Vendée GlobeEmotionen, Tränen und ein Jubelmeer vor dem Zeitlupen-Start

Tatjana Pokorny

 · 10.11.2024

Boris Herrmann verabschiedet sich von seiner Frau Birte Lorenzen-Herrmann, Teamdirektorin Holly Cova und Hund Lilli
Foto: Ricardo Pinto/Team Malizia
Hunderttausende jubelnde Menschen säumten die Ufer entlang des berühmten Kanals von Les Sables-d’Olonne. Der französische 50.000-Einwohner-Hafenort schäumte an diesem Sonntag über vor Begeisterung der Fans für die 40 auslaufenden Boote und ihre Skipper der Vendée Globe. Mit den Emotionen konnte der Wind beim Zeitlupenstart pünktlich um 13.02 Uhr nicht einmal annähernd mithalten.

“Gewinner wird sein, wer seine Grenzen am meisten verschieben kann”, hat Armel Le Cléeac’h über die Vendée Globe gesagt. Der Franzose muss es wissen: Er hat das Rennen vor acht Jahren gewonnen. Seitdem hält er den Rekord mit 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden. Zumindest die ersten Stunden der zehnten Edition deuteten nicht auf eine neue Bestmarke hin.

“Drei geniale Wochen” in Les Sables-d’Olonne

Alain Leboeuf verabschiedete die Skipper auf dem Wasser. Eine halbe Stunde vor dem Start erinnerte der Präsident der Vendée Globe an “drei geniale Wochen” in Les Sables-d’Olonne und wünschte der Flotte ein gutes und sicheres Rennen um die Welt. Das Starterfeld umspannte an diesem Super-Sonntag 40 Wagemutige von der jüngsten Teilnehmerin Violette Dorange (23) bis zum ältesten und erfahrensten Herausforderer Jean Le Cam (65), der bereits sein sechstes Solo um die Welt bestreitet. Beide sind mit Non-Foilern im Einsatz.

Zuvor hatten sich am Morgen im Port Olona berührende Abschiedsszenen zugetragen. Im vollen Bewusstsein, die Liebsten, Freunde und Weggefährten nun rund drei Monate nicht mehr in die Arme nehmen zu können, wurden viele Familienangehörige, Freunde, Temgefährten und auch die Segler selbst von Emotionen gepackt. Einige wie die Jüngste Violette Dorange, der Schweizer Alan Roura und auch Boris Herrmanns Frau Birte Lorenzen-Herrmann konnten ihre Tränen nicht zurückhalten.

Die Fahrt durch den Kanal geriet für alle Starter zur Achterbahnfahrt der Gefühle. Das Motto der Fans war auf einem XXL-Banner zu lesen: “Rock the globe!” Die Lust am großen Segelspektakel im kleinen Ort war nach der Covid-Edition vor vier Jahren gigantisch groß.

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Boris Herrmann war früh wach

“Ich fühle mich gut und bin sehr gespannt“, sagte Boris Herrmann, als er am Sonntagmorgen in der Mixed-Zone zu letzten Interviews eintraf. „Ich habe gut geschlafen, obwohl ich eine Stunde zu früh von meinem Wecker geweckt wurde. Dann habe ich noch ein bisschen mit meiner Hündin Lilli gekuschelt. Ich bin froh, dass sie mich noch auf den Steg begleiten kann, wenn ich in ein paar Minuten zum Boot gehe.”

Weiter sagte Boris Herrmann: “Ich freue mich darauf, die Mannschaft zu sehen, bevor ich ablege, und darauf, an Bord zu sein. Wir haben gerade mit ein paar anderen Skippern im Crewbereich gewartet und ich habe es genossen, in diesen letzten Momenten vor unserer Weltumsegelung mit ihnen zusammen zu sein.“

Rennfavorit Charlie Dalin sagte zum Abschied: “Ich bin in Topform und überglücklich, hier zu sein. Sturm, null Knoten... Ich nehme alles in mich auf! Ich bin so glücklich, dass ich ablegen kann! Ich kann es kaum erwarten, loszulegen! Vor vier Jahren war wegen der Covid-19-Pandemie niemand da. Die Ausfahrt aus dem Kanal mit all den Menschenmassen ist eines der symbolträchtigsten Elemente des Rennens, und ich freue mich sehr, dass ich das dieses Jahr erleben darf. Ich möchte mich für das letzte Rennen revanchieren.”

