Vendée Globe“Der erste Teufel aus der Kiste” – das Tief kommt!

Tatjana Pokorny

 · 04.12.2024

Das Bild von "DMG Mori"-Skipper Kojiro Shiraishi passte gut zu den Prüfungen im Indischen Ozean.
Foto: Kojiro Shiraishi/VG2024
Im Indischen Ozean bereiten sich die führenden Boote auf den bislang größten Härtest bei dieser zehnten Vendée Globe vor. Das große Tief rückt an, ist teilweise schon zu spüren. Wird es für die Spitzenreiter Charlie Dalin und Seb Simon zum gefährlichen Monster oder kann es ihnen gar zu einem Coup verhelfen?

Die Karten sind verteilt, der Ausgang der Begegnungen mit dem schweren Tief noch offen. Während die sieben ersten Verfolger von Charlie Dalin und Sébastien Simon es vorgezogen hatten, ihren Kurs im Indischen Ozean frühzeitig und teilweise verlustreich nach Norden zu verlegen, stehen für die beiden Frontmänner Härtetests bevor. Die Skipper von “Macif Santé Prévoyance” und “Groupe Dubreuil” hatten sich bewusst, aber angesichts ihrer Positionen ohne vernünftige Alternativen dazu entschlossen, ihre Kurse auf direktem Kurs nach Osten fortzusetzen.

Vendée-Globe-Sturmtief kommt mit voller Wucht

Dabei wussten sie, dass sie es auf diesem Weg schon bald mit Winden von über 50 Knoten und massiven Wellenbergen zu tun bekommen könnten. Nach jüngsten Prognosen könnten die bereits am Mittwochnachmittag in Starkwinden der Vorderseite des Tiefs segelnden Charlie Dalin und Seb Simon voraussichtlich von Freitag auf Samstag mit dem brutalsten Gipfel der Bedingungen konfrontiert sein. Zwischendurch könnten sie im windarmen Zentrum des Tiefs eine kurze Verschnaufpause erleben.

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Die dringlichsten Fragen am beginnenden 25. Renntag: Wird es ihnen gelingen, diesem höchst unromantischen Rendez-vous ohne Kratzer zu entkommen? Und: Schaffen sie es, nicht vom Zentrum des Tiefs verschluckt werden?

Die Frage ist nicht unberechtigt, denn beim anrauschenden Tief handelt es sich um ein “hohles” System, das über die Spitze der Flotte hineinbricht und in der weiteren Folge die Führenden enorm fordern wird. Der Wetterexperte der Vendée Globe hat zwar die beängstigenden Erwartungen minimal nach unten korrigiert, doch bedeuten 50 Knoten Wind und voraussichtlich sieben Meter hohe Wellen immer noch eher Überlebens- denn Regattabedingungen.

“Der Indische Ozean holt nun den ersten Teufel aus der Kiste”, vermeldeten die Vendée-Globe-Veranstalter selbst. Die am stärksten Betroffenen werden Charlie Dalin und der zuletzt 50 Seemeilen hinter ihm segelnde Sébastien Simon sein. Die beiden, so heißt es in den offiziellen Statements, werde es “mit voller Wucht treffen”. Interessant sei die Frage, so Dumard, “ob es ihnen gelingt, bei sehr starkem Wind schnell zu segeln, oder ob sie von der Flaute, die von hinten kommt, eingeholt werden.“

Böse Begegnung oder ein Coup?

Die Antwort darauf wird es voraussichtlich erst am Samstag geben, doch sicher ist schon jetzt: Wenn es den beiden Top-Skippern gelingt, ohne Bruch durchzukommen und nicht eingesaugt zu werden, könnte ihnen ein großer Coup gelingen. Der Grund dafür? Da sie sich auf einem strafferen Kurs befinden als ihre nördlicheren Gegner, deren Strategie vor allem auf Vorsicht beruht, könnten sie mit einem Bonus von fast 250 Meilen herauskommen.

Das wiederum bereitete “Paprec Arkéa”-Skipper Yoann Richomme Sorgen, der am Dienstag für eine Weile mit unnatürlichen Kurs nach Norden auf sich aufmerksam gemacht hatte. Er hatte die Extrameilen in Kauf genommen, um dem harten Kern dieses ersten großen Südmeerüberfalls aus dem Weg zu gehen.

Ich kann mich nicht entscheiden, was ich von der Süd-Option halten soll.” Yoann Richomme

Dazu hatte Yoann Richomme gesagt: “Alles dreht sich ein bisschen in meinem Kopf. Das kleine Fahrrad läuft. Ich habe das Gefühl, dass Charlie und Seb am Ende gar nicht so schlecht abschneiden werden. Das Szenario entwickelt sich eher gut für sie. Das Tief füllt sich, es wird viel kleiner und sie könnten ein schönes Ergebnis erzielen.”

