Während Spitzenreiter Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance”) tief im Süden von Australien der Passage von Tasmanien entgegengaloppiert, hat sein erster Verfolger Sébastien Simon weiter an Boden verloren. Mit gebrochenem Foil hetzt der “Groupe Dubreuil”-Skipper dem Führenden hinterher und wird seinerseits zunehmend vom stark aufkommenden “Paprec Arkéa”-Skipper Yoann Richomme angegriffen.
Die beiden Franzosen trennten auf den Plätzen zwei und drei am Mittwochvormittag keine 100 Seemeilen mehr. Dabei waren Simon und Richomme zuletzt aber etwa beim 44. Breitengrad Süd wieder mit ähnlichen Geschwindigkeiten von knapp 20 Knoten unterwegs, während Charlie Dalin sich schon deutlich weiter nach Süden, bis hinunter auf den 48. Breitengrad begeben hat.
Der Dominator gab am Mittwoch Einblicke in sein Bordleben: “Wir haben seit einiger Zeit einen wirklich miesen Seegang. Außerdem fresse ich ein wenig von Wellen, die durch den Sturm vor mir entstanden sind. Das ist nicht gerade angenehm. Aber eigentlich sind die Bedingungen ziemlich gut, der Wind ist weder zu schwach noch zu stark. Es ist eher der Seegang, der das Vorankommen behindert. Ich habe zwischen 20 und 25 Knoten Wind, es gibt kleine sonnige Momente. Wenn der Himmel aufklart, habe ich 15 Grad im Boot.”
Dalin erklärte, er habe seine “Reisegeschwindigkeit” gefunden, auch wenn die letzten Tage, die letzten Wochen “ziemlich anstrengend” gewesen seien und er am Horizont “keine wirklichen Erholungsmöglichkeiten” sehe. Dalins Zwischenfazit: “Alles ist in Ordnung, in bester Verfassung.” Der Indische Ozean sei “wirklich extrem schnell vorbeigegangen”. Dafür hatte sich der 40-Jährige mit einem neuen Rekord (9 Tage, 22 Stunden, 27 Minuten) vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Leeuwin belohnt.
“Vulnerable”-Skipper Thomas Ruyant – noch vor wenigen Tagen im “Päckchen” mit Richomme unterwegs – hat als Vierter inzwischen rund 200 Seemeilen Rückstand auf Richomme angesammelt. Es folgt das Duo mit Jérémie Beyou (”Charal”) und Nico Lunven (”Holcim-PRB”). Hier hat sich zuletzt Beyous “Black Beauty” ein kleines Polster von 40 Seemeilen Vorsprung erarbeiten können. Auch diese beiden streben nach ihrer teuren Nordschleife stramm nach Süden, segelten am Morgen des 11. Dezember zwischen dem 43. (Beyou) und dem 42. Breitengrad (Lunven).
Mit nur noch 30 Seemeilen Rückstand auf Nico Lunven, griff der zweite “Vulnerable”-Skipper Sam Goodchild an. Bei 835 Seemeilen Rückstand nach ganz vorne, schickte sich der Brite an, im Klassement wieder vorzurücken. Gleichzeitig ließ auch der vorgerückte “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat nicht locker. Als Achter hat der Franzose seinen Rückstand auf Goodchild inzwischen auf nur noch gut 30 Seemeilen verkürzt.
Titelverteidiger und “Maître Coq V”-Skipper Yannick Bestaven verteidigte am Mittwochvormittag seinen neunten Platz mit komfortablem Vorsprung vor Boris Herrmann. Der “Malizia – Seaexplorer” ist mit seinem Verfolger-Quartett im Abgleich zu den voderen Booten über Nacht entsprechend der schwächeren Winde wieder etwas zurückgefallen. Dieses “Zieharmonikaspiel” hatte er selbst am Vortag bei einer Pressekonferenz vorhergesehen.
Von Yannick Bestaven trennten Boris Herrmann nach Tag eins des zweiten Rennmonats gut 250 Seemeilen. Die Führung seiner Verfolgergruppe konnte Boris Herrmann dagegen um 14 Seemeilen gegenüber Justine Mettraux auf Platz elf wieder ganz leicht ausbauen. Etwas zurückgefallen hinter Herrmann sind “L’Occitane en Provence”-Skipperin Clarisse Crémer, die mehr als 100 Seemeilen hinter “Malizia – Seaexplorer” segelte. Und Sam Davies. Die “Initiatives - Cœur”-Skipperin hat inzwischen erklärt, was sie so aus dem Takt gebracht hat, dass sie inzwischen 156 Seemeilen hinter Boris Herrmann zurückgefallen ist.
