Vendée GlobeDie das Südmeer ruft – Frontmänner vor dem Absprung

Tatjana Pokorny

 · 29.11.2024

Sebastien Simons "Groupe Dubreuil".
Foto: Martin Viezzer/Groupe Dubreuil
Die Vendée-Globe-Frontmänner werden an diesem 29. November den Längengrad des Kaps der Guten Hoffnung kreuzen. Vor ihnen liegt die rund einen Monat währende Südmeer-Hatz. Boris Herrmann und die anderen Verfolger müssen Nehmerqualitäten beweisen, bevor auch sie auf die eiskalte Runde gehen können. 24-Stunden Rekordhalter Seb Simon und sein Kieler Elektronik-Experte Andreas Baden reflektieren die vergangenen Tage.

Der Erste hatte den Längengrad des Kaps der Guten Hoffnung am Morgen des 29. November fast erreicht. Der Letzte ist am Vorabend gerade über den Äquator gesegelt. Der führende "Macif Santé Prévoyance"-Skipper Charlie Dalin hatte am frühen Freitagmorgen bereits 6326 Seemeilen und damit mehr als ein Viertel des Vendée-Globe-Kurses gemeistert.

Vendée Globe: “Formidable Vier” eng beieinander

Schlusslicht Szabolcs Weöres dagegen kam an diesem Morgen nach seinem Auftakt-Knock-Down, den Reparaturen und der Aufholjagd auf bislang geschafften 3.045 Seemeilen. Das waren nach den harten Prüfungen für den Ungarn weniger als die 3282 Seemeilen, die ihn an diesem 19. Tag auf See von Charlie Dalin trennten.

Soweit das Feld dieser zehnten Vendée-Globe-Flotte am Freitagmorgen insgesamt auseinandergezogen war, so eng ging es an der Spitze im Vierkampf von Dalin, "Vulnerable"-Skipper Thomas Ruyant, Yoann Richomme auf "Paprec Arkéa" und 24-Stunden-Rekordsegler Sebastien Simon ("Groupe Dubreuil") zu: Die "Formidablen Vier" trennten nur 36 Seemeilen!

Boris Herrmann segelte zeitgleich als Elfter mit 783 Seemeilen Rückstand auf Charlie Dalin dem 35. Breitengrad Süd entgegen. Sein Rückstand auf die vor ihm liegende Samantha Davies ("Initiatives-Cœur") war über Nacht wieder auf rund 100 Seemeilen angewachsen, während er und die anderen Verfolger der Spitzengruppe sich ihren Weg durch die instabilen Winde bahnten.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

“Viertel-König” der 10. Vendée Globe

Die Top-Vier waren indessen zuletzt auf nordöstlichem Kurs unterwegs. So wollen sich führenden Skipper bestmöglich für den Übergang zum nächsten Tief positionieren. Den Ton in der Führungsgruppe gibt nach wie vor Charlie Dalin an, auch wenn Ruyant, Richomme und Simon nicht lockerlassen.

Dalin wurde am Morgen zum 51. Mal (!) seit dem Start am 10. November bei einem der alle vier Stunden aktualisierten Positionsberichte als Erster ausgewiesen. Damit ist der 40-Jährige Zweite der 9. Vendée Globe 2020/2021 “König des ersten Viertels” dieser Auflage.

Man muss seine Ziele im Auge behalten.” Sebastien Simon

Wann er und die anderen ihren Bug nach Süden ausrichten werden, zählte zu den spannenden Fagen am frühen Morgen des 29. November. Gleichzeitig bleibt für alle Teilnehmer ein intaktes Boot die wichtigste Voraussetzung für ein gelungenes Solo um die Welt. 24-Stunden-Rekordmann Seb Simon sagte: „Jetzt, wo jeder sein eigenes Rennen fährt, gilt natürlich auch das harte Gesetz des mechanischen Sports. Das Ziel ist, den ganzen Weg zu schaffen.”

