Das Führungsduo segelt weiter mit voller Geschwindigkeit im Passat auf einem langen Schlag in Richtung des Azorenhochs. Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance”) führt mit knapp 190 Seemeilen vor Yoann Richomme (Paprec Arkéa). Sie werden im Kürze einen Hochdruckrücken überqueren, in dem der Wind etwas nachlässt. Danach werden sie eine kräftige Front erreichen, die "eine klare Passage in den Südosten der Azoren" ermöglichen wird, so Vendée Globe Wetterberater Basile Rochut. Je näher Dalin dem Hochdruckrücken kommt, desto mehr kann Richomme aufholen, aber die Routenplanung zeigt, dass Dalin klar im Vorteil ist und am Dienstag die Ziellinie überqueren könnte.
Die zehnte Auflage der Vendée Globe wird nach etlichen bereits vorgelegten Abschnittsbestmarken mit einer Rekordflut zu Ende gehen. Das ist jetzt abzusehen. Nach der stillen und eher langsamen “Corona-Auflage” vor vier Jahren ging es dieses Mal schneller zur Sache. Die neuen Bestmarken werden die alten nicht knapp, sondern deutlich unterbieten!
Fallen wird der Gesamt-Rennrekord, den Armel Le Cléac’h im Rennen 2016/2017 mit 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden aufgestellt hatte. Aktuell segelt Charlie Dalin einem möglichen neuen Rekord von sagenhaften 65 oder 66 Tagen Renndauer entgegen, wenn es bei der Ankunft zwischen dem 14. und 15. Januar bleibt. Dalin hat zum jetzigen Rennzeitpunkt noch 1939 Seemeilen zurückzulegen, für Armel Le Cléac’h waren es vor acht Jahren noch 3734 Seemeilen.
Selbst, wenn der Dominator dieser Auflage noch stolpern sollte – hinter ihm werden einige Skipper mit Zeiten weit unter der acht Jahre alten Bestmarke ins Ziel kommen. Zumindest Yoann Richomme (2128 Seemeilen bis ins Ziel) und der Drittplatzierte Sébastien Simon (2705 sm) liegen deutlich unter der damaligen Distanz von Armel Le Cléac’h.
Weniger Rekordaussichten hat die Verfolgergruppe.
Dabei hat Boris Herrmann noch alle Chancen, sich bis Platz vier vorzuarbeiten. Nur knapp 34 Seemeilen fehlen ihm dazu. Inwieweit die Schäden wegen eines nahen Blitzeinschakges, die Teile seiner Bordelektronik beeinträchtigten, in behindern, voll anzugreifen, ist derzeit nicht bekannt. “Dank des Shore-Teams waren wir imstande, einen Autopiloten und einen Satz Windinstrumente wieder in Gang zu bringen. Das ist wirklich gut!”
Vieles andere aber habe er vorerst nicht: “Das Radar ist kaputt. Der Bildschirm hier arbeitet nicht mehr. Ich habe keine Daten mehr für die Lasten, das Foil-Rake. Das Kiel-System arbeit nicht mehr normal. Ich muss vieles mehr im Handbetrieb machen als normal. Aber ich kann die Batterien laden, habe Strom, den Watermaker…”
Auch der Rennrekord für Frauen wird fallen. Da hatte Clarisse Crémer am Ende ihrer Vendée-Globe-Premiere 2020/2021 als Zwölfte und erste Frau im Ziel vor vier Jahren schon Großes geleistet. Mit ihrem Solo um die Welt in 87 Tagen, 2 Stunden und 24 Minuten hatte sie den bis dahin 20 Jahre währenden Rekord von Ikone Ellen Mac Arthur (94 Tage, 4 Stunden) um mehr als sieben Tage unterboten. Ellen MacArthur bescheinigte Clarisse Crémer damals eine "außergewöhnliche Runde". Doch Clarisse Crémers Rekord wird bei dieser Vendée Globe noch einmal deutlich unterboten werden.
Erste Anwärterin auf eine neue weibliche Bestmarke bei der Vendée Globe ist dabei nicht die von technischen Rückschlägen geplagte Crémer selbst, sondern die Schweizerin Justine Mettraux auf "TeamWork - Team Snef". Sie mischt seit dem ersten Weihnachtstag als einzige Skipperin beharrlich in den Top Ten mit. Zum Ende von Renntag 60 lag sie morgens am 9. Januar auf Platz Zehn, hatte in der Herrmann-Verfolgergruppe rund 100 Seemeilen Rückstand auf den "Malizia – Seaexplorer"-Skipper auf Platz sieben.
Im Ziel ist mit Justine Mettraux nach jüngsten Prognosen etwa zwischen dem 22. und 24. Januar zu rechnen. Das würde zu einer Gesamtrennzeit von bis zu gut 75 Renntagen führen – und damit einer um zwölf Tage (!) schnelleren Zeit als die von Clarisse Crémer vor vier Jahren. Da bliebe für Mettraux sogar noch viel Luft für Fehltritte, Flautenfallen oder anderes mögliches Ungemach.
Und hinter der Schweizerin lauern auf den Plätzen zwölf und 13 auch noch "L'Occitane en Provence"-Skipperin Clarisse Crémer und Samantha Davies ("Initiatives – Cœur"). Auch sie könnten die Ziellinie vor Les Sables-d'Olonne nach 75 bis 77 Renntagen erreichen und den bestehenden Rekord stark unterbieten.