Schuld war ein Blackout an Bord ihres Bootes. Die Ausgangssituation schilderte sie so: "Ich hatte eine 'interessante' Nacht. Ich habe letzte Nacht meine Batterien mit dem Generator (Lichtmaschine) aufgeladen. Ich befinde mich in einer fordernden Situation, in der ich keinen Hydrogenerator mehr habe, weil dessen Halterung abgerissen ist. Ich muss mich im Moment auf auf das Laden per Generator und die Solarpanele stützen. Das Boot war zu zwei Dritteln aufgeladen.”
Dann kam es zum Totalausfall, wie Sam Davies erzählt: “Das Boot bewegte sich schnell durch die raue See. Plötzlich fiel alles aus - keine Infos mehr, kein Autopilot mehr, kein Computer mehr - kompletter Blackout! Das Boot fuhr superschnell in einen Wellenberg und ich wurde aus meinem Sitz im Cockpit geschleudert - ich hatte nicht einmal Zeit, nach dem Ruder zu greifen!” Es endete mit einer Crash-Wende und backstehenden Segeln. Das Boot war in einem Winkel von fast 90 Grad auf die Seite geneigt.”
Sam Davies beruhigte sich in dieser Situation zunächst selbst, sagte sich: “Nur keine Panik." Ihre Gedanken im Chaos: “Ich hatte keinen Autopiloten mehr, keine Elektronik, ich konnte nicht einmal den Kiel kippen, um das Boot aufzurichten. Aber am Ende war es besser, das Boot in dieser Lage zu halten und unter Deck zu gehen, um zu versuchen, den Strom wieder zurückzubekommen.”
Dabei spielte ihr Boot gut mit, wie Sam Davies berichtete: “Es ist ein bisschen beeindruckend, aber die backstehenden Segel hielten das Boot stabil, ohne dass man den Autopiloten brauchte. Also kletterte ich entlang der Wände statt über den Boden ins Boot, um an die Schalter zu kommen und zu versuchen, das Boot wieder in Gang zu bringen. Da muss man geduldig sein. Schließlich habe ich mich wieder aufgerappelt und das Boot in aller Ruhe aufgerichtet. Und es ging wieder los!”
Was bleibt, ist ein gewissen Maß an Ungewissheit, wie Sam Davies einräumte: “Das einzige Problem ist, dass ich nicht genau weiß, woher der Fehler kam - also musste ich mehrere Tests durchführen, um ihn zu verstehen. Das bedeutete mehrere Blackouts in Folge und meine entsprechenden Reaktionen, während das Boot jedes Mal auf der Seite lag. Das ist weder sehr beruhigend noch sehr schnell."
Vermutlich mein bester MacGyver-Einsatz bislang.” Boris Herrmann
Eine kleine Freude hingegen bescherte sich Boris Herrmann. Team Malizias zuletzt sehr bärtiger Skipper schickte ein glücklich lächelndes Portraitfoto mit seinem Rasierer von See und schrieb dazu: “Das Rasieren ist hier zu einem Projekt geworden. Der Rasierer hat versagt. Also habe ich ihn aufgeschnitten und ihn direkt ans Bordnetz angeschlossen. Das hat geklappt! Bin sehr stolz!"
Noch ein Blick auf den bestehenden Vendée-Globe-Rekord, den Armel Le Cléac’h bei der vorletzten Auflage 2016/2017 mit 74 Tagen, 3 Stunden und 35 Minuten aufgestellt hatte. Charlie Dalin gibt an der Spitze alles, um an die Bestmarke ranzukommen. Am Ende des 31. Renntages hatte Dalin “nur” noch 240 Seemeilen aufzuholen, die er am vergleichbaren Tag auf Le Cléac’h gutzumachen hatte. Dafür blieb ihm an diesem 11. Dezember eine Reststrecke von gut 12.600 Seemeilen. In etwa 700 Seemeilen schlägt für den Frontmann nach bislang absolvierten 11.228 Seemeilen der Halbzeitgong.