Sein Ziel formulierte Seb Simon so: “Ich möchte mit einem Boot in gutem Zustand am Kap Hoorn ankommen. Dann werden wir sehen, was wir auf dem Weg über den Atlantik zu leisten imstande sind, aber nicht vorher! Es wird ein sehr, sehr langer Rennmonat werden. Man muss seine Ziele im Auge behalten. Ansonsten ist alles in Ordnung. Ich hoffe, dass es so weitergeht.“

Sebastien Simon fragte sich zuletzt, ob seine nächsten Konkurrenten möglicherweise kleine Schäden wegzustecken haben, die sie beeinträchtigen: “Ich vermute, dass die ersten drei echte technische Probleme hatten, weil ich sie ausnahmsweise wirklich langsam fand. Und da ich sie kenne, weiß ich, dass sie zu viel mehr fähig sind. Also würde es mich nicht überraschen, wenn sie wirklich Probleme hätten. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, so stark auf sie aufzuholen.

Die Verschleißgefahren der Vendée Globe

Es gäbe, so Sebastien Simon, “zwangsläufig einige Verschleißpunkte, Tauwerk und die Ankerpunkte für die Segel an Deck, die ein wenig beschädigt werden”. Zum Zustand des eigenen Bootes sagte Sebastien Simon: “Im Großen und Ganzen ist es in Ordnung. Ich versuche regelmäßig meine Runden zu machen, fast jeden Tag. Und ich denke, dass dieses Boot wirklich gut vorbereitet ist. Das ist es, was uns erlaubt, die Maschine ein wenig zu pushen.”

Ich muss mein Boot so vorwärts bringen, wie ich es fühle.”

Dabei sprach Simon, der mit 615,33 Seemeilen über 24 Stunden eine fabelhafte Bestmarke aufgestellt hat, auch über die Verlockungen der Rekordraserei und den Rausch des schnellen Tempos an der Spitze der Vendée-Globe-Flotte: “Der schwierigste Punkt ist, sich nicht von den ersten drei mitreißen zu lassen, mein eigenes Tempo zu halten, nicht zu sehr auf die anderen zu schauen, meine eigene Flugbahn zu nehmen, weiterhin die Ausrüstung zu überprüfen.”

Der “Groupe Dubreuil”-Skipper nahm auch Bezug auf Kommentare der anderen Skipper: “Yoann (Red.: Richomme) hat gesagt, dass man dieses Tempo nicht zwei Monate lang durchhalten könne und dass es nicht sehr vernünftig war. Was soll ich da denken? Es bringt mich zum Lachen, dass Yoann derjenige ist, der das sagt, denn er ist immer noch der brutalste von uns und das schon seit Le Figaro. Dafür ist er bei uns bekannt!”

Er selbst, so Sebastien Simon, habe “keine allzu große Angst vor der Maschine”: “In Wahrheit sind es Boote, die gut getestet wurden. Ich habe Vertrauen in meine Maschine. Ich weiß, wann ich pushen kann und wann nicht. Ich gehörte zum Beispiel nicht zu denen, die bei der Vorbeifahrt am Kap Finisterre so hart gepusht haben, weil die See rau war.“

Ideale Rekordbedingungen: wenig Seegang, konstanter Wind

Als Elektronik-Experte und Imoca-Segler mit eigenen Vendée-Globe-Plänen für die elfte Edition 2028/2029 berät der Kieler Andreas Baden Sebastien Simon, hat dessen Teilnahme minutiös mit ihm vorbereitet. So stammt auch ein 90 Seiten starkes Elektronik-Handbuch für Seb Simon an Bord der “Groupe Dubreuil” von Andreas Baden.

Der studierte Agar- und Umweltwissenschaftler erklärt, warum die Rekordbedingungen der vergangenen Tage die Boote nicht so stark belastet haben, wie es unter anderen Bedingungen hätte sein können. Andreas Baden sagt: “Die Titel in den Medien klingen manchmal dramatischer als es sich zumindest für mich in der direkten Kommunikation und in Kenntnis der Bedingungen an Bord tatsächlich scheint. Konkret gesagt: die Boote an der Spitze hatten dort wenig Seegang und konstanten Wind.”

