Vendée GlobeDie couragierten Sechs – so weiblich ist die Vendée Globe

Tatjana Pokorny

 · 29.10.2024

Sam Davies ist die "Herz-Dame" der Vendée Globe
Foto: Jean-Louis Carli/Aléa
Eine Rekordflotte von 40 Booten wird zur 10. Vendée Globe an der Startlinie aufkreuzen. 34 Skipper und sechs Skipperinnen bilden die so diverse wie wagemutige Flotte für das Nonstop-Solo um die Welt. Wer sind die Frauen, die sich trauen? Und mehr noch: Wer sind diejenigen unter ihnen, die der männlichen Konkurrenz im Kampf um die Podiums- und Top-Ten-Plätze auf Augenhöhe begegnen werden?

Sechs Solistinnen starten am 10. November in die zehnte Edition der Vendée Globe. Angeführt wird die kleine, aber sehr feine Gruppe der Meeresstürmerinnen bei der Jubiläumsauflage von Samantha Davies. In Segelkreisen nur als “Sam” bekannt, blickt die in Frankreich lebende britische “Initiatives-Cœur 4”-Skipperin ihrem vierten Solo um die Welt entgegen.

Nach einem “Ufo”-Crash vor Kapstadt und dem bitteren Aus bei der letzten Auflage würde die 50-Jährige lieber ihr Premieren-Ergebnis wiederholen oder verbessern: Bei der Vendée Globe 2008/2009 war sie als Vierte ins Ziel gekommen.

Sam Davies: Vendée-Globe-Podium möglich

Sam Davies wurde im englischen Portsmouth als Tochter einer Seglerfamilie geboren und verbrachte ihre Kindheit auf dem Wasser. Ihr Großvater war ein U-Boot-Kapitän. Laufen lernte sie auf dem Boot der Eltern. Nach einem Ingenieurstudium an der Universität Cambridge startete sie im Alter von 24 Jahren in ihre Regattakarriere durch. Mit fünf Weltumsegelungen und zahlreichen Transatlantiküberquerungen ist sie eine der erfahrensten Seglerinnen der Welt.

Sam Davies gilt nicht nur aufgrund ihrer offenen und dynamischen Herangehensweise, ihres Wagemuts und ihrer großen Leidenschaft fürs Seesegeln als “Herz-Dame” der Imoca-Welt. Sie nutzt auch jede Regatta, um Spenden für herzkranke Kinder zu sammeln. Ihr Engagement für die Kinder hat sie zu der Seglerin mit dem großen Herzen gemacht, der es gelungen ist, sportliche Leistung mit Solidarität zu verbinden. Ihr Boot wurde bei Black Pepper Yachts gebaut, 2022 getauft und von Sam Manuard entworfen.

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Boris Herrmann stuft die seit 20 Jahren im Imoca-Circuit höchst aktive Sam Davies als “auf jeden Fall Top-Ten-, aber auch mögliche Podiumskandidatin” ein. Die Britin hat Hunderttausende Seemeilen in ihrem Heckwasser und zuletzt im Frühjahr mit Platz drei im Transat beeindruckt. Ihr eigenes Ziel für diese Vendée Globe: “Am stolzesten wäre ich, wenn ich vom ersten bis zum letzten Tag im Spiel sein könnte. Das habe ich bei meinen beiden vorherigen Teilnahmen vermisst. Ich möchte mit Engagement segeln und ganz vorne mit dabei sein. Ich weiß, dass das Boot und ich dazu in der Lage sind.”

Justine Mettraux: Schweizer Top-Ten-Kandidatin

Auch Justine Mettraux auf “TeamWork-Team Snef” werden gute Chancen auf eine starke Top-Ten-Platzierung eingeräumt. Die 38-jährige Genferin stammt aus einer Schweizer Seglerdynastie. Ihre Brüder und Schwestern segeln ebenfalls auf höchstem Niveau. Justine Mettraux ist zu einem Fixstern im Oberhaus der Imoca-Klasse herangereift. Auch ihr wird bei dieser Vendée Globe ein herausragendes Ergebnis zugetraut, obwohl sie mit der Ex-”Charal” von 2018 kein so ganz neues Design hat wie die Top-Konkurrenten.

