Tatjana Pokorny
· 07.11.2020
Boris Herrmann ist in seine Vendée-Globe-Premiere gestartet. Familie, Freunde und prominente Förderer hatten ihn zuvor bei einer Zoom-Party verabschiedet
Das Rennen seines Lebens läuft: Boris Herrmann ist an diesem Sonntag wie 32 weitere Skipper und Skipperinnen in seine Vendée-Globe-Premiere gestartet. Dabei hatten hartnäckige Nebelfelder für eine Startverschiebung von einer Stunde und 20 Minuten gesorgt. Auch ohne die nicht zugelassenen Fans, die bei den vorherigen Editionen am Starttag traditionell zu Hunderttausenden in den Hafen strömten, den "Heldenkanal" säumten und die Startzone in eine weiß schäumende "Waschmaschine" verwandelten, waren emotionale Abschiedsmomente auf dem Dock und an Bord der Imoca-Yachten zu erleben. Der am häufigsten ausgesprochene Satz am Morgen vor dem Start: "Ein Traum wird endlich wahr."
Viele Starter hatten beim Abschieds-Interview auf dem Dock Tränen in den Augen. Hinter allen liegen zwei bis vier Jahre harter Arbeit, Entbehrungen und intensiver Vorbereitung auf diese neunte Auflage des härtesten Solo-Meeresmarathons, den die Segelwelt zu bieten hat. Vor ihnen liegen abenteuerliche 24.296 Seemeilen, die es solo, nonstop und ohne Hilfe von außen zu meistern gilt. Boris Herrmann wurde auf seinem Weg übers Dock zur "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco" vom Beifall anderer Teams getragen. Er bedankte sich dafür in alle Richtungen, schritt aufrecht und mit trotz Maske sichtbarem Lächeln zum letzten Interview und bestätigte: "Es ist ein emotionaler Tag." Der Start selbst gelang Herrmann mit sehr gutem Timing zur Linie, der richtigen Segelwahl und zunächst guter Positionierung.
Am Abend zuvor hatten Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann, Familie, Freunde und prominente Förderer aus aller Welt den 39-Jährigen vor seinem Gipfelsturm im "Everest der Meere" bei einer bewegenden Farewell-Zoom-Party online gute Wünsche übermittelt. Zu den Teilnehmern zählten auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg, ihr Vater Svante, Fürst Albert II. von Monaco, Pierre Casiraghi sowie Freund, Gegner und Rennfavorit Alex Thomson. Boris Herrmann hatte Greta Thunberg, ihren Vater und einen Filmemacher 2019 mit seiner Imoca-Yacht über den Atlantik gesegelt. Schon damals hat die junge Schwedin ihrem Skipper heimlich ein paar Botschaften an versteckten Orten auf dem Boot hinterlassen, wie sie ihm jetzt verriet. Greta Thunberg sagte: "Wir wünschen dir viel Glück. Bewahre dir deinen guten Geist. Wir werden das ganze Rennen über in Gedanken bei dir sein. Wir wissen, dass du es schaffen kannst. Du kannst alles schaffen. Wir werden dir Nachrichten schicken. Mögen die Winde mit dir sein!"
Fürst Albert II. von Monaco, dessen Umweltstiftung "Prince Albert II of Monaco Foundation" in großen Lettern auf Herrmanns Großsegel für das Rennen um die Welt prangt, zählt zu Herrmanns Fans und Förderern. Der Yacht Club de Monaco unterstützt Herrmanns Team Malizia seit Stunde null. Als Oberhaupt der Grimaldi-Familie ist der Fürst seit 1984 Präsident des regattaambitionierten Clubs. Vor dem Vendée-Globe-Start sagte er: "Boris, du hast ein wundervolles Team um dich herum. Es ist schade, dass wir beim Start dieses großen Abenteuers nicht bei dir sein können. Aber in Gedanken werden wir die ganze Zeit bei dir sein. Möge auch der Geist von Malizia die ganze Zeit bei dir sein und dich zur Ziellinie tragen – am besten vor allen anderen." Anschließend wünschte der Vizepräsident des Clubs seinem guten Freund Boris Herrmann Glück: Pierre Casiraghi hat das Team Malizia gemeinsam mit Boris Herrmann gegründet und damit den Weg für die historisch erste Teilnahme eines deutschen Skippers an der ultimativen Segelprüfung bereitet. Casiraghi sagte am Vorabend des Rennens zu Herrmann: "Was du jetzt machst, das ist so schwer, so hart, so lang. Aber du kannst alles erreichen. Das ist die tolle Botschaft für uns alle. Deine mentale Stärke ist inspirierend."
