Tatjana Pokorny
· 20.12.2024
Das Führungstrio der Vendée Globe ist im einsamsten Revier der Erde angekommen. Doch dabei haben sie sich und ihren Dreikampf. Insbesondere Spitzenreiter Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance”) und Yoann Richomme (”Paprec Arkéa”) sind über Nacht wieder dichter zusammengerückt. Sie haben inzwischen – am frühen Freitagmorgen des 20. Dezember nur gut 20 Seemeilen voneinander getrennt – beide Point Nemo passiert. Etwa 100 Seemeilen hinter Dalin macht Sébastian Simon (”Groupe Dubreuil”) das Trio komplett, das nun dem letzten der drei Kaps entgegensegelt, die den Vendée-Globe-Kurs charakterisieren.
Yoann Richomme war zuletzt bei einer 24-Stunden-Duchschnittsgeschwindigkeit von 19,96 Knoten einen guten halben Knoten schneller unterwegs als Charlie Dalin – das erklärt die Reduzierung seines Rückstandes. Auch erreichte der “Paprec Arkéa”-Dynamo mit 24,14 Knoten am Freitagmorgen die schnellste Geschwindigkeit der Flotte. Die Verfolger der drei Pacemaker dagegen haben in etwas leichteren Winden wieder einige Meilen eingebüßt. Gleichzeitig liefern sie sich packende Positionskämpfe. Nach etwas mehr als 14.000 gesegelten Seemeilen trennten Nico Lunven (”Holcim - PRB”) und Jérémie Beyou (”Charal”) gerade einmal zwei Seemeilen!
Boris Herrmann konnte als Achter bei knapp 1150 Seemeilen Rückstand auf Charlie Dalin seinen Vorsprung auf den Briten Sam Goodchild ausbauen. Goodchild wiederum wird vom wiedererstarkten “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat angegriffen. Der Franzose hat mit harter Arbeit sein Leck schließen und die defekte Decksdurchführung für das Mastkabel reparieren können. Als Zehnter war Paul Meilhat zuletzt im Schnitt fast zwei Knoten schneller unterwegs als Sam Goodchild.
Auch Boris Herrmann hatte am Vortag reparieren müssen, nachdem er ein Problem bei den Furlern gefunden hatte. Er wechselte sie aus und hielt fest: “Das hat Zeit, ein paar Meilen und Energie gekostet.” Gleichzeitig sagte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper aber auch: “Alles in allem macht es Spaß, nach Osten zu segeln! Nur noch eine Woche bis Kap Hoorn – das ist verrückt! Jetzt ist jeder Tag wertvoll in diesen letzten sieben Tagen im Southern Ocean. Nach dem Hoorn haben wir vielleicht auch noch etwas Zeit im Southern Ocean – das hängt von der Route ab."
Sein Boot preist Boris Herrmann in höchsten Tönen: “Wir haben ein fantastisches Boot! Mit dem hohen Bug und dem Rocker kann man tatsächlich auf dem Vorschiff arbeiten und dabei 22 Knoten Bootsgeschwindigkeit oder sogar mehr erreichen. Ich meine, ohne unter Wasser gesaugt zu werden oder beim Nosediving zurückgeworfen zu werden – das passiert einfach nicht. Es war wirklich cool, hoch über dem Wasser zu fliegen, während ich an den Leinen herumgebastelt habe und dann endlich das Segel hochgezogen habe.“
Für den Malizia-Skipper aus Hamburg und die anderen Jäger des enteilten Trios geht es weiter im Zickzack-Halsenkurs weiter entlang der Eisgrenze. Die Kurse der Solisten malen aktuell optische Bergketten in den Tracker: Es geht auf und ab. Die Herausforderung besteht darin, unter der Blase des Hochs zu bleiben und gleichzeitig den besten Windwinkel zu nutzen, um maximal schnell nach Osten voranzukommen.
Während sich “TeamWork - Team Snef”-Skipperin Justine Mettraux nach tagelangem Kampf im Herzen des Pazifik-Sturms ihren elften Platz knapp hinter Paul Meilhat hart verdient hat und zuletzt auch noch mühsam ihre Wasserentsalzungsanlage reparieren musste, hatten ihre beiden Mitstreiterinnen den Point-Nemo-Zug verpasst. Vor wenigen Tagen noch recht nah beeinander liegend, trennten “Juju” Mettraux und “L’Occitane en Provence”-Skipperin Clarisse Crémer am zu Ende gehenden 40. Renntag schon 940 Seemeilen. Samantha Davies war bei 2314 Seemeilen Rückstand auf die Spitze sogar 1000 Seemeilen hinter Justine Mettraux zurückgefallen.
Das Boot springt wie ein Känguru über die Wellen – es ist die Hölle! Ich entschuldige mich, wenn es sehr laut ist!” Samantha Davies
“Wir sind in einem schrecklichen Abschnitt unterwegs, haben Gegenwind bei vier Metern Seegang. Das passiert normalerweise nie im Südmeer, aber wir müssen ein Tiefdruckgebiet auf der falschen Seite passieren! Wir haben nicht nur viele Meilen verloren, weil wir das Tief vor zwei Tagen verpasst haben, sondern werden auch noch doppelt bestraft!”, gab “Initiatives-Cœur”-Skipperin Samantha Davies Einblicke in ihre aktuellen Herausforderungen.
Weiter sagte Sam Davies: “Ich arbeite gerade an meiner positiven Einstellung, versuche mit dem Bisherigen abzuschließen und nach vorne zu blicken.” Auch körperlich ist die Britin nach fast sechs Wochen auf dem Foiler gefordert, während die Kraft in den Beinen nachlasse: “Man kann sich nicht mehr so viel bewegen, man verbringt viel Zeit sitzend oder liegend, weil man keine große Wahl hat. Ich merke, dass ich weniger Muskeln in den Beinen habe, zwangsläufig!”
Auch im Vergleich zu ihren bisherigen drei Vendée-Globe-Einsätzen sei der Unterschied deutlich spürbar: “Es ist wirklich ganz anders als bei meinen anderen Vendées, ich werde nach der Rückkehr fast so etwas wie eine physische Rehabilitation machen müssen, das wird schwierig! Ich habe kleine Pflaster zur Elektrostimulation an Bord. Ich denke, ich werde sie auf dem Rückweg im Atlantik anwenden, um meine Beine wieder muskulär zu machen!”