Vendée GlobeGewinne und Verluste beim Flautenschach im Atlantik

Tatjana Pokorny

 · 16.11.2024

Favorit Charlie Dalin im flauen Atlantik-Poker.
Foto: Charlie Dalin/Macif Santé Prévoyance/VG2024
Am besten im Westen? Oder hat sich die Ostspur für Jean Le Cam doch gelohnt? Während sich Tag sechs der Vendée Globe dem Ende zuneigt, hält das Schachspiel der Akteure im Atlantik weiter an. Dabei fand sich manch einer der Co-Favoriten am Samstagmorgen zunächst auf den hinteren Plätzen der Flotte wieder.

Wenn es einer kann, dann Jean Le Cam! Auf dem Weg nach Süden hat die Flotte einen spannenden Split erlebt: Während das Gros des Feldes einen westlich Kurs gewählt hat, haben Jean Le Cam und Conrad Colman ("MS Amlin") ihr Glück auf der küstennäheren Ostspur gesucht. Mit zwischenzeitlichem Erfolg: Am frühen Morgen des 16. November hatte der Franzose auf "Tout commence en Finistèrre - Armor-Lux" zunächst die Führung übernommen und den rund 220 Seemeilen westlich von ihm segelnden vorherigen Spitzenreiter Giancarlo Pedote auf Platz zwei verdrängt.

Der erfahrene Fuchs im Feld hat mit seinem von David Raison entworfenen Non-Foiler den Favoriten für den Moment die Schau gestohlen. Auch in der Vergangenheit hatte sich der 65-jährige Jean Le Cam der jüngsten Imoca der Vendée-Globe-Flotte des Öfteren als Fan der direkten Route erwiesen.

Rund 420 Seemeilen westlich von Jean Le Cam strebte auf der westlichsten Außenflanke Co-Favorit Thomas Ruyant auf "Vulnerable" dem Äquator entgegen. Aktuell “zahlt” Ruyant für diese Positionierung aber als 29., muss sie als Investment für bessere Zeiten betrachten. Auch Boris Herrmann war über Nacht zurückgefallen, konnte sich zuletzt aber etwa 310 Seemeilen westlich von Jean Le Cam wieder auf Platz 13 vorarbeiten.

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Das andere Gesicht der Vendée Globe

Gleichzeitig strebte Le Cam zuletzt selbst mehr nach Westen, suchte im löchrigen Atlantik offenbar die "Windbrücke" zurück zum Feld. Seltenheitswert hatte im atlantischen Flautenpoker beim 7-Uhr-Update nicht nur Ruyants zwischenzeitliche Platzierung tief unten im Feld. Auch die mitfavorisierten Top-Akteure Charlie Dalin ("Macif Santé Prevoyance") und Jérémie Beyou ("Charal") haben sich nach der komplizierten sechsten Vendée-Globe-Nacht erst einmal nur auf den Plätzen 25 und 26 wiedergefunden.

Sie waren wie Charlie Dalin in der Nacht teilweise stehengeblieben. Der Zweite der neunten Vendée Globe zog auf See eine kurze Zwischenbilanz, sagte: “Insgesamt ist es eine etwas einfachere Mission als die vor vier Jahren. Vor vier Jahren hatten wir zwei ziemlich heftige Fronten und einen Tropensturm. Jetzt steht so etwas eindeutig nicht mehr auf dem Programm! Ich bin froh, dass ich diese Weltumsegelung wieder mit diesem neuen Boot machen kann, das sehr gut an den Kurs angepasst ist.”

Weiter sagte Charlie Dalin: “Ich war wirklich überrascht vom Komfort des Bootes bei hoher Geschwindigkeit in den Vorwindphasen. Manchmal bin ich aufgewacht, habe die Augen geöffnet und mir gesagt: ‘Das Boot hat angehalten, ich fahre nicht schnell genug’, dabei war ich bei 20 bis 25 Knoten. Was ziemlich cool ist! Es ist eng in der Flotte, ich habe Thomas Ruyant nicht weit weg. Ich bin Seite an Seite mit Jérémie und Louis, Yoann ist auch ganz in der Nähe. Und wir versuchen wegzukommen!”

Bloß raus aus dem “klebrigen Zeug”

Wie sich das in den leichten Bedingungen anfühlt, beschrieb Charlie Dalin auch: “Im Moment bin ich in den leichten Winden. Im Westen hier ist es zu spät, meine Meinung zu ändern! Wir werden versuchen, in den nächsten Stunden so schnell wie möglich durch dieses klebrige Zeug zu kommen, bevor wir diese Zone verlassen, und wieder Geschwindigkeit finden, um die Doldrums zu durchqueren.”

Die Flotte sei “sehr zusammengewürfelt”, sagte der 40-jährige Skipper. Und weiter: “Sie kommen von hinten wie vor vier Jahren, ich hoffe, das wird nicht ständig so sein! Das Feld hatet sich zum Auftakt gestreckt, sich bei Madeira neu gruppiert. Dort gab es einige Bewegung und ich hatte sie eingeholt. Jetzt ist die Flotte wieder zusammengerückt, alle sind dicht beeinander. Das Feld ist gut, zumindest gibt es einen Kampf, und das wird nur umso besser weitergehen! Die Herausforderung besteht wirklich darin, schnell aus dieser Zone herauszukommen.”

Charlie Dalin vermeldete zuletzt arg dünne 0,5 bis 1,5 Knoten Wind. “Das ist wirklich schwach. Also hoffe ich, dass es bald losgeht auf unserer Seite und im Vergleich zu den anderen, nicht so auf der Südostseite! Normalerweise sollten wir diese Phase schon ein wenig hinter uns haben, aber das ist eindeutig nicht der Fall!“ Das Segelschachspiel in den teilweise sehr leichten Atlantikwinden – und mit ihm krasse Positionsveränderungen – werden vorerst anhalten.

So fühlt sich Flautenschach im Atlantik an – ein Clip von Boris Herrmann von Tag 5:

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