Richomme führt die Nordgruppe an

Unabhängig davon, wie die hochspannende Südpartie der beiden Frontmänner Dalin und Simon ausgeht, führte Yoann Richomme die Nordgruppe am Nachmittag des 4. Dezember an. Er selbst und der rund 40 Seemeilen hinter ihm liegende “Vulnerable”-Skipper Thomas Ruyant bretterten am Mittwochnachmittag mit 24 bis 27 Knoten Speed beim 39. Breitengrad Süd nach Osten. Sie dürften bald schon die heftigsten Auswirkungen des Tiefs hinter sich haben. Rund 450 Seemeilen süd-südöstlich des Duos Richomme/Ruyant kamen Dalin und Simon zuletzt mit 16 bis knapp 20 Knoten Speed voran.

Indessen hatte auch die Verfolgergruppe auf den Plätzen zehn bis dreizehn stark zu kämpfen. Nur anders. Justine Mettraux (”TeamWork - Team Snef”), Samantha Davies (”Initiatives-Cœur”), “Malizia – Seaexplorer”-Skipper Boris Herrmann und Clarisse Crémer (”L’Occitane en Provence”) trennten knapp 200 Seemeilen. Sie arbeiteten sich in zwar leichteren Winden, dafür aber sehr unangenehm ruppiger See durch die Auswirkungen des Agulhasstroms.

Während der Indische Ozean die Flotte auf seiner Buckelpiste fordert, haben sich seine Herausforderer mehr und mehr mit Abnutzungserscheinungen, Bruch und gerissenen Segeln auseinanderzusetzen. Auch Boris Herrmann fand in der Nacht zum Dienstag keinen Schlaf, musste MacGyver-Qualitäten beweisen, um die beschädigte Hydraulik seines Backbord-Foilkastens wieder in den Griff zu bekommen.

Boris Herrmanns MacGyver-Qualitäten gefordert

Boris Herrmanns Technischer Direktor Pierre-François “Pifou” Dargnies berichtete, was sich an Bord von “Malizia – Seaexplorer ereignet hatte. Und wie Boris Herrmann der Lage mit einer intensiven Nachtschicht zunächst wieder Herr wurde: “Gebrochen ist gestern Abend gegen 22.45 Uhr deutscher Zeit der Bolzen des Hydraulikzylinders. Boris musste das Boot stoppen und zuerst herausfinden, was passiert ist.”

Weiter sagte Dargnies: “Boris hat gesehen, dass die Verbindung zwischen dem Bolzen und dem oberen Lager der Foilbox auf Backbord gebrochen ist. Unglücklicherweise haben wir dafür keine Ersatzteile. Das ist nicht leicht zu reparieren. Wir haben ein Ersatzsystem, um das Lager auf einem fest eingestellten Neigungswinkel zu fixieren. Das ist es, was Boris gestern Nacht gemacht hat.” Doch damit war sein Reparaturmarahton noch nicht beendet.

Boris Herrmann konnte zwar vier bis fünf Stunden weitersegeln, doch dann holte ihn das Problem wieder ein. Pierre-François Dargnies erklärte: “Unglücklicherweise lockerte sich das System nach vier, fünf Stunden. Einige Teile fielen in den Foil-Kasten hinein. Boris musste ab etwa 3 Uhr morgens jedes Teil einzeln einfangen und das System wieder zusammensetzen. Jetzt sitzt das System wieder an seinem Platz. Das ist perfekt.”

Stolz und müde bei der Vendée Globe

Ganz aus der Welt ist das Problem aber weiter nicht. “Ich hatte dazu heute Morgen ein Treffen mit VPLP. Die erste Botschaft war, dass es über einen längeren Zeitraum funktionieren und arbeiten kann. Aber sie müssen eine schnelle Kalkulation durchführen, um den Sicherheitsfaktor zu überprüfen und sicherzustellen, dass wir wirklich sicher sind, während wir dieses System nutzen.”

Boris Herrmann war nach der Marathon-Reparatur zunächst stolz, aber auch sehr, sehr müde. Den Zustand teilte er an diesem Tag mit vielen Vendée-Globe-Akteuren, die den härteren Bedingungen und eigenen Herausforderungen auf ihren Booten Tribut zollen. Beispiele dafür finden sich regelmäßig beim Live-Ticker von YACHT online hier.

Die wöchentliche Zusammenfassung von Team Malizia nach der vierten Rennwoche erschien heute:

Erster Clip nach Boris Herrmanns “MacGyver”-Einsatz über Nacht. Mehr Details sollen folgen:

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