Justine Mettraux verfügt über immense Hochseeerfahrung, hat zuletzt im Ocean Race mit dem Team 11th Hour Racing triumphiert. Das war schon ihr zweiter Sieg, denn zuvor hatte sie das bekannteste Mannschaftsrennen um die Welt 2018 mit dem Dongfeng Race Team in Regie von Skipper Charles Caudrelier gewonnen.

Als auffallend bescheidene Persönlichkeit hatte Justine Mettraux anfangs Zweifel an ihren Fähigkeiten als Solistin, aber ihre konstant guten Leistungen auf der von VPLP entworfenen “TeamWork-Team Snef” aus dem Jahr 2018 sprachen und sprechen weiter für sich. Mettraux ist fest entschlossen, bei ihrer ersten Vendée Globe gut abzuschneiden. Viele Experten sehen bei Justine Mettraux das Potenzial für einen Platz unter den besten fünf Herausforderern.

Clarisse Crémer: ehrgeizige Rekordhalterin

“L'Occitane en Provence”-Skipperin Clarisse Crémer war vor vier Jahren die schnellste Frau, die allein und ohne Unterbrechung die Welt umsegelte. Nach 87 Tagen hatte die Französin, die inzwischen Mutter geworden ist, die Vendée-Globe-Ziellinie bei ihrer Premiere als Zwölfte insgesamt und erfolgreichste Skipperin der neunten Edition gekreuzt. Jetzt ist sie mit der ehemaligen und von Guillaume Verdier entworfenen “Apivia” wieder am Start.

Vorbereitet hat sich Clarisse Crémer im Doppelpass mit Alan Roberts. Betreut wird sie von keinem Geringeren als dem ehemaligen britischen Vendée-Globe-Star Alex Thomson. Eine weitere Besonderheit ist, dass auch Clarisse Crémers Ehemann Tanguy Le Turquais (”Lazare”) das Solo-Rennen um die Welt bestreiten wird. Clarisse Crémers Ziel ist leicht verständlich, aber anspruchsvoll zu erreichen: Nach einer nicht ganz einfachen Saison 2024 strebt die 34-Jährige an, sich gegenüber ihrer Premiere zu verbessern. Das bedeutet als Zielsetzung einen Platz zwischen eins und elf.

Isabelle Joschke: bereit für den zweiten Versuch

Das wäre auch für Isabelle Joschke ein Traumergebnis. Die Imoca-Karriere der in München geborenen Deutsch-Französin reicht bis ins Jahr 2017 zurück. Beim letzten Mal bestritt sie eine heldenhafte und konkurrenzfähige Vendée Globe. Sie musste das Rennen aber nach dramatischen Tagen und Nächten mit schweren Kielproblemen aufgeben, beendete die Solo-Runde um die Welt außerhalb der Konkurrenz.

Mit einem VPLP-Verdier-Design aus dem Jahr 2007, das in einer von Alain Gautier geleiteten Kampagne mit Foils ausgestattet wurde, wird es bei Isabelle Joschkes zweiter Vendée-Globe-Teilnahme eine Herausforderung sein, die Top-Ten zu erreichen. Doch die 47-Jährige, die sich für mehr weibliche Imoca-Skipperinnen einsetzt, ist die kämpferische und entschlossene Solistin geblieben, die sie immer war. Man darf erwarten, dass sie alles daran setzen wird, das maximale Potenzial ihres Bootes auszureizen.

Isabelle Joschkes Bllick auf das bei der Premiere Erlebte und die bevorstehende zweite Bewährungsprobe fällt optimistisch aus: “Es hat bei mir lange gedauert, bis ich den richtigen Sinn wiedergefunden habe. Meine erste Teilnahme war logisch. Ich wollte das schon lange machen. Die Vendée Globe ist ein unheimlich großes Abenteuer.”

“Es hat sich sich viel zum Positiven verändert. Ich freue mich sehr auf meine zweite Teilnahme!” Isabelle Joschke

Für Segler, sagt sie, sei die Vendée Globe “einfach der Everest”. Und weiter: “Das willst du machen. Am Ende war ich froh, es gemacht zu haben, aber es war sehr schwer. Ich habe während des Rennens sehr gelitten. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte gedacht, dass ich eine starke Persönlichkeit bin, die alles meistern kann. Dass ich es ohne Probleme durchbringe.” So aber war es im ersten Anlauf nicht, als sie mit frei schwingendem Kiel durch die Hölle ging. Im zweiten Anlauf soll es anders laufen.