Andreas Baden zieht Parallelen zum selbst Erlebten: “Ähnliche Bedingungen hatten wir auch bei unserem letzten 48-Stunden-Training (Red.: vor dem Vendée-Globe-Start), als wir in den ersten acht Stunden "nur" etwas mehr als 160 Meilen getrackt haben. Das waren ganz entspannte Stunden, in denen der eine ein bisschen geschlafen, der andere was gelesen und der dritte an Bord mit den Instrumenteneinstellungen und Daten gearbeitet hat.”

Stabile Flugbedingungen, keine größeren Einschläge

Andreas Badens Botschaft: “Bei so wenig Welle kommt man in stabile Flugbedingungen – ohne größere Einschläge und Abbremsen. Da ist, wenn die Technik läuft, das Segeln an sich entspannt. Jetzt kommen hier natürlich zwei Faktoren hinzu: Seb ist im Wettkampf und muss an der Front bleiben. Das heißt es gilt, entsprechend Zeit und Energie in ein gutes Routing und optimale Einstellungen zu investieren.”

Andersherum gelte: “Viel erschöpfender ist es dagegen, wenn man Windschwankungen hat und Segel wechseln muss oder wenn mehr Welle ist und das Boot ständig in die Wellen kracht und gegebenenfalls stark abbremst. Oder wenn es an Bord größere Wartungsarbeiten oder Reparaturen gibt. So hatte Justine einen Schaden am großen J0-Vorsegel und ein Fischernetz um den Kiel. Das zu handeln ist deutlich energieraubender für die Segler.”

“Selbsterklärend” sei, so Andreas Baden, “dass man bei dem Bootspeed nichtsdestotrotz sehr aufmerksam sein und die Zahlen und Lasten an Bord im Blick behält sollte, ist logisch.” Dementsprechend käme man eventuell zu “weniger Power-Naps”, spüre dadurch “natürlich eine stärkere Erschöpfung”. Auch mental, so Baden, sei die Situation a der Spitze fordernd. Die harte Regel da draußen im Südatlantik: “Wer aus der Front rausrutscht, der wird schnell viele Meilen auf die Spitze verlieren.”

Vendée-Globe-Imocas mit starker Struktur

Keine Frage für Andreas Baden: “Mit Blick auf die Belastung für das Material ist es doch schöner, eine konstante Last zu haben als andauernd Lastspitzen, wenn man in einer Welle um zehn bis zwanzig Knoten abbremst. Wenn das Boot also gut eingestellt und ausbalanciert ist, passt es.” Darüber hinaus sei auch “der Vergleich der Boote ganz interessant”. Andreas Baden sagt: “Die Favoritenboote in der Flotte sowie auch das Boot von Seb sind 0,5 bis eine Tonne schwerer als der Durchschnitt. Was gegebenenfalls in die Struktur investiert wurde.”

Darüber hinaus erklärt Andreas Baden, welches Plus “sein” Skipper Sebastien Simon mit der schnellen “Groupe Debreuil” noch auf seiner Seite habe: “Das Boot von Seb ist durch den Vorbesitzer 11th Hour Racing bis einschließlich zur Teilnahme am Ocean Race bereits ausgiebig getestet und die Grenzen ausgelotet worden. Und wir haben intensiv daran gearbeitet, das Boot noch weiter zu entwickeln und es zuverlässig zu machen.”


An diesem 29. November bereit für einen Leichtwindtag – der jüngste Video-Clip von Boris Herrmann zeigt, mit welchen leichten Winden er sich am 19. Renntag plagen muss. Der “Malizia – Seaexplorer” ist aus den zuletzt etwas besseren Winden nach Süden ausgeschert, um sich “besser für den neuen Wind” zu positionieren:

Meistgelesen in der Rubrik Regatta