Charlie Dalin will den Sieg

Damit bezog sich der 40-Jährige auf die neunte Vendée Globe. Damals war er als Erster im Ziel angekommen, aber aufgrund einer Zeitgutschrift für Yannick Bestaven für dessen Beteiligung an der Rettungsmission für Kevin Escoffier noch auf Platz zwei zurückgerutscht. Charlie Dalin sagte: “Letztes Mal war es (Red.: der Sieg) nicht weit weg: zwei Stunden und ein bisschen von 80 Tagen auf See. Ich werde versuchen, es besser zu machen als beim letzten Mal.”

Wie schwer das werden wird, weiß Dalin aber nur zu gut: “Es wird ein tolles Rennen, da bin ich mir sicher. Das Niveau der Konkurrenz ist dieses Jahr sehr hoch. Ich habe meine letzte Nacht in einem richtigen Bett und eine heiße Dusche vor dem Januar genossen. Ebenso wie meine letzten Momente mit Perrine, meiner Frau, und Oscar, meinem Sohn. Ich freue mich, wieder an diesem Rennen teilzunehmen!”

Zu Dalins stärksten Rivalen zählt auch Boris Herrmann, der das im Zeitlupenstart nach umjubelter Fahrt durch den Kanal von Les Sables-d’Olonne direkt unterstrich. In den strapaziösen Flautenbedingungen mit so vielen Windlöchern wie in einem Emmentaler Köse, gelang dem “Malizia – Seaexplorer”-Skipper ein guter Pinend-Start. Boris Herrmann führt die Flotte zum Auftakt an, bevor Paul Meilhat auf “Biotherm” zunächst die Führung vor dem Briten Sam Goodchild auf “Vulnerable” übernahm.

Erster Stolperer: Leine im Propeller

Der offizielle Startschuss zur Vendée Globe war am Sonntag pünktlich um 13.02 Uhr erfolgt. Die berühmteste und anspruchsvollste aller Weltumsegelungen läuft und bietet die üblichen vielen Positionswechsel der Anfangsphase in der noch dicht beeinanderliegenden Flotte. Mehr als 24.000 Seemeilen (45.000 Kilometer) müssen alleine, nonstop und ohne Hilfe zurückgelegt werden.

Nur Conrad Colmans ”MS Amlin” konnte die Linie aufgrund eines technischen Problems zunächst nicht nach Plan überqueren. Eine Leine hatte Colmans Propeller lahmgelegt. Der Skipper mit dem großen Kämpferherzen und chronisch knappem Budget, der die neuseeländische und amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, musste in den Hafen zurückkehren, konnte das Rennen aber um 14.17 Uhr aufnehmen.

Und da wurde er dann direkt entschädigt für die Qualen am Start: Weil der Wind inzwischen gedreht hatte, konnte Colman einen geraden Kurs nach Westen wählen und übernahm im Stile von David gegen viele Goliaths für kurze Zeit die Führung, bevor auch Oliver Heer auf “Tut gut.” die Aussicht als Spitzenreiter genießen durfte.

In die erste Nacht auf See

Leichte Winde von nur vier bis sieben Knoten, ein bald schon aufreißender Himmel und Sonnenschein hatten für den fast reibungslosen Einstieg in das Rennen gesorgt. Zuvor waren die letzten Teammitglieder bis fünf Minuten vor dem Start von Bord der Imocas ins Wasser gesprungen. Die Begleitboote der Teams haben sie danach eingesammelt.

Es wurde erwartet, dass der Wind noch im Laufe des Sonntags etwas zunimmt, bevor die Teilnehmer die erste von sehr, sehr vielen Nächten in Folge alleine auf See verbringen müssen.

Hier geht es zum Vendée-Globe-Tracker und den Zwischenständen. Ein Tipp dazu: Wem die automatisch angezeigtem Daten zu allen Yachten fehlen, der kann via “Display” (unten rechts in der Tracker-Karte) den Modus “Simplified Report” durch einen Klick ausschalten.

Hier fährt Boris Herrmann der Startlinie durch den Kanal von Les Sables-d’Olonne entgegen:

Start-Replay: Hier geht es zur Wiederholung der englischsprachigen Live-Übertragung vom Rennstart:

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