Pip Hare: Kämpferin und Entertainerin

Als zweite Britin neben Sam Davies ist ebenfalls zum zweiten Mal Pip Hare im Spiel. Die 50-Jährige hatte ihre Premiere bei der neunten Vendée Globe mit Platz 19 beendet. Danach kaufte sie den 2015 von Louis Burton gebauten VPLP-Verdier-Foiler “Bureau Vallee 2” (ehemals “Banque Populaire VIII”). In Zusammenarbeit mit dem technischen Direktor Joff Brown wurde das Boot einem umfassenden Refit unterzogen und mit neuen, sehr viel größeren Foils ausgestattet.

“Medallia”-Skipperin Pip Hare ist eine großartige Protagonistin für das Solo-Rennen um die Welt, die gerne und mitreißend von ihren Abenteuern auf See erzählt. Wie zäh und fähig sie ist, bewies sie bei der letzten Auflage, als sie im Südpolarmeer ein gebrochenes Ruder auswechselte. Pip Hare operierte während der Vorbereitungen auf das zweite Solo um die Welt mit ihrem Team in Poole an der englischen Südküste. Auch sie wünscht sich für ihren erneuten Gipfelsturm ein besseres Ergebnis als beim letzten Mal.

Violetta Dorange: die Jüngste will es wissen

Ihre Premiere feiert die Jüngste des weiblichen Sextetts für die Vendée Globe: Violetta Dorange ist erst 23 Jahre alt und fordert als Vendée-Globe-Neuling schon alle Weltmeere heraus. Die junge Französin strahlt enorme positive Energie aus, geht das Rennen aber gleichzeitig mit sehr ernsthaften Ansprüchen an. Die Vierzehnte der Imoca-Weltrangliste hat schon bewiesen, dass ihr 2006 gebautes und von Farr Yacht Design entworfenes Boot “Devenir” mit vergleichbaren Konkurrenten mithalten kann.

Als Schützling von Altmeister Jean Le Cam segelt Violetta Dorange das Boot, mit dem Michel Desjoyeaux 2001 seinen Sieg errang und mit dem Jean Le Cam 2021 einen bemerkenswerten vierten Platz belegte. Als ehemalige 420er- und Mini-Transat-Seglerin aus La Rochelle hat Dorange nur ein kleines Budget, aber hart gearbeitet, um ihr Handwerk zu lernen und die Systeme an Bord zu verstehen. Die junge Frau wird definitiv eine eigene Geschichte bei dieser 10. Vendée Globe zu erzählen haben. Sie ist gekommen um zu bleiben.

Interessant ist noch zu wissen, es in der Vendée-Globe-Geschichte seit der Premiere 1989 bislang zwölf Skipperinnen auf 15 Starts gebracht haben. Die Französin Catherine Chabaud hat zwei Anläufe unternommen, Sam Davies sogar drei. Catherine Chabaud gelang es als Erste, eine Rennen abzuschließen. Sie kam im Rennen 1996/1997 als Sechste ins Ziel. Das beste Ergebnis gelang 2000/2001 Englands Segelikone Ellen MacArthur mit Platz zwei.

10. Vendée Globe: 15 Prozent der Starter sind Frauen

Dreimal – bei der Premiere, 1992/1993 und 2016/2017 – waren keine Frauen am Start einer Vendée Globe. Mit sechs Frauen an der Startlinie der 10. Vendée Globe ist der bisherige Rekord der neunten Edition 2020/2021 (damals: 18 %) eingestellt. In der Rekordflotte der jetzt bevorstehenden Auflage kommen die sechs Frauen auf einen weiblichen Starteranteil von 15 Prozent.

SPEKTAKULÄR! Bilder von einem Pazifik-Ritt, den Isabelle Joschke bei ihrer Vendée-Globe-Premiere vor vier Jahren erlebte:

WILLKOMMEN AN BORD! Sam Davies stellt ihr Boot “Initiatives-Cœur” für die Vendée Globe vor:

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