Boris Herrmann selbst wirkte weniger als 17 Stunden vor dem Start am Vorabend entspannt und genoss der Zuspruch der Freunde und Fans im Online-Meeting sichtlich und hörbar. Nach einer Woche Isolation aus Sicherheitsgründen und in Corona-Zeiten wie alle anderen Teilnehmer ohne die Möglichkeit, Freunde in Les Sables sehen zu könnnen, gaben die vielen guten Wünsche dem Wahl-Hamburger und jungen Vater emotionalen wichtigen Rückenwind mit auf den Kurs. Auch Co-Favorit und Freund Alex Thomson ließ sich eine Botschaft an Boris Herrmann beim abendlichen Online-Rendezvous nicht nehmen. Der Brite, der im fünften Anlauf nach zwei Aufgaben und den Plätzen drei und zwei auf "Hugo Boss" endlich siegen will, sagte lächelnd: "Ich wünsche dir viel Glück, Boris! Die erste Vendée Globe ist immer die härteste. Und dann werden in diesem Jahr all die Menschen fehlen, die uns sonst so fantastisch anfeuern. Ich wünsche dir Erfolg. Nur mich darfst du nicht schlagen."
Gefragt nach seinen letzten Arbeiten auf dem Boot, erzählte Boris Herrmann, dass er an verschiedenen Stellen einige motivierende Sticker aufgeklebt habe. Beispielsweise "Smile!", "Clip on!" oder "Segel dein eigenes Rennen – denk nach!". Einer der Sprüche, so Herrmann, sei von von seinem Teamgefährten Pierre Casiraghi: "Du bist nicht allein!". Begleitet wird Herrmann von aufgeklebten Fotos von Ehefrau Birte, der erst viereinhalb Monate alten Tochter Marie-Louise und Familienhund Lilli. Und auch von einem kleinen Kaktus, den die Crew ihrem Skipper kurz vor Rennstart noch besorgte – als Repräsentanten für das Grün des Festlandes, das Herrmann erst in rund zweieinhalb Monaten wieder betreten wird. Segellegende Loïck Peyron habe ihm im Gespräch über die Herausforderungen einer Weltumrundung außerdem folgenden Rat gegeben: "Boris, du weißt ja, wie man über den Atlantik segelt. Und dann kommt noch ein Tag dazu. Und noch einer. Und noch einer. Gehe einen nach dem anderen an."
Boris Herrmann gehört bei seinem ersten Vendée-Globe-Start mit 39 Jahren der jüngeren Hälfte der Herausforderer an; das Durchschnittsalter der 33 Teilnehmer, darunter 27 Männer und sechs Frauen, liegt bei 43 Jahren. Jüngster Teilnehmer ist zum zweiten Mal in Folge der 27-jährige Schweizer Alan Roura mit "La Fabrique". 23 Jahre war er alt, als er die Runde um die Welt das erste Mal absolvierte und süchtig wurde. Jetzt ist er wie Boris Herrmann Vater einer kleinen Tochter und sagt, dass ihn das Familienleben zu einem noch besseren Segler gemacht habe. Ältester Teilnehmer ist bei seinem fünften Einsatz Jean Le Cam ("Yes We Cam") mit 61 Jahren.
Zu den Top-Favoriten bei dieser Edition zählen Alex Thomson ("Hugo Boss"), Jérémie Beyou ("Charal"), Charlie Dalin ("Apivia") und Thomas Ruyant ("LinkedOut"). Nie zuvor hat ein Nicht-Franzose die wichtigste Regatta Frankreichs gewinnen können, die bei ihrer letzten Auflage zur Nummer zwei der Sportereignisse des Landes hinter der Fußball-WM, aber noch vor der Tour de France aufgestiegen war. Mit neun beteiligten Nationen, darunter mit Isabelle Joschke eine Skipperin mit deutsch-österreichischem Vater, ist das Rennen 2020/21 so international wie nie zuvor. Dazu trägt auch der Japaner Kojiro Shiraishi bei, der bei seinem zweiten Einsatz mit "DMG Mori Global One" nach dem Aus bei der Premiere vor allem sicher ins Ziel kommen will. Der Wunsch eint ihn mit allen in der Flotte, auch wenn manch einer der Top-Skipper mit weniger als dem Sieg nicht ganz zufrieden wäre. Für ein weiteres Novum sorgen die starke Britin Samantha "Sam" Davies ("Initiatives Cœur") bei ihrem dritten Vendée-Globe-Einsatz und ihr Lebenspartner Romain Attanasio ("Pure Best Western") als erstes Paar im Rennen. Sie sagt: "Die Vendée Globe hat mich gelehrt, dass ich viel mehr schaffen kann, als ich mir jemals vorstellen konnte." Diese Erkenntnis dürfte sie mit der gesamten Flotte teilen.
Bei seinem letzten Vendée-Globe-Einsatz wurde sein Boot durch eine Kollision beinahe zerteilt und err musste aufgeben. Jetzt ist Thomas Ruyant zurück und zählt zu den Podiums-Kandidaten bei der 9. Auflage des Solo-Rennens um die Welt. Mit Musik von den Graffiti Ghosts und eindrucksvollen Bildern von damals und heute stimmt er seine Fans auf den anstehenden Gipfelsturm ein