war am Abend nicht gesichert, dass Team Malizias Skipper aus Hamburg und die in Frankreich lebende Britin Sam Davies gerade in die letzte volle Nacht ihres Solos um die Welt segeln oder noch etwas länger kämpfen müssen. Ebenso ungesichert war am Abend noch, ob die “Ligne Tempête” – ein Pflichttor, das in stürmischen Bedingungen zur Ziellinie umfunktioniert wird und weiter draußen liegt als die kürzere klassische Ziellinie der Vendée Globe – auch für Boris Herrmann und Sam Davies wieder aktiviert wird.
Boris Herrmann schickte am frühen Dienstagabend noch einmal ein neuen Video von See, in dem er detailliert auf die Bedingungen im Biskaya-Finale und die Prognosen einging. Sein Bericht:
“Wir sind um die Ecke von Spanien, um Kap Finisterre rum. Wir befinden uns jetzt auf dem Kontinentalschelf im Nordwesten, wo es ein wenig herausragt und die Wassertiefe etwas geringer ist. Offshore sind es etwa 4000 oder 5000 Meter (Red.: Wassertiefe), und dann ragt hier dieses kleine Schelf heraus, da ist es 400 Meter tief. Ich habe mich gefragt, ob sich das auf den Seegang auswirkt, aber ich kann es nicht wirklich sagen.
Der Seegang ist jetzt etwas chaotischer, aber das könnte auch an den wechselnden Winden oder so liegen. Auf jeden Fall ist der Wind auf unter 40 Knoten gefallen, so dass er jetzt im Durchschnitt 35 bis 37 Knoten beträgt. Aber wenn dann Regenböen durchkommen – ich hatte gerade eine vor einer halben Stunde – dann ist der Wind wieder auf 46 gestiegen.
Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.” Boris Herrmann
Es ist also nicht einfach, wirklich große Segel zu setzen, vor allem, weil ich die Bootsgeschwindigkeit in den großen Wellen und Brechern nicht viel höher als 20 Knoten halten will, um nicht zu riskieren, dass sich das Foil lockert oder noch mehr bricht oder die Leinen reißen, die es halten. Das wäre ziemlich gefährlich.
Malizia macht sich wirklich gut. Sie ist ein wirklich seetüchtiges Boot.” Boris Herrmann
Ich hatte letzte Nacht einige Surfs mit über 30 Knoten und ziemlich verrückten Bedingungen. Einige Wellen haben das Boot hart getroffen und auf die Seite gelegt. Natürlich hat das Ruder vibriert, aber der Autopilot hat alles selbst geregelt und ich musste nicht wirklich viel tun, um ehrlich zu sein. Ich habe mich nur jedes Mal ein bisschen festgehalten und die ganze Nacht nicht geschlafen.
Aber das Boot ist toll. Es schwimmt wie ein Korken auf all den aufgewühlten Wellen. Und das ist wahrscheinlich einfacher als mit einem massiven Frachtschiff in diesem Seegang. Sie macht sich also wirklich gut. Sie ist ein wirklich seetüchtiges Boot. Es ist toll, das zu sehen und erlebt zu haben.
Das ging die ganze Nacht so, bis vor ein paar Stunden, nur im dritten Reff. Dann habe ich eine Stunde lang die Sturmfock aufgerollt. Jetzt bin ich bei der J3. Unter normalen Regattabedingungen würden wir wahrscheinlich auf dem Jib Top oder dem kleinen Gennaker sein, vielleicht mit zwei Reffs und sehr mit den Wellen kämpfen und super gestresst sein.
Zum Glück gibt es bei dem starken Wind nicht so viel Schiffsverkehr. Zumindest nicht so viele Fischerboote – vielleicht.” Boris Herrmann
So bin ich etwas entspannter, weil ich durch meine Strafe mit dem Foil das Boot nicht hart segeln kann. So ist es kontrollierbarer, obwohl ich mitten in diesem starken Wetter bin. Der Schiffsverkehr ist mit meiner kaputten Elektronik nicht so einfach zu überwachen. Kein Radar und AIS hat eine begrenzte Reichweite mit einer Antenne im Heck. Das ist natürlich die große Sorge. Aber zum Glück gibt es bei dem starken Wind nicht so viel Schiffsverkehr. Zumindest nicht so viele Fischerboote – vielleicht.”
Seine Last-Minute-Kollision mit einem Fischerboot in der letzten Nacht seiner Vendée-Globe-Premiere vor vier Jahren wird Boris Herrmann nie vergessen. Er kam damals halbwegs glimpflich davon, doch das Unglück hat ihn den Podiumsplatz gekostet. Dieses Mal und in aller Zukunft soll “Malizia – Seaexplorer” ohne Last-Minute-Schocks ins Ziel kommen.
TV-Tipp: Am Mittwoch streamt der NDR wieder ab 13 Uhr seinen Vendée-Globe-Talk mit Moderator Sven Kaulbars und Experte Tim Kröger im Hamburger Studio. Geplant ist danach auch eine Live-Übertragung von Boris Herrmanns Finale. Ein NDR-Team ist vor Ort. Aktuelle Informationen dazu gibt es am 29. Januar (Mittwoch) bei uns im